Die Nachricht

Chef mailt nach Feierabend - Teil 1

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Otto Eric Riess

Still zu stehen, fällt ihr enorm schwer und sich zu entspannen, gelingt ihr nicht. Die Frage, was die Leute von ihr denken, beschäftigt sie. Überlegen sie, warum sie als Einzige steht, statt sich auf einen der vielen freien Plätze zu setzen? Das scheint ihr naheliegend. Welche Erklärung haben sie dann für ihr Verhalten? Halten sie sie für eine Tussi, die sich aufgetakelt hat, weil sie bewundert werden will, oder ahnen sie die wahren Beweggründe? Beide Alternativen gefallen ihr nicht.
Verstohlen mustert sie die Fahrgäste, die ein- oder aussteigen. Mehrfach glaubt sie, Interesse in den Mienen von Passagieren aufflackern zu sehen, wenn sie sich ihr zuwenden. Aber dann setzen sich die fremden Menschen auf ihre Plätze oder gehen an ihr vorbei, ohne sie weiter zu beachten. Jedoch meint Dörte, zwei Ausnahmen entdeckt zu haben: Ein einzelner älterer Mann, der in der letzten Reihe des Busses sitzt, hat sie ungeniert angestarrt, als sie zu ihrem Platz gestöckelt ist. Sie glaubt, immer noch von ihm beobachtet zu werden. Weil es hinten im Bus dunkler ist als an ihrem Platz, kann sie den Mann nicht gut genug sehen, um Gewissheit zu haben. Deswegen kann sie nicht völlig ausschließen, dass ihre überreizten Sinne ihr einen Streich spielen.
Keinen Zweifel gibt es dagegen bei einem anderen Fahrgast. Er ist mittleren Alters, sitzt Dörte schräg gegenüber und wird von einer Frau begleitet. Er hat schon so oft zu ihr herübergeschaut, dass seine Begleiterin aufmerksam geworden ist. Dörte hat gesehen, wie sie ihm einen Knuff mit dem Ellenbogen verpasst hat. Danach ist er vorsichtiger geworden. Doch sie fängt nach wie vor heimliche Blicke von ihm auf.
Das kaum verhohlene Interesse der fremden Männer nimmt Dörte als aufdringlich wahr. Aber gleichzeitig fühlt sie sich auch geschmeichelt. Sie kann es nicht fassen, doch ihr gefällt die Vorstellung, die Männer in ihren Bann gezogen und in gewissem Sinne Macht über sie zu haben.

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