Er war ein gläubiger Mann und wusste, dass kein Gott dieser Welt es ihm verzeihen würde, wenn er sein geliebtes Kind der Prostitution überantwortete. Natürlich benutzte niemand im Dorf diesen klinischen Begriff. Auch von Hurerei redete keiner, obwohl sie allgegenwärtig war. Nein, man sprach vornehm von der "Zunft stöhnender Frauen". Sabea sollte also der "Zunft stöhender Frauen" überantwortet werden und so ihre Familienmitglieder vor dem Abgrund bewahren, indem sie täglich kläglich ein paar Euro (damals: Gulden) nach Hause brachte. Jonston machte eine Handbewegung, als wollte er eine Fliege verscheuchen. In Wahrheit verscheuchte er nur einen Gedanken. Den Gedanken, wie sich seine Sabea den betrunkenen Bauern im kleinen Zimmer über der Dorfkaschemme öffnete, wie sie ihre zarte Fut den schwieligen Fingern irgendwelcher Kartoffelhelden und Fischrogenheroen preisgab. Was er und seine Frau Dragana nicht wussten: Sabea hatte schon längst ihre eigenen Erfahrungen gesammelt in der "Zunft stöhnender Frauen". Natürlich tat sie das nicht in der Dorfkaschemme. Wie ein Lauffeuer hätte es sich herum gesprochen; ihre Eltern hätten zweifellos davon erfahren und sie dann möglicherweise verstossen, so dachte sie. Ausserdem kannte sie genügend Mädchen in ihrem Alter, bei denen es trotz fleissigen Waschens nie mehr aufhörte, "untenrum" zu brennen. Über Monate hatten sie im Zimmer über der Kaschemme ihr Geld verdient. Dann versiegte der Appetit. Ihre Augen fielen in die Höhlen zurück. Es kamen unerbittliche Gliederschmerzen, Fieber, das Leiden am syphilitischen Primärulkus, geschwollene Lymphknoten. Unbehandelt, weil geheim gehalten, erlagen Sabeas Freundinnen den neurologischen Folgen des Quartärstatiums der bis in unsere Tage gefürchteten syphilitischen Geissel. Sabea war schlauer. Jeden Morgen um fünf Uhr musste sie aufstehen und den reichen Dorfbewohnern –davon gab es einige – Ziegenmilch an die Haustür bringen.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.