Die Teppichstange

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Die Teppichstange

Die Teppichstange

Ruth Gogoll

Da war die Geschichte mit der Teppichstange . . .
Also eigentlich war ich erst sechs Jahre alt, und da soll – wie ich letztens erst aus einem BBC-Beitrag im Fernsehen gelernt habe – die sexuelle Entwicklung des Menschen ja ruhen. Zwischen dem Alter von sechs Monaten und dem Beginn der Pubertät tut sich da also so circa zwölf Jahre lang angeblich gar nichts.
Dann frage ich mich aber, wie es zu meinem Erlebnis mit der Teppichstange kam.
Ich bin Ende der fünfziger Jahre geboren, und damals war Sex kein Thema – ganz sicher nicht für Sechsjährige. Gut, als ich sechs war, stand schon ebenfalls eine sechs im Zehner der Jahreszahl, es war 1964, und aus dem Radio dröhnten (nein, damals dröhnten sie noch nicht, sie dudelten – moderne Verstärker waren noch nicht erfunden, jedenfalls nicht für die Durchschnittsmenschen) die ersten Erfolge der Beatles: »I love you, yeah, yeah, yeah«. Aber was nützte mir das? Ich konnte mit sechs noch kein Englisch.
Was ebenfalls Mangelware war in dem Viertel, in dem ich aufwuchs, waren Spielplätze. Man hatte nach dem Krieg wenig Sinn für die Bedürfnisse kleiner Menschen. Wichtiger war der Wiederaufbau der Dinge und Gebäude, die Geld einbrachten. Spielplätze gehörten nicht dazu.
So waren wir also darauf angewiesen, uns unsere Spielplätze selbst zu suchen. Das wiederum war damals noch nicht so schwierig wie heute, denn es gab überall noch Raum, Wiesen, Felder, Baustellen. Gebaut wurde viel und an jeder Ecke. Auch ich trieb mich dort zusammen mit den Jungs der Umgebung herum. (Die Mädchen tauschten lieber »Glanzbilder«. Das fand ich langweilig.) Auf Baustellen gab es wirklich die interessantesten Dinge, z.B. diese kleinen verrosteten metallenen Plomben, die an den Metallgittern befestigt waren, die später dann als Stütze für den Beton verwendet wurden, wenn man die Wände goß. Es war einfach faszinierend. Man konnte sie als Spielgeld verwenden oder für was nicht alles. Wir waren sehr erfinderisch damals, denn zu kaufen gab es nicht viel an Spielzeug, jedenfalls nicht viel, das sich unsere Eltern leisten konnten, die in dieser Gegend alle ziemlich arm waren.
Wenn es also Jungs gab, die draußen spielten, hatte ich immer Beschäftigung. Wir spielten »Räuber und Gendarm« oder kletterten auf alles, was nicht hoch genug war, uns abzuhalten, Garagendächer, Bäume, Zäune, Balkone, unbefestigte Treppen auf den Baustellen . . . Schwierig wurde es allerdings dann, als ich sechs wurde. Die meisten meiner Spielkameraden kamen in die Schule, und ich hätte da eigentlich auch hingehen sollen, aber meine Mutter meinte, es sei doch viel schöner, noch ein Jahr draußen zu spielen als in der langweiligen Schule stillzusitzen. Nur hatte sie nicht berücksichtigt, mit wem ich spielen sollte, wenn die anderen in der Schule waren. Das stellte mich vor Probleme. Natürlich konnte ich auch alleine auf Garagendächer klettern, nur war das bei weitem nicht so schön, wie wenn man zu mehreren war, und Fangen spielen mit sich selbst konnte man auch nicht.
Eines schönen Tages jedoch entdeckte ich eine Beschäftigung, die ich sehr gut alleine machen konnte, die ich vielleicht nur alleine machen konnte, wie ich damals dachte. Wie gesagt, ich war erst sechs, und Aufklärung war noch nicht mal ein Wort.
Ich war wieder einmal allein auf der Wiese hinter unserem Haus. Das Haus war kein Einzelhaus, sondern ein Block mit sechs Wohnungen in drei Etagen, und von diesen Blocks wiederum gab es acht in unserer Straße, vier auf jeder Straßenseite. Hinter der Wiese lagen ebensolche Blocks, die zur nächsten Straße gehörten. Das war unsere Siedlung. Nicht besonders schön und ganz gewiß nicht reich, aber immerhin gab es die Wiese, auf der wir Fußball spielen konnten – Tja, eben das war das Problem: auf der ich mit den anderen Fußball hatte spielen können, solange sie da waren. Jetzt waren sie aber nicht mehr da.
Also sah ich mich nach Spielen um, die ich auch allein spielen konnte. Wie immer, wenn ich nachdenken wollte, versuchte ich, mir einen besseren Überblick zu verschaffen – von oben. Ich kletterte irgendwo hinauf. Als mir dieser Gedanke kam, stand ich gerade vor der Teppichstange, die damals jeden Hinterhof und somit auch unsere Wiese zierte, denn sie hatte die Funktion eines Hinterhofs, in dem man eben auch die Teppiche aus der Wohnung ausklopfte. Auslegware war ebenfalls noch nicht erfunden. Manche Eltern benutzten den Teppichklopfer auch zur Züchtigung ihrer Kinder. Das war sehr schmerzhaft, aber das wußte ich nur aus einer Auseinandersetzung mit meinem älteren Bruder, bei der wir uns mit dem Klopfer gegenseitig geschlagen hatten.
Ich sah an der grünen Teppichstange hinauf. Sie war glatt und aus Metall. Es würde nicht so einfach sein, da hochzuklettern. Es gab fast nichts, woran man sich festhalten konnte. Aber oben angekommen wäre es sicher herrlich, wie ein Thron. Ich hatte gerade vor kurzem bei Nachbarn im Fernsehen – denn wir selbst konnten uns keinen Apparat leisten – einen Film mit indischen Elefanten gesehen, auf denen oben Menschen in schaukelnden Sitzen thronten, das hatte mich beeindruckt, und ich stellte mir vor, daß es ganz genauso sein würde, dort oben zu sitzen, und es war viel schwieriger als ein Garagendach. Herausforderungen hatten mich schon immer gereizt.
Ich begann also, an der Teppichstange hinaufzuklettern, indem ich meine Beine um sie schloß und versuchte, mich mit den Füßen hochzuschieben, während ich mit den Händen oben Halt suchte. Da geschah es: Ein angenehmes Kribbeln durchfuhr mich. Wo kam das nur her? So etwas hatte ich noch nie gespürt. Ich hatte das Gefühl, daß es irgendwo zwischen meinen Beinen herkam, aber wie konnte das sein? Da war doch nichts.
Ich versuchte, mich zu vergewissern, und führte noch einmal die gleiche Bewegung aus wie eben. Da war es wieder. Es kam eindeutig von da unten zwischen meinen Beinen, was auch immer es auslösen mochte. Ich war jetzt nicht mehr ganz so interessiert, an der Teppichstange hochzuklettern, wie eben noch, oder wenn, hatte sich mein Interesse verändert. Ich wollte dieses Gefühl wiederhaben, und wenn ich mich dazu gegen die Teppichstange drücken mußte, aber nicht hochklettern konnte – weil meine Beine dazu dann viel zu weit gespreizt waren – , dann zog ich ersteres vor.
Was ich dann tat, war ganz ähnlich wie das, was man heute oft in Sexfilmen sieht, wenn eine halbnackte Tänzerin um eine Stange herum erotisch sein sollende Bewegungen vollführt: Ich drückte die Stelle zwischen meinen Beinen, die ein so angenehmes Kribbeln hervorrief, immer wieder gegen die Stange und fuhr an ihr auf und ab. Ich weiß nicht, ob mich damals jemand dabei beobachtet hat – die Stange stand ja sozusagen mitten auf der Wiese, wenn auch etwas am Rand, aber um Teppiche auszuklopfen braucht man ja schon etwas Platz – , aber wenn, hat er oder sie mein Treiben da unten sicher als eine äußerst obszöne Position betrachtet. So sah es wahrscheinlich aus. Aber vielleicht hätte man so etwas damals einem Kind einfach nicht zugetraut und gar nichts dabei gefunden. Obwohl: Damals bekam man auch für Dinge, von denen man gar nicht wußte, daß sie im Sinne der Erwachsenen »schlecht« waren und schon gar nicht, warum, schnell mal eine Ohrfeige versetzt oder Schlimmeres. Man büßte sozusagen unschuldig für deren schmutzige Gedanken, die ja in einer prüden, verklemmten Umgebung bekanntermaßen am wildesten wuchern.
Ich wußte natürlich selbst nicht, was ich da tat, als ich die Teppichstange zwischen meine Beine klemmte. Ich merkte nur, daß es unheimlich gut war, daß es mir ein Gefühl vermittelte, als würde ich fliegen. Langsam staute sich etwas in mir an, und plötzlich nützte alles Reiben nichts mehr. Das Gefühl war fort. Vermutlich hatte ich da meinen ersten Orgasmus gehabt. Ich wußte es nur nicht. Ich fühlte mich jedenfalls ziemlich schwach und wackelig auf den Beinen und ließ die Teppichstange erst einmal Teppichstange sein. So kraftlos, wie ich mich plötzlich fühlte, hätte ich es sowieso nicht geschafft hinaufzuklettern.
Aber an das Gefühl erinnerte ich mich, und als ich am nächsten Tag wieder hinausging zum Spielen, überlegte ich gar nicht erst, was ich tun sollte. Ich ging sofort zur Teppichstange. Ich weiß nicht, was es war, aber ich hatte niemandem von meinem Erlebnis erzählt, keinem Erwachsenen hatte ich mich anvertraut, obwohl ich nicht dachte, daß ich etwas falsch gemacht hatte, und sonst erzählte ich eigentlich immer alles sofort. Diesmal nicht.
Und als ich nun am zweiten Tag zur Teppichstange kam, sie schon von weitem erwartungsvoll, fast ein wenig innerlich zitternd angrinste und wie eine alte Freundin begrüßte, kam ich mir dann doch so vor, als ob ich etwas Verbotenes täte, obwohl ich keine Ahnung hatte, um was es sich dabei handeln könnte. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß die Bewegungen, die ich nun schon wieder an der Stange vollführte, irgendwie peinlich waren, daß sie besser niemand sehen sollte, und während ich ganz zittrig und das kribbelnde Gefühl genießend, das mich schwach machte, mit dem Punkt zwischen meinen Beinen, für den ich keinen Namen hatte, an der Teppichstange auf und ab fuhr, suchte ich mit meinen Blicken die Fenster des Blocks ab, in dem ich wohnte, versuchte, hinter den Gardinen Gesichter zu erkennen, die mich eventuell beobachten könnten.
Ich sah niemand, aber die Stores waren auch sehr dicht. Es konnte jemand dahinter stehen, ohne daß man ihn oder sie sah. Ich wußte es nicht. Und dann zum Schluß, als mich wieder dieses herrliche Gefühl überschwemmte, das mich so schwach machte, konzentrierte ich mich darauf, es zu genießen. Alles andere war mir egal. Ich hatte keine Zeit mehr, die Fenster mit meinen Blicken abzusuchen.
Ich bedauerte sehr, daß ich dieses Gefühl nicht länger ausdehnen konnte. Wenn es vorbei war, war es vorbei, leider. Ich hätte es gern den ganzen Tag lang genossen. Wie ich es anders als mit der Teppichstange hervorrufen konnte, war mir schleierhaft, obwohl ich mich sehr nach dem Gefühl sehnte. Ich kam nie auf die Idee, es mal mit der Hand zu versuchen. Irgendwie dachte ich, nur die Teppichstange könnte es. Es hatte mit mir selbst gar nichts zu tun. Die Teppichstange brachte es hervor, nicht ich.
Ab diesem Tag rief schon der Gedanke an die Teppichstange ein Kribbeln in mir hervor, und ich beeilte mich dann immer sehr, hinauszukommen, um mich zu beruhigen. Mein Gesicht wurde heiß, und erst, nachdem ich mit der Teppichstange geknutscht hatte, ging es mir wieder besser für eine gewisse Zeit – war ich entspannt genug, auch einmal an etwas anderes zu denken.
Nach einer Weile stellte ich mir vor, daß es noch viel toller sein müßte, oben auf der Teppichstange zu sitzen und auf ihr zu reiten. Unten mußte ich mich ja immer mit den Armen heranziehen, um meine Bewegungen zu vollführen, um den Druck zwischen meinen Beinen zu erzeugen, den ich brauchte, um »das Gefühl« zu kriegen.
Ich hatte ja keinen Namen dafür, und jemand zu fragen, erschien mir doch zu gefährlich, denn da es so gut tat, befürchtete ich, daß ich es verboten kriegen würde, wenn ich es erzählte. Das war oft so bei Dingen, die gut taten oder Spaß machten. Die Erwachsenen hatten da überhaupt kein Verständnis, auch wenn wir Kinder uns gar nicht vorstellen konnten, was daran schlecht sein sollte.
Auf jeden Fall dachte ich, wenn ich mich nicht mehr mit meinen Armen würde heranziehen müssen, um das Kribbeln zu erzeugen, müßte es noch schöner sein. Es zu genießen, wäre dann völlig selbständig, ich brauchte keine Arbeit dafür zu tun. Denn das Festhalten und Heranziehen, das Drücken an die Teppichstange, bis es fast weh tat, war Arbeit, die ich oft nicht mehr zustandebrachte, wenn ich mich dann so schwach fühlte, wie es »danach« immer der Fall war und auch schon während des Reibens, denn je stärker das Kribbeln wurde, um so schwächer fühlte ich mich. Die dicke Teppichstange dann überhaupt noch festzuhalten, war oft schwierig. Meine Hände schwitzten, und ich rutschte ab, zittrig, wie ich war.
Sehnsüchtig sah ich auf die querliegende Verbindung zwischen den beiden Pfosten, die so weit über mir erschien, so weit weg war. Und ich bezweifelte, ob ich da überhaupt hochkommen würde. Dann erinnerte ich mich wieder an das schwache Gefühl »danach«, und ich befürchtete, daß ich herunterfallen könnte, wenn es mich überflutete. Dort oben mußte ich mich festhalten, ich konnte mich nicht anlehnen oder so etwas, es gab nichts, was mich unterstützte. Unten hatte ich mich zur Not immer einfach ins Gras fallen lassen können. Es war ja nah über dem Boden. Schließlich ist eine Sechsjährige meistens nicht viel über einen Meter groß, damals war es jedenfalls so. Die heutige Gigantomanie bei Kindern hatte noch nicht zugeschlagen. Die Kälber, die man später dann als Fleisch auf dem Tisch verzehrte, wurden weniger mit Wachstumshormonen als mit Gras großgezogen. Da hatten dann auch die Menschen noch eine normale Größe.
Ich versuchte dennoch, den oberen Teil der Teppichstange zu erreichen, um mir meinen Traum zu erfüllen, aber ich habe es nie geschafft. »Das Gefühl«, das mich immer schon auf dem ersten Meter meines Weges nach oben überkam, hinderte mich daran. Einmal allerdings träumte ich nachts, ich hätte den Gipfel tatsächlich erreicht. Es war ein sehr lebhafter Traum, und ich erinnere mich heute noch daran. Ich sah mich selbst auf die Wiese gehen, ich fuhr mir erwartungsvoll mit der Zunge über die Lippen und befeuchtete sie, weil sie wie trockenes Stroh waren vor Vorfreude. Ich zitterte auch im Traum schrecklich, schon als ich die Teppichstange sah. Kaum konnte ich Fuß vor Fuß setzen, um bis zu ihr zu gelangen, so sehr hatte die Schwäche schon von mir Besitz ergriffen. Mein Herz pochte wie verrückt bei der Vorstellung, dort oben zu sitzen und endlich ohne Anstrengung und endlos lang »das Gefühl« genießen zu können. Im Traum konnte ich auch nicht herunterfallen. Jedenfalls hatte ich keine Angst davor. Ohne zu zögern begann ich, an der Teppichstange hochzuklettern, und obwohl ich spürte, wie es zwischen meinen Beinen und in meinem Unterleib kribbelte und zog, konnte ich mich im Traum darüber hinwegsetzen. Das, was ich in Wirklichkeit nie schaffte, schaffte ich nun: Ohne daß der Orgasmus, den ich damals natürlich nicht dem Namen nach kannte, mich davon abhielt, mich zu schwach machte, um weiterzuklettern, erreichte ich die obere Stange. Ich zog mich hoch, schwang ein Bein darüber und nahm die Stange zwischen meine Schenkel. Es war wunderbar – genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte . . . Natürlich, es war ja auch mein Traum!
Ich konnte sogar auf der Stange sitzen, ohne mich festzuhalten (was natürlich in Wirklichkeit niemals möglich gewesen wäre, denn ich hätte nicht einmal unter normalen Umständen, ohne das »Gefühl«, dort oben so die Balance halten können). Ich warf die Arme in die Luft und spielte erst einmal ein bißchen Cowboy. »YippiYeah!« Dann merkte ich, wie das Gefühl in mir hochkroch. Ich ruderte weiter mit den Armen und trieb meinen Unterleib auf der Stange gewaltig vor und zurück, mehr, als ich es in der vertikalen Position je hatte tun können. (Später im Leben, als ich tatsächlich Reiten lernte, lernte ich auch, daß das genau die Bewegung ist, mit der man Pferde vorantreibt. Man muß nur denken, man liegt unter einer tollen Frau, umklammert sie mit den Schenkeln und will sich ihr ganz hingeben. Dann hat man es schnell raus . . . :-) – wie man ein Pferd reitet, natürlich . . . was denken Sie denn?) Das »Gefühl« war ganz bombastisch, als es kam, während ich oben auf der Teppichstange saß.
Morgens, als ich erwachte, war da etwas ganz naß und klebrig zwischen meinen Beinen, aber ich brachte es nicht in Zusammenhang mit meinem Traum – wie sollte ich auch? Ich wusch mich und machte mir keine Gedanken mehr. Der Traum wiederholte sich auch nicht, jedenfalls nicht so, daß ich mich morgens daran hätte erinnern können. Obwohl – manchmal war es schon ganz schön feucht zwischen meinen Beinen, wenn ich aufwachte . . .

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