Draghicas Versprechen

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Draghicas Versprechen

Draghicas Versprechen

Georg Biron

“He! Spinnst du? Nicht hier.“ Draghica flüstert und schiebt seine Hand weg. Zieht ihren Rock nach unten. Über die Knie. Presst die Schenkel zusammen. „Alle können es sehen.“ Sagt sie. „Niemand sieht es.“ Sagt Fabio. „Alle schlafen. Die Stewardess war schon eine Ewigkeit nicht mehr hier. Schläft wahrscheinlich auch. Oder kniet vorne beim Piloten.“ Draghica vertröstet ihn mit einem Lächeln. „Trotzdem. Nicht jetzt.“ Die Brüste so rund, die Beine so lang. Und das lange rote Haar. Riecht nach Jasmin. Ein ruhiger Flug. Nachtflug. Draghica nimmt einen Schluck Wodka aus dem Becher, saugt Eis in ihren Mund, legt die Lippen auf sein linkes Ohr. Zungenspitze taucht ein. Kleiner Schauer in seinem Kopf. Kühler Tropfen auf seinem Ohrläppchen, fällt runter auf die Schulter. Sie haucht. „Wenn wir angekommen sind. Ich habe es dir versprochen. Du wirst dieses Abenteuer nicht vergessen. Ich bin gut. Und ich halte, was ich versprochen habe. So wie du gehalten hast, was du versprochen hast.“
Fabio weiß, sie ist gut. Das sagen alle. Draghica ist die Beste. Nicht nur vor der Kamera. Sie vögelt alle, die ihr Aufträge bringen. Nimmt kein Geld. Nimmt Jobs. Fabio hat ihr eine Geschichte in der Vogue versprochen. Versprochen und gehalten.
Als er die Fotos von ihr machte, wurde er steif. Trockener Mund. Gieriger Blick. Ein Schuss nach dem anderen. 23 Filme. Draghica in der dunkelblauen Uniformjacke von Cerruti, rote Lederhandschuhe von La Crasia, rauf bis zu den Ellenbogen, Handtasche von Vuitton, knappe Shorts von Escada und Stilettos von Dior. Glasperlen auf blauem Jeansstoff. So lag sie vor ihm, zwischen den Schenkeln ein kleiner Fernsehapparat. CNN. Bilder vom Balkan. Rot waren nicht nur Haare und Lackhandschuhe, auch das Blut. Filmblut überall. Draghica lag da wie tot. Blut im Gesicht und auf dem Bauch.
Es war ihre Idee. Modefotos gegen den Krieg. Sie als Opfer. Tot und erregend. Eine kranke Phantasie. Kranke Fotos. Sie wurden in 48 Ländern veröffentlicht. Fabio verdiente Geld. Konnte sich den Urlaub leisten. Nahm sie mit. Sie hatte es versprochen.
In Sarajewo, da war sie 17 gewesen. Jungfrau. Draghica in der Scheune. Fünf Soldaten und ein Offizier. Einer nach dem anderen. Der erste am schlimmsten. Der Offizier. Der zweite schon weit weg. Der dritte schwebte im Raum, sie hörte nichts, spürte nichts. Vier und fünf waren nur noch Schatten. Draghica lachte. Tränen auf den Wangen. Lautes Lachen. Der letzte konnte nicht. Wurde nicht hart. Schlug sie mit der Faust. Endlich ging es. Auf einmal lief eine Spinne über ihr Gesicht. Ein Schlag. Die Spinne tot auf ihrer Wange. Draghica ganz starr, begann ein Kinderlied zu singen. Ein paar Schläge noch, dann war sie allein in der Scheune.
Draghica sang weiter. Sagte nichts. Sang nur. 17 Wochen lang. Hatte Angst einzuschlafen. Im Traum kamen die Soldaten. Im Traum lief die Spinne. Dann war die Wahl zur Miss Sarajewo. Pavarotti war zu Gast. Fernsehkameras. Ein großes Fest. Mitten im Krieg. Die Mutter wollte ihre Tochter zu den anderen Mädchen auf die Bühne schicken. Die Brüste so rund, die Beine so lang. Man schickte sie weg. „Deine Tochter ist verrückt, Frau. Geh nach Hause. Hübsch, aber verrückt.“ Draghica sang ihr Lied und wusste nicht, wo sie war. „Und sag ihr, dass sie aufhören soll zu singen.“
Pavarotti kam vorbei, ein paar Fotografen, der Sänger lachte und küsste sie auf die Stirn. Ein schönes Bild. Friedlich. Draghica sah den dicken Mann an und hörte plötzlich auf zu singen. Begann zu lächeln. Es war wie ein Wunder. Blitzlichter. Das Rote Kreuz holte sie nach Italien. Weg von der Mutter. Zu einer Ärztin. Blaue Medikamente. Weiße und gelbe. Die Geschichte stand in allen Illustrierten. Draghica wurde fotografiert. Und auf die Laufstege geschickt. Mailand. London. Paris. Gaultier. Dolce & Gabbana. Chanel. Ein neues Gesicht. Ein neues Lächeln. Die Brüste so rund, die Beine so lang. Man reichte sie herum. Man stellte Schecks aus. Man vögelte sie.
Fabio schläft bis zur Landung. Hart setzt das Flugzeug auf. Sonnenlicht. „Ich war noch nie in Kalibo.“ Sagt sie. Draghica geht vor ihm. Strahlend weiß. Privat ist ihr Joop am liebsten. Armselig. Denkt Fabio. Ich bin armselig gegen sie. Keine 20 Jahre älter als sie. Aber es wirkt wie 100. Hätte ich nicht, wäre ich nicht. Hier mit ihr. Armselig. Sie ist viel größer als er. Alle schauen. Sonnenlicht im roten Haar. Er hinter ihr. Ein kleiner Mann in einem zerknitterten Leinenanzug. Unrasiert. Fast schon eine Glatze. Ich verstecke mich die ganze Zeit hinter meiner Kamera. Denkt er. Oder hinter meinen Sonnenbrillen. Rayban. Sie dreht sich um und lacht ihn an. 100 Jahre.
Passkontrolle. Er umklammert seine Leica. Die Hände schwitzen. Er wird die Kamera nicht aus der Hand geben. Auch wenn man es von ihm verlangt. Er wird sie nicht hergeben. Sie dürfen sie nicht öffnen. Auf jede Reise nimmt er Kokain mit. Zehn Gramm passen in die Leica, wenn kein Film drinnen ist.
Was ist der Grund ihres Aufenthalts? Spaß haben. Schönen Aufenthalt.
Schweigen im Taxi. Er schwitzt immer noch. Trotz Aircondition. Das Radio. Denkt er. Stell doch das Radio ab. Aber er sagt nichts. Und der Fahrer dreht jetzt sogar lauter. Früher hat er Musik gern gehabt, heute macht sie ihn nervös. Draghica schiebt ihre Schultern hin und her. Ganz im Takt. „Ricky Martin“ Sagt sie. „Ich liebe Ricky Martin.“ Plötzlich ist er eifersüchtig. Auf einen Mann, den er nicht kennt. „Ricky wer?“ Sie lacht. „Ricky Martin. Im Radio. Er ist wundervoll.“ Es riecht nach Jasmin. Fabio schaut auf ihre Brüste. Ganz im Takt. Hin und her. Und hin und her. Dann wendet er sich ab. Schaut aus dem Fenster. Sieht eine Mutter, die ihrem Kind die Brust gibt. Einen Betrunkenen, der die Fäuste ballt und Geister verflucht. Er sieht Radfahrer. Bierreklamen. Schmutz am Straßenrand.
Früher hat er solche Fotos gemacht. Zerlumpte Gestalten. Das fast verhungerte Kind im Vordergrund. Schon kein Leben mehr im Blick. Und ein paar Meter dahinter ein großer Geier. Schwarzweiß. Preise gewonnen damit. Heute fotografiert er Mode und vögelt Models.
Blau der Himmel. Wolkenlos. Links und rechts Palmen.
„Wirst du Fotos machen? Jemand vom Hustler hat mich letzte Woche gefragt. Aber ich habe nein gesagt. Für den Hustler ziehe ich mich nicht aus. Die zahlen zuwenig. Aber fürs Penthouse würde ich es tun. Oder für den Playboy. Aber ich glaube, der Playboy mag nur amerikanische Mädchen.“
Der Taxifahrer schaut in den Rückspiegel. Starrt auf Draghica statt auf die Straße. Sie hüpft auf der Rückbank auf und ab. Die Schultern. Die Brüste. Ganz im Takt. „He!“ Sagt sie. „Britney Spears. Die ist gut. Die ist wirklich gut.“ Fabio schweigt. Er weiß, wer Britney Spears ist. Er hat sie für den Rolling Stone fotografiert. Eine Siebzehnjährige, die sich die Brüste vergrößern lässt. Er boxt leicht gegen den Hinterkopf des Fahrers. „Please...“ Der Mann versteht. „Wenn wir schon hier sind, könnten wir doch Fotos fürs Penthouse machen. Ich habe noch nie Nacktfotos gemacht. Nicht für eine Zeitung. Klar gibt es welche. Hauptsächlich Polaroids. Was meinst du? Nacktfotos am Strand?“ Keine Antwort. „Fabio?“ Er wischt sich den Schweiß aus dem Nacken. „Was willst du?“
„Es ist schön hier.“
„Ja. Schön und heiß.“ Er fühlt sich nicht wohl. „Viel zu heiß. Es ist immer viel zu heiß in Kalibo.“
„Hier?“ Sie aufgeregt wie ein Kind. „Ist es hier?“
„Ja! Four Roses Resort. Ich wohne jedes Mal im Four Roses“. Ein braungebrannter Bursche trägt ihre Taschen zum Bungalow. Nummer 17. Links und rechts Palmen. „17.“ Sagt sie. „Mit 17, da war ich noch Jungfrau.“ Fabio steckt dem Burschen Geld zu. Zeigt Draghica den Bungalow. 600 Dollar die Nacht. Das Wasser aus der Leitung kann man trinken. Gefiltert. Eigener Pool. Nur für uns. Gut, dass eine Mauer drumrum ist. „Wir können nackt schwimmen, und keiner sieht es.“
„Ja.“ Sagt Fabio. „Die Mauer ist gut.“ Er geht ins Bad, mit der Kamera. Sperrt hinter sich ab. „Was machst du?“
„Komme gleich!“
Eigentlich will er schon lange damit aufhören. Aber es macht ihn gesprächig. Gesprächig ist gut, wenn man zum ersten Mal mit einer Frau schläft. Gesprächig ist gut, wenn man einen Job bekommen will. Gesprächig ist gut, wenn man sich einsam fühlt. Er weiß, wie man gute Fotos macht. Aber sprechen? Das kann er nicht so gut. Kokain hilft. Fabio schaut in den Spiegel, wischt mit dem Daumen Spuren vom rechten Nasenloch. Schnieft. Sperrt auf. Geht raus. Will gesprächig werden. Sie aufs Bett ziehen. Küssen.
„Nicht jetzt.“ Sagt Draghica. „Nicht jetzt. Ich will duschen und dann was essen. Wir haben doch noch soviel Zeit.“
Fabio geht zwischen den Bungalows zum Restaurant. Schmale Wege. Dichte Büsche. Es ist heiß, viel zu heiß. Sein Herz beginnt zu rasen. Teures Kokain. Guter Stoff. Das muss man der Modebranche lassen. Nicht nur der Himmel ist blau. Auch das Meer. Ohne Wolken. Ohne Wellen. Er saugt die heiße Luft durch die Nasenlöcher ein, spürt die Taubheit in der Nase. Sie wird schon nicht nachschauen, ob ein Film in der Kamera ist. Sie wird duschen. Und ich werde was trinken. Und dann werde ich sie vögeln. Und wenn ich ihr verspreche, Fotos fürs Penthouse zu machen, dann vielleicht sogar in den Mund.
Der Mann hinter der Bar kennt Fabio vom letzten Mal. „Wie geht es deiner Frau?“ Fragt er. „Deinen Kindern. So hübsche Kinder.“
„Jack Daniel’s.“ Fabio antwortet nicht. Bestellt Jack Daniel’s. Jack Daniel’s und Koks, das passt gut zusammen. Wodka ist manchmal auch gut, Smirnoff, aber Jack Daniel’s ist besser. Er schnieft und nimmt die Sonnenbrillen ab. Wie geht es meiner Frau? Den Kindern? Warum bin ich eigentlich nicht mit meiner Frau hier? Nicht mit den Kindern? Jack Daniel’s passt gut. Weil sie mich nicht liebt. Weil sie mich hasst. Weil mich die Kinder hassen. Mein Geld hassen sie nicht. Mich schon. Aber warum? Weil ich...? Weil ich ... was? Weil ich sie erwischt habe? Im Stall? Mit ihrem Reitlehrer? Sie hasst mich, weil sie untreu war. Oder weil ich sie dabei erwischt habe. Aber warum hassen mich die Kinder? Weil ich nie da bin, wenn sie mich brauchen? Weil sie lieber den Reitlehrer als Vater hätten? Nein. Weil sie kleine undankbare Arschlöcher sind.
„Werden Sie bei uns zu Abend essen? Wir haben frische Garnelen.“
Fabio nickt. „Garnelen sind gut. Garnelen sind immer gut in Kalibo.“
Heiß ist ihm. Und das Herz rast. Einen Jack Daniel’s noch. Einen. Dann zurück zu Draghica. Sie ist gut. Ich weiß, sie ist gut. Das sagen alle.
Draghica schwimmt nackt im Pool. Er schaut zu. Ein paar Längen. Er wird hart. Geht ins Bad. Öffnet die Leica. Ein bisschen mehr. Es wird ihn schon nicht umbringen. Da steht sie plötzlich im Zimmer. Nackt. Nackt und nass. Trocknet ihre Haare mit einem Handtuch. Rot leuchtet ihr Schamhaar. Rot die Mähne. Rot die Lippen. Draghica lacht. „Du kannst es nicht erwarten.“ Sie geht zum Bett. Legt sich hin. Auf den Rücken. Spreizt die Beine. Warum hassen sie mich? Denkt er. Sie sind keine kleinen undankbaren Arschlöcher. Sie mögen die Musik von dieser Britney Spears. Und ich habe ihnen kein Autogramm gebracht.
Ihre Brüste so rund, die Beine so lang. Die Nase taub. Er zieht sich aus, legt sich neben sie, berührt. „Ich werde Fotos von dir machen.“ Sagt er. „Fürs Penthouse.“ Sie lacht. Dreht sich zur Seite. Plötzlich ein Schrei. Lauter Schrei. Draghica stößt ihn weg. Setzt sich auf. Zieht die Beine an und starrt auf den Boden. Sie beginnt zu singen. Singt. Und wippt mit ihrem Oberkörper hin und her. Singt und schreit wieder. Starrt auf den Boden neben dem Bett.
„Das ist doch nur eine Spinne.“ Sagt er. „Groß und fett und haarig. Nur eine Spinne. Die bringt uns Glück.“ Er will zwischen ihre Beine. Er ist hart. Ihre Angst macht ihn gesprächig. Die Angst und das Kokain. Zwillingsschwestern. „Töte sie!“ Schreit sie. „Töte sie!“
Er will sie jetzt vögeln. Will in sie rein. Rein in die schöne Angst. Aber sie schreit und schüttelt den Kopf. Tritt nach ihm. Tritt ihn in die Rippen. Er schlägt zu. Mitten ins Gesicht. Das wollte er nicht. Draghica weint.
„Gut!“ Schreit er. „Ich werde diese Spinne töten.“ Er steigt aus dem Bett und nimmt seinen linken Schuh. Eine große fette haarige Spinne. Größer als seine Hand. Er hat keine Angst vor Spinnen. Keine Angst. Nicht einmal vor Vogelspinnen. „Spinnen bringen Glück.“ Das hat sein Vater gesagt. „Spinnen bringen Glück.“ Draghica wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. „Töte sie. Mach sie tot. Ich will nicht, dass sie über mein Gesicht läuft.“ Dann singt sie wieder. Das Kinderlied. Fabio schaut die Spinne an. Schön irgendwie. Er will sie nicht töten. Aber er will Draghica vögeln. Er schlägt. Mit dem Schuh. Zweimal. Dreimal. Auf die Spinne. Mit voller Wucht. Dann lässt er den Schuh fallen. „Bist du jetzt zufrieden?“
Draghica beruhigt sich. Schweigt. Lächelt. Zuckt mit den Schultern. Breitet die Arme aus. Er steigt ins Bett. Jasmin. Trotz tauber Nase. Er ist hart. Sie spreizt die Schenkel. „Fabio...“ Er dreht den Kopf zur Seite. Ihm war, als hätte sich die Spinne bewegt. Im Augenwinkel bewegt. Aber sie liegt da. Ruhig. Still. Langsam dringt er in sie ein. Ganz ganz langsam. Ihr Mund öffnet sich. Die Augen schließen sich. Er bewegt sich in ihr. Und plötzlich weiß er, dass die Spinne noch lebt. Er spürt, wie die Spinne auf einmal in ihn reinkriecht. Spinnen bringen Glück. Sie kriecht in ihn rein. Zwängt sich in die linke Hand rein und krabbelt schnell in seinem Arm hoch. Sie ist so groß. Zu groß für seinen Oberarm.
„Fester.“ Flüstert Draghica. „Fester. Bitte.“ Schweiß tropft von seiner Stirn. Auf ihre Brüste. Er bewegt sich schneller. So hart war er noch nie. Noch nie in seinem Leben. Die Spinne kriecht von der linken Schulter in seinen Brustkorb und setzt sich auf das Herz. Umklammert das Herz. So fest. So hart. Fabio spürt den Biss der Spinne im Herz. Er schaut Draghica an. Sie weint. Sieht ihn nur verschwommen. Sieht ihn über sich schweben. Dann wie einen Schatten. Die Spinne frisst sein Herz. Und Draghica beginnt leise zu singen. Eine Stunde später liegt er immer noch auf ihr. Seine Lippen auf ihrem Hals. Und sie singt. Leise. Ganz ganz leise.

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