Die Nachbarin hielt den Schlauch ruhig, ihr Gesicht eine undurchdringliche Maske. Ihr Blick glitt über Lisas nackten Körper, dann kurz zu mir, zu der grotesken Beule unter dem Verband, bevor sie ihn wieder abwandte. Lydia kam aus dem Haus gestürmt, ein einfaches, dunkelblaues Kleid über dem Arm. Sie blieb abrupt stehen, als sie Lisa sah. Ein kurzes, fast bewunderndes Lächeln flog über ihre Lippen.
„Hier“, sagte sie knapp und warf Lisa das Kleid zu. Lisa fing es, drehte sich halb um, das Wasser lief ihr in die Augen. Sie sah Lydia an, dann das Kleid, dann mich. Für einen Moment lag wieder diese verunsicherte Hilflosigkeit in ihrem Blick, das Mädchen, das nicht hierher gehörte. Dann schaltete sie um. Die Nachbarin drehte das Wasser ab, Lisa schlüpfte in das Kleid, ohne sich vorher abzutrocknen. Der Stoff klebte an ihren noch feuchten Schultern und Hüften. Sie zog es zurecht, ohne ein Wort. Es war zu groß, schlotterte um sie herum, verbarg alles. Sie sah aus wie ein Kind, das sich in Mutters Kleid geworfen hatte.
„Geh“, sagte Lydia, ihre Stimme war jetzt sanft, fast mütterlich. „Sag, Du warst bei uns und hast mir geholfen, etwas zu suchen. Das Kleid ist von mir. Vergiss nicht zu lächeln.“
Lisa nickte, ein einziges, kurzes Kopfnicken. Ihr Blick streifte noch einmal den Hackklotz, den rostigen Nagel, mich. Irgendetwas blitzte in ihren Augen, als sie sie auf mich richtete. Dann drehte sie sich schnell um und lief, fast rannte sie, durch den Garten, um den Zaun herum, Richtung ihres eigenen Hauses. Ihre nassen Füße hinterließen dunkle Abdrücke auf dem trockenen Weg. Lydia und die Nachbarin sahen ihr schweigend nach. Die Stille, die aufbrach, war dick, erfüllt vom Summen der Insekten und dem leisen Tropfen des Wasserschlauchs. Der Geruch von Blut und Desinfektion vermischte sich mit dem Duft von nassem Gras und dem Kleidungsstück, das Lydia Lisa gegeben hatte – ein Hauch von Waschmittel und etwas Blumigem, Fremdem.
Erst als Lisas Schritte verklungen waren, wandte sich Lydia mir wieder zu. Ihr Gesicht war nicht mehr mütterlich. Es war kalt, berechnend. Ihre Augen, diese schwarzen Löcher, ruhten auf der blutdurchtränkten Mullbinde zwischen meinen Beinen. Sie kniete sich neben mich, nicht sanft. Ihre Finger griffen nicht nach dem Verband, sondern umschlossen die Basis meines Schaftes, knapp unter der Wunde, wo die Haut noch unversehrt war. Ihr Griff war fest, besitzergreifend.
Die Nachbarin … und Lisa
21 60-92 Minuten 1 Kommentar

Die Nachbarin … und Lisa
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Ob ich das hier lesen will?
schreibt ETroisfils