Es gab also nichts und niemanden, der sie hier festgehalten hätte und an der Gesinnung der Menschen hier, hatte sich bis heute nichts geändert.
Die Leute, die zu der Lesung gekommen waren, angesichts der Berühmtheit des Autors waren es nicht sehr viele, dachten im Wesentlichen noch so, wie vor vierzig Jahren und schon damals dachte man hier sehr konservativ. Allein die Frage, ob ihr ehemaliger Mitbürger tatsächlich so berühmt war, wie der Schulleiter in seiner Begrüßung behauptete, stellten manche in Frage. Warum, fragten sich andere, hatte er seine Bücher nicht auch hier schreiben können, in seiner Heimat? Warum war ausgerechnet er so berühmt, nur weil er was geschrieben hatte? Hatte er denn wirklich etwas geleistet, mit seinen Händen, so wie die rechtschaffenen Leute hier? Jedenfalls wurde im im Fernsehen nur selten über ihn berichtet und Bücher las man hier eher wenig. Trotzdem war der Saal fast voll, die Leute waren schon aus reiner Neugier gekommen. Der Schulleiter, der ihn als Schriftsteller natürlich kannte, fand ein paar freundliche Worte, obwohl man ihm schon anmerkte, dass diese Literatur seine Sache nicht war. Wie viel mehr hätte sie die Sache der Zuhörer sein können. Diesen Leute waren weder die Themen noch der provokative, ironische Stil zugänglich, sie hätten die Erzählungen vermutlich auch dann nicht genießen können, wenn sie unvoreingenommen gewesen wären, weil sie schlicht überfordert gewesen wären. Aber die meisten waren voreingenommen, die meisten wollten gar nicht anhören, was er vortrug. Sie begannen zu murren, als kritische Worte über die Regierung und die Kirche fielen und eine Abtreibung positiv bewertet wurden. Und als der Autor dann einige delikate Stellen zum Liebesleben der Protagonisten vortrug und dies mit Worten beschrieb, die man hier nur hinter vorgehaltener Hand verwendete, ging der Tumult los.
Diese verdammte Nacht mit Vivian
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Diese verdammte Nacht mit Vivian
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