Die Vorsorgeuntersuchung

42 11-18 Minuten 0 Kommentare
Die Vorsorgeuntersuchung

Die Vorsorgeuntersuchung

Alina Soleil

Hinter ihm wartet ein weiterer älterer Herr, vom Erscheinungsbild her das krasse Gegenstück: hutzlig und schrumpelig steht er da, wie eine verdorrte Ginseng-Wurzel. Mit seinem Humphrey Bogart-Hut, den auf Hochglanz polierten Lederschuhen und einem braunen Anzug, der mittlerweile drei Nummern zu groß geworden ist, sieht er aus wie eine (noch) lebende Hommage an die geriatrischen Sänger des Buena Vista Social Clubs.

Als ich das Wartezimmer betrete, geht’s grade so weiter. Teils neugierig, teils gelangweilt schauen mich mehre hundert Jahre Menschheitsgeschichte an, verkörpert durch fünf Gestalten, für die ein Regisseur die Bezeichnung Idealbesetzung wählen würde, wenn er eine Serie mit dem Titel „Endstation Altersheim“ drehen müsste. Ich kann den Männern Schmerz und Leid von der Stirn ablesen und mag mir gar nicht ausmalen, warum sie alle hier sind. Zwischen ihnen fühle mich deplatziert. Fast noch zu jung für die Art von Untersuchung, die mirgleich bevorsteht. Aber da mein Opa an Hoden- und mein Vater an Prostatakrebs gestorben sind, nehme ich das Thema sehr ernst. Ich lasse regelmäßig meinen PSA-Wert bestimmen. Auch wenn der unauffällig ist, empfiehlt mein Urologe Doktor Hartman wegen meiner familiären Vorgeschichte regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, auch wenn ich dafür noch verhältnismäßig jung bin. Er ist außerdem der Meinung, dass der Bluttest allein nicht ausreiche. Nur in Kombination mit Abtasten und Ultraschall wäre eine sinnvolle Früherkennung möglich. Doktor Hartmann ist ein sehr erfahrener und einfühlsamer Urologe. Wobei ich diesen Begriff eigentlich hasse. Mir wäre „Männerarzt“ viel lieber. Oder meinetwegen Androloge, sozusagen als Pendant zum Gynäkologen. Alles, nur nicht Urologe. Wie das schon klingt! Irgendwie eklig. Nach Urin. Nach alten Männern, die Probleme beim Pinkeln haben. Oder Krebs. Furchtbar.

„Herr Kowalski bitte“, tönt es aus dem Lautsprecher. Es ist die Stimme des Mädchens am Empfang. Ein bläulich-graues Männchen mit der Anmutung einer Landschildkröte erhebt sich mühsam aus seinem Sitz und schlurft gebückt aus dem Wartezimmer hinaus. Natürlich lässt er die Tür offenstehen. Eine auf dem Gang vorbeielende Arzthelferin macht sie wieder zu.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 2797

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben