In Burgdorf parkte ich beim kleinen Bahnhof und suchte das Gelände nach Agnes ab. Wie schön sie war! Fast hätte ich sie nicht erkannt. Sie hatte ihr Haar wachsen lassen; dunkle Locken perlten in ihre Stirn. Sie hatte etwas von einer Zigeunerin, der Eindruck wurde durch ihren lila Rock mit den Naturornamenten noch verstärkt. Ich schämte mich fast ein wenig für mein Wissen, dass sie drunter nackt war – genau wie ich. Ich trug ein einfaches H & M-Sommerkleid, und ein bescheiden wirkendes, aber teures Collier. Wir fielen uns in die Arme, und der vertraute Duft meiner Freundin liess mein Blut in Vorfreude aufwallen. Agnes war eine so genannte konvertierte Lesbe. Über zehn Jahre ihres Lebens hatte sie mit dem falschen Mann verbracht, einem ewigen Studenten, der ihr schliesslich Zwillinge überlassen hatte, Luna und Stefania, zwei süsse Mädchen zwar, aber sie laugten ihre Mama aus. Wie bereits erwähnt, arbeitete Agnes hart als Krankenschwester in einem Pflegeheim und investierte ihre gesamte Freizeit in die beiden Töchter. Die unregelmässige Arbeitszeit verschaffte ihr ein bisschen Lebensraum; etwa wenn sie vom Nachtdienst um 07:00 Uhr nach Hause kam und ihre Kinder erst zwei Stunden später bei der Nachbarin abholen musste, wo sie übernachtet hatten. Diese zwei Stunden waren für Agnes Gold wert. Sie duschte, machte sich einen Kaffee und widmete sich ihrem liebsten Hobby, dem Schreiben. Agnes schrieb seit fünf Jahren an einem Roman, den sie immer wieder überarbeitete und der erst dreissig Seiten umfasste. „Irgendwann“, sagte sie immer mit leuchtenden Augen. „Irgendwann bin ich dann so weit und die Welt liest mich.“
Wir nahmen also den Weg zu unserem Ziel unter die Räder, den Weg zur Schaufelbühl-Egg. Das Haus war nicht leicht zu finden; wir spulten mehrere Kilometer auf ungeteerten Strässchen ab, kamen an satten, opulenten Höfen mit breiten Dächern vorbei und wären beinahe in einem Misthaufen stecken geblieben, den ich übersehen hatte. Meinem winzigen roten Subaru wäre das durchaus zuzutrauen gewesen, das Steckenbleiben im Mist. Dann kam uns Britta entgegen, frisch wie ein Sommerwind. Das Blondhaar hatte sie hochgesteckt, trug ein ärmelloses Kleid in beiger Grundfarbe und war barfuss unterwegs. Sie wirkte wie der Protoyp der Naturfrau, die sie ja auch war.
Drei Frauen
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Drei Frauen
Sag es mir – ich werde es vergessen
Zeig es mir – ich werde mich daran erinnern
Beteilige mich – ich werde es verstehen
Besorg es mir – ich werde mich in Dich verlieben
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