Die Wette

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Die Wette

Die Wette

Anita Isiris

Mit Herzklopfen erwachte Erwin so gegen Mittag. Die Sonne brannte auf seine Bettdecke; rundherum war es still. Waren die andern etwa bereits... Seit Wochen schon träumte der verwöhnte Industriellensohn von diesem Sonntag, an dem das Familientreffen stattfinden würde. Eigentlich waren solche Treffen ja so ziemlich das Gegenteil von aufregend – aber da war Kim. Wie alt mochte sie unterdessen sein? Sechzehn? Siebzehn? Ob sie ihr blondes dichtes Haar noch immer offen trug? Es war zwei Jahre her, dass er sie das letzte Mal gesehen hatte – ebenfalls an einem dieser an sich bedeutungslosen Sonntagstreffen. Schon damals hatte sich die männliche Seite der Verwandtschaft an diesem frühreifen Wildfang kaum sattsehen können – Kim versprach viel. Erwin war mittlerweile neunzehn und langweilte sich durchs College, das ihm, ausser den Quälereien mit dem Grossen Latinum, nicht wirklich viel brachte. Mädchen bekam er kaum je zu Gesicht, und wenn, dann waren es zickige Lieschen, die ihren Müttern am Rockzipfel hingen. Diese Mütter kamen mit ihren Bälgern jeweils auf Courtney Hill zum Fünfuhrtee.
„Erwin“, rief dann seine Mutter mit unangenehm heller Stimme, „Erwin, zeig Dich! Du kannst ein paar nette Mädchen kennenlernen.“ Erwin war total desinteressiert und frönte lieber seiner Leidenschaft; dem Sezieren von Spinnen, Mäusen und Regenwürmern. Er war ein guter Beobachter, ein noch besserer Zeichner und ein wirklich exzellenter Fotograf dazu. Die College-Zeitung bediente sich ausschliesslich an seinem Bildarchiv.
Hastig sah er sich um: Seine Mutter hatte ihm die Kleider für den Tag zurechtgelegt: Eine dunkle Cordhose, ein crèmefarbenes Flanellhemd und dazu passende Socken. Kaum stand er angezogen, mit verstrubbelter Frisur, in seinem Zimmer, hörte er seine Mutter. „Erwin! Kim ist da!“. Sein Herz sprang bis zum Hals, anmerken liess er sich aber nichts. Coolness war jetzt angesagt, die Coolness des angehenden Forschers. Fast in Zeitlupe glitt er über die Treppenstufen aus rötlichem Kirschholz – und wäre beinahe gestolpert. Kim strahlte ihn an. Sie trug ein weisses Frühlingskleid mit gewagtem Ausschnitt; das Haar trug sie schulterlang und im linken Nasenflügel steckte das kleine silberne Piercing, das er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. „Cool“, dachte er bei sich, „jetzt bloss nicht die Nerven verlieren“. Mit artigen Küsschen auf die Wangen begrüssten sich die beiden und gingen dann Seite an Seite durch den riesigen Park Richtung Kiesplatz, wo bereits Grillkohle glimmte. Verstohlen betrachtete Erwin Kims gut entwickelten Körper. Ihr Ausschnitt gab den Blick frei auf zwei wohlgeformte Brüste; Kim lächelte ihn an.
Sie setzten sich an den Jugendtisch, wie die eine Ecke seit Jahren genannt wurde, und arbeiteten sich durch Besteck, Kristallgläser und Rindsschmorbraten mit zwölf Gemüsesorten. „Wetten dass Onkel Felix wieder einschläft, so wie letztes Mal?“ flüsterte Kim. „Diesmal wird er wohl noch vor der Nachspeise einpennen – weißt Du noch, wie er kopfvoran in die Vanilleschüssel geklatscht ist?“ Erwin verschluckte sich, so lustig war die Erinnerung, die jetzt hochkam. Onkel Felix war altgedienter Jäger, mit geschwungenem Schnauzer und Lorgnon – solche Menschen gab es eigentlich nicht mehr. Er wirkte schwerfällig, war ausgesprochen korpulent und gesprächig – solange die Themen seine Interessen tangierten. Wandten die Gäste sich höflich von ihm ab und wieder Anderem zu, begann für ihn die absolute Leere. Da gab’s dann nur noch eins: Einschlafen. Der Alkohol besorgte den Rest.
„Worum wetten wir?“ Erwin hatte sich von seinem Hustenanfall erholt. „Du hast vorhin Deine Blicke kaum von meinen Brüsten lösen können, Kleiner... ich werde sie Dir zeigen. Verliere ich die Wette und Onkel Felix ist während der Nachspeise noch wach, schlage ich für Dich da drüben am Waldrand ein Rad. Splitternackt.“ Erst glaubte Erwin, er hätte sich verhört. Kim lachte und rückte ihre smaragdgrüne Perlenkette zurecht. Wie zartgliedrig ihre Hände waren! Kim ging in eine Schule für Hochbegabte; sie war schon jetzt eine geniale Pianistin. Und dieses hochintelligente Mädchen war soeben mit Erwin eine Wette eingegangen, die den Rest des Sonntags für ihn würzen würde, und zwar scharf.
Die Gänge kamen und gingen; zwischendurch machte Erwin sich an seiner Kamera zu schaffen und knipste pflichtbewusst Familienfotos. „Süss ist er geworden, Euer Erwin!“ „Was studierst Du denn, Kleiner?“ „In welcher Mannschaft spielst Du...“ Die Routinefragen der Verwandschaft waren für Erwin weit weg – er dachte nur noch an Kim. Wie sie wohl aussah unter ihrem Kleid? Ob sie im Bauchnabel ein Piercing trug? Ob sie ihr Schamhaar getrimmt hatte? Splitternackt, hatte sie gesagt. Erwin wusste, was er zu tun hatte. Er musste Onkel Felix bei Laune halten – egal wie. Hinzu kam eine noch schwierigere Aufgabe: Er musste ihn am Trinken hindern. Allein schaffte er das kaum – allzu aktiv durfte er selbst nicht werden, da er sich vor Kim nicht lächerlich machen wollte. Also weihte er seine drei Cousins in einem von Kim unbemerkten Moment ein. „Nackt, glaubst Du wirklich? Wird sie nackt ein Rad schlagen?“ Mit tellergrossen Augen sahen sie Erwin an. Das Essensritual schritt voran, und die drei Jungs, Tom, Klaus und Reto, kümmerten sich rührend um Onkel Felix. Dieser grölte, gab Anekdoten zum Besten... aber von Schlaf keine Spur. Kim wurde etwas nervös; die Nachspeisen wurden aufgetragen. Ausser einem Löffel Tiramisù brachte sie keinen Bissen herunter. Worauf hatte sie sich da bloss eingelassen? Aber Wette war Wette. Onkel Felix wurde immer fröhlicher. „Also gut, Du hast gewonnen“, seufzte Kim und sah Erwin in die Augen. Die Erwachsenen waren so mit sich selbst beschäftigt, dass niemand Notiz nahm von Kim und Erwin, die sich vom Tisch entfernten und von Tom, Klaus und Reto, die den beiden wie Indianer nachschlichen. Ein weites grünes Feld grenzte direkt an den Wald; Verstecke für die drei Jungs waren in Hülle und Fülle vorhanden.
„Ich zieh mich jetzt aus“, sagte Kim und senkte den Blick, „bitte wegschauen!“. Erwin zählte bis zwanzig... und erblickte die Götter- oder, besser gesagt, die Göttinnendämmerung. Die Sonne schien in Kims Haar und brachte es zum Leuchten. Wie gern er jetzt ihre weichen, vollen Brüste berührt hätte... nur einmal... Erwin liess den Blick ihren Hüften entlanggleiten. Kein Detail entging ihm, schliesslich war er Forscher, oder? Kims Schamhaar war tatsächlich getrimmt; die hellen Löckchen waren eher spärlich und liess ihre Schamlippen durchschimmern. So etwas hatte Erwin noch nie gesehen! Tom, Klaus und Reto auch nicht. Kim lächelte. „Und jetzt?“ fragte sie arglos.
Dann beugte sie sich in elegantem Schwung nach vorn, berührte mit den Fingerspitzen das Gras und dehnte ihren gelenkigen Körper. „Wow!“ entfuhr es Erwin; „wow!“ Dann zückte er seine Kamera. „Stop! Von Fotografieren haben wir nichts gesagt“, wehrte sich Kim. „Ach, komm schon! Ich bin Forscher und habe schon alles gesehen.“ Erwin gab sich wieder cool. Tom konnte kaum noch aufrecht stehen. „Schon nur diese Pobacken!“ murmelte er. Dann gab Kim sich ganz der Natur. Wie ein Pfeil durcheilte sie das Feld und schlug Rad um Rad. Erwin fotografierte erst züchtig, dann zoomte er auf die Stelle zwischen Kims Beinen, die immer dann für Bruchteile von Sekunden zu sehen war, wenn sie vom Spagat in den Stand federte. Erwin zoomte und zoomte.
Schliesslich war er Forscher.

 

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