Die Porzellanmalerin

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Die Porzellanmalerin

Die Porzellanmalerin

Anita Isiris

Ich war sehr aufgeregt an jenem Morgen. Endlich, endlich konnte ich meiner Leidenschaft wieder frönen: dem Porzellanmalen. Obwohl es im Grunde vollkommen egal war, wie ich mich kleidete, probierte ich vor meinem Wandspiegel mehrere Sommerkleider an. Ich entschied mich für das Lindgrüne, Luftige mit den Kornblumen. Ich drehte mich um die eigene Achse und war sehr zufrieden mit mir. Ich bin kein Kind von schlechten Eltern, und so ist auch meine Figur. Nicht von schlechten Eltern. Meinen Hintern finde ich zu gross, weshalb ich in letzter Zeit 10 Kilogramm abgenommen habe. Aber eben. Nimmt Frau ab, lässt sich das nicht auf eine einzelne Körperregion reduzieren. Frau nimmt irgendwo ab, sei es an den Schenkeln, am Bauch, überall dort, wo wir Körperfett einlagern. Aber ich fand, dass meine grossen Brüste besser zur Geltung kamen, und mein Hintern – naja.

Fürs Porzellanmalen war meine Einraumwohnung, mein Studio, definitiv zu klein – irgendwo musste ich ja auch noch essen und schlafen. Darum war es ein glücklicher Zufall gewesen, dass ein mittelaltes Paar auf mein Inserat reagiert hatte. Sie lebten am Millionenhügel, wie wir gewöhnlich Sterblichen das Quartier bezeichneten, in dem die so genannt Bessersterblichen ihren Wohnsitz hatten. Ihre Villen. Ihre Pools. Ihre Parks. Ihre Wachhunde. Ihre sorgfältig behüteten Kinder, allesamt süss, allesamt kerngesund, allesamt verwöhnt ohne Ende. Die Welt ist ungerecht, aber das wissen wir ja.

Am Ahornweg stand die grösste Villa im Quartier, gut geschützt durch dichte Tujahecken, und dort lebte das kinderlose Paar, das mir unter dem Dach ein kleines Atelier für lau vermieten wollte. Nachdem sie auf mein Inserat reagiert hatten, war ich bei ihnen aufgekreuzt, und schon nur das schmiedeeiserne Eingangstor, der Kiesweg, der zum geschwungenen Eingang führte, unter einem Rosenbogen hindurch, flösste mir Respekt ein.

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