Zwei Stühle waren immer noch frei und der Autor erinnerte sich, dass der Bürgermeister auch noch von einer Tochter gesprochen hatte. Als ob sie Gedanken lesen konnte, kam die Gastgeberin nach einer Weile auf dieses Thema zu sprechen. Nicht nur ihr Mann, auch ihre Tochter würde noch fehlen. Sie habe den ganzen Freitag und auch die Nacht bei einer Cousine in der Stadt verbracht. Zwar habe sie dort angerufen, um ihr zu sagen, sie solle am Morgen rechtzeitig hier sein, er, der berühmte Autor sei kurzfristig zum Frühstück eingeladen worden, aber sie habe sie selbst nicht erreicht, nur ihre Nichte und die habe versprochen, es ihr auszurichten, was wohl nicht geschehen sei. Sie, die Mutter müsse noch ein ernsthaftes Wort mit der Tochter reden, denn so gehe es nicht, außerdem sei sie mit ihren 15 Jahren noch viel zu jung, um die Nächte irgendwo zu verbringen. Auf so junge Mädchen könne man sich ja nicht verlassen, sie würden alles Mögliche anstellen. Jedenfalls sei sie immer noch nicht zurückgekommen. Die Gastgeberin meinte dann noch abschließend, dass junge Mädchen aus Prinzip unpünktlich und unzuverlässig seien, ganz im Gegensatz zu den Jungs. Diesen letzten Satz sagte sie sehr laut und so bekamen ihn die vier mit und nickten bestätigend, ließen sich aber nicht stören und fuhren fort, sich weiter große Portionen auf die Teller zu laden und in den Mund zu schieben und dann mit vollem Mund zu reden und ziemlich laut Blödsinn zu machen. Die anfängliche Zurückhaltung und Disziplin war wohl an ihre Grenzen gekommen, aber diese Grenze zur Unhöflichkeit sollte noch weiter überschritten werden und es sollte noch richtig schlimm werden.
Während sie aßen, das Frühstück war äußerst reichhaltig und wohlschmeckend, der Autor fragte sich, ob sie jeden Tag so fürstlich speisen würden oder ob es eine Ausnahme zu Ehren seiner Person war, unterhielt er sich sehr angeregt mit der Gastgeberin. Sie war nicht nur äußerlich so ganz anders als ihr Mann und ganz anders als die Damen der Gesellschaft, die er am letzten Abend kennengelernt hatte. Sie bedauerte mehrfach zutiefst, dass sie bei der Lesung nicht teilnehmen konnte, aber sie habe immer noch Schmerzen und müsse sich schonen. Auf seine Frage hin, berichtete sie über ihren Unfall mit dem Pferd und die fatalen Folgen, aber dann kamen sie zu dem Thema, das beide interessierte. Sie war in der Tat sehr beschlagen und belesen und das was sie fragte, war weit mehr, als er erwartet hatte und stand im krassen Gegensatz zu seinen bisherigen Erfahrungen hier in der Provinz. Er freute sich, sein Wissen vor einer anspruchsvollen Kennerin auszubreiten, seine Interpretationen auszulegen und sie auf Aspekte hinzuweisen, die ihr bisher entgangen waren. Sie äußerte auch den Wunsch, dass er ihr ein Buch persönlich widmen möge, als Erinnerung an dieses Gespräch, aber auch an einen hochinteressanten Mensch. Leider habe er seine Aktentasche nicht dabei, bedauerte er, in der er immer ein Exemplar parat habe, aber er würde es ihr gerne im Hotel hinterlegen. Sie redeten sehr angeregt miteinander und er begann die ganze Reise schon in einem etwas anderen Licht zu sehen, als der Ehemann und Vater eintrat. Er hielt ein Handy am Ohr und hatte keinen schwarzen Anzug an, sondern Jeans und Flanellhemd, was ihm wesentlich besser stand. Er begrüßte den Ehrengast kurz mit kräftigem Handschlag, tat aber so, als sei es völlig selbstverständlich, dass er gekommen war, umarmte den Bürgermeister und machte ein paar flapsige Bemerkungen zu den Jungs. Seine Frau dagegen bekam eine mehr als flüchtige Begrüßung ab. Einer der Jungs musste seinen Platz räumen, damit der Vater und der Bürgermeister zusammen sitzen konnten. Beide waren im Nu in wichtige Gespräche vertieft und nahmen von den anderen kaum noch Notiz. Die Jungs begannen sich zu langweilen und auch der literarische Stoff für das Gespräche zwischen Autor und Gastgeberin neigte sich dem Ende zu.
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