Drei Haushalte

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Drei Haushalte

Drei Haushalte

Claudia Carl

Ich wollte das alles nicht.

Ich war meiner Frau wirklich und wahrhaftig vier Jahre lang treu, trotz meiner potenten 44 Jahre. Und das, obwohl ich vorher in der Tat nichts habe anbrennen lassen, wie man so schön sagt. Ich war überall unterwegs, wo es sexwillige Damen abzugraben gab. Beispielsweise im Kinky in München, vor allem, als es noch in der Lindwurmstraße war, in einem kleinen Ladencafe. Dort konnte man ganz spontan vorbeischauen, da es so verkehrsgünstig mitten in der Stadt lag, und dann einfach mal abwarten, ob was geht.

Der Donnerstag war ein beliebter Tag. Irgendein Stammtisch hatte diesen zu seinem Abend erklärt, war es der Lack- und Leder- oder der Transenstammtisch, ich weiß es nicht mehr. Die skurrilen Gestalten, die dazu gehörten, füllten jedenfalls schon mal den kleinen Raum, und damit zogen sie auch alle anderen an. Etwa die, die sonst donnerstags im Cook waren, einem abgefuckten Ort am Sendlinger Tor, an dem vor allem devote Männer sich herumtrieben. Aber auch Paare aus der Swingerszene oder Voyeure aller Art ließen sich dort blicken.

So war es auch donnerstags im Kinky. Manchmal kam ich schon früh, gegen 19 Uhr. Dann waren nur die in enge Lackklamotten gepressten schrägen Vögel da, aber mit diesen ließ sich auch trefflich quatschen, während man sich einen hinter die Binde goss. Klar, sexuelle Ausschweifungen gingen immer mit Alkohol einher. Nach den ersten zwei, drei Gläschen wurde alles so viel beschwingter und so viel leichter. Und irre Sachen, für die man sich sonst schämen würde, brachte man mit ein paar Promille im Hirn total leicht übers Herz. Ich denke da etwa an den Abend, an dem sich Susi gefesselt an die Decke hängen ließ. Oder an den, an dem der Barmann und seine neue Flamme es so wild trieben, dass sie die Anlage an den Kabeln herunterrissen, die auf den Kacheln in Stücke zerbrach. Das war übrigens der Anfang vom Ende dieses Kinky, denn es war nur ein Beispiel für die Unfähigkeit des Wirts. Er war zwar geil, konnte aber nicht wirtschaften.

Aber mindestens neun, zehn Monate lang war das Kinky eine super location, an der ich immer wieder willige Damen kennenlernte. Etwa diese Susi, die mit ihrem Partner da war, der nichts dagegen hatte. Oder eine gewisse Anna, die mich via Susi ansprechen und mir ausrichten ließ, ich sei der hübscheste Devote, den sie je gesehen habe. Sie hatte das schon richtig erkannt, ich hatte ein Faible für die devote Rolle, was ich mit Anna dann versuchte, auszuleben. Wir verabredeten uns in meiner Wohnung, sie brachte einen mega Arschdildo mit, den ich reinstecken musste. Dann sollte ich sie lecken. Doch mittendrin schob sie mich plötzlich weg. „Ich glaub, ich steh doch nicht auf devote Männer.“

Während meiner Zeit in München war ich natürlich auch im Kitcat Club, einem Sado Maso Schuppen im Euro Industriegebiet. Auch als es später in die Domagkhallen umzog, ging ich gerne dorthin. Die Räume waren groß, es gab einen harmlosen Saal mit Stühlen und Sofas rundum, wo man einfach nur sitzen und abwarten konnte. Dann war da die Bar mit Tanzfläche, beleuchtet von Schwarzlicht mit kreisenden Strahlen, unter denen sich Lack- und Ledergestalten bewegten. In einem kleineren Raum standen gynäkologische Stühle, davor eine Art Zuschauerreihen, hier gab es anregende Schauspiele zu sehen. Dann war da noch der Raum, in dem die action abging, dort war es dunkel und ging drunter und drüber. Ich bekam immer etwas Gutes ab.

Ich war auch bei Tinder aktiv und bei Joyclub. Bei Joyclub hatte ich eine Sklavin, die mich jeden Morgen weckte und mir dann aus der Ferne – sie war in Berlin – per Video einen runterholte. Das ging viele Monate lang so. Manchmal kam sie auch nach München und wir gingen auf die Sado maso Party in dieser Disko neben dem Nachtcafe, habe leider den Namen vergessen. Die Berinerin war natürlich nur eine von vielen, der Nachschub ging einfach nie aus. An Details kann ich mich fast gar nicht mehr erinnern. Eine Sache ist mir noch krass in Erinnerung, als eines meiner Dates sich mitten auf der Straße hinsetzte, den Slip runterzog und pinkelte.

Nicht zu vergessen selbstverständlich auch das Pornokino Cinestar, das eines Tages seinen Namen zu „Adel“ veredelte. Hier war der Freitag zu empfehlen. Offenherzige Damen, die mit ihrem Mann hier waren, berücksichtigten mich immer gerne in ihrem Sex-Programm. Ach ja, und die Swingerclubs, das Cats, das Ibiza – ewig her, es war in einem ehemaligen Puff - und das Karibik.

Sie sehen, mich in diesen Kreisen zu bewegen, war quasi mein Hobby.

Dann aber kam Hilda.

Auch sie hatte ich quasi als One- Night Stand kennengelernt. Wir schrieben uns bei Joyclub, sie lud mich mehr oder weniger sofort zu sich nach Hause ein.

Hilda war anders. Oder eher: Mit Hilda war es anders.

Obwohl oder vielleicht weil sie zehn Jahre älter war als ich und zwar Sex liebte und mir diesen so lange intensiv gab, bis ich mich in sie komplett verknallt hatte, dann aber anfing, mich wegzuschieben. Nein, nicht dass wir uns trennten. Aber Hilde kam immer öfter mit einer Art Vernünftigkeit daher, die mir eigentlich nervte. „Es gibt auch noch was anderes als Sex“, behauptete sie etwa oder „Lass mich doch einfach mal schlafen.“ Man möchte meinen, dass ein so behandelter Mann das Weite suchen würde, jedoch das Gegenteil war der Fall: Es machte Hilda für mich noch interessanter. Ihre Ablehnungen machten mich süchtig nach ihr, danach, sie doch wieder in den hechelnden Zustand zu kriegen, in dem sie nach mir verlangte. Womöglich, ich gebe es ungern zu, war das meine devote Ader, die aufs Schlecht –Behandeltwerden so voll abfuhr.

Ja, wenn ich jetzt so überlege, dann muss es so gewesen sein. Ich wollte leiden, leiden für Hilda, leiden mit Hilda. Das ist auch eine Art von Devotheit. Und eine Form dieses Leidens war Treue.

Diese Treue schwor ich ihr auf dem Standesamt. Ja, verdammt, wir haben geheiratet. Der Oberswinger vom Dienst, Paolo, macht einen Heiratsantrag, heiratet mit Mama, Papa, Schwester und Schwiegereltern, und zieht mit EINER Frau zusammen. Wir haben sogar noch immer ein gemeinsames Schlafzimmer, wenn auch getrennte Bäder.

Wer mich kannte, konnte es nicht glauben. Heiraten??? Paolo! Bist du krank? Das kann doch nicht gutgehen! Wenn du mal fremdgehen willst, ich mach gern das Alibi.

So und ähnlich reagierten meine Freunde und Freundinnen, aber sie haben sich alle geirrt. Ich habe Hilda nicht betrogen.

Bis zu diesem vermaledeiten Abend.

Ehrlich gesagt, ich wusste nicht mehr, was gerade die aktuelle Coronaregel war. Ob ein oder zwei Haushalte oder nur im Umkreis von irgendwelchen Kilometern. Wir hatten aufgehört, uns darüber zu informieren. Hilda und ich hatten eine megageile Wohnung, denn wir beide verdienten gut, vor allem ich, aber sie auch. Wir konnten es uns leisten und uns ein schönes Leben machen. Normalerweise waren wir in Weinlokalen unterwegs, denn das war zum Glück von Anfang an etwas, das uns verband: Wir tranken gern einmal einen.

Nachdem diese abartige Coronascheiße monatelang andauerte, fehlte das natürlich. Aber glücklicherweise hatten wir im Sommer, als gerade mal Lockdownpause war, zwei gleichgesinnte Paare kennengelernt. Nein, gleichgesinnt ist hier nicht sexuell gemeint, das haben wir ja gemeinsam nie mehr praktiziert. Das war auch so eine Sache, dass Hilda das nicht wollte, obwohl sie es doch vorher mit allen möglichen Kerlen hatte krachen lassen.

Mit den beiden Paaren jedenfalls, die gleichgesinnt im alkoholischen Sinne waren, oder auch im kulinarischen, haben wir uns im gesamten Lockdown immer wieder getroffen, egal wie gerade die Regel war. Mal bei uns, mal bei Kati und Fritz und mal bei Irmi und John. Alle vier waren ebenso wie wir gut betucht, mussten nicht aufs Geld schauen, gönnten sich gerne was und vor allem liebten sie Wein. Natürlich nur den besten, bestellt bei Winzer x und y, da hatte jedes Paar seine zahlreichen Geheimtipps, die die anderen gerne ausprobierten.

Ich gebe zu: Wir waren alle immer total blau, bei allen unseren Treffen.

Aber das, war gestern passiert ist, das war nicht geplant.

Ich hatte gerade 100 Flaschen Wein geliefert bekommen, die ich meinem nagelneuen sündteuren Flaschenschrank aufbewahrte. Es war mein Geburtstag, der 44. Schnapszahl. Ja, deshalb gab es auch Schnaps. Grappa, natürlich Super Sonder special edition oder sowas, die zwei Flaschen hatte John mitgebracht. Hilda hatte wieder exquisit gekocht, Entenbrust mit Salbei und Gratin, die Vorspeise brachten Kati und Fritz mit, die Nachspeise, eine Art Luxus-Tiramisu, Irmi und John.

Wir trafen uns schon um 14 Uhr, denn es war ja Ausgangssperre und wir mussten uns um 20.45 Uhr wieder trennen.

Das klappte allerdings diesmal nicht.

Als ich aufwachte, zeigte mein elektronischer Wecker die Uhrzeit 6.55 Uhr, meine Augen schienen zu zerreißen, als ich sie öffnete und in meinem Kopf hämmerten massenhaft Bauarbeiter.

Ich drehte mich ganz langsam um, denn ich hatte das Gefühl, dass hinter mir etwas sei. Das Etwas war nackt, jedenfalls untenrum. Oben trug der schlanke Körper noch einen sexy roten BH, allerdings sehr verrutscht oder verschoben, der kleine Busen war auf einer Seite sichtbar. Die zarten Beine waren gespreizt, so dass ich die Feuchtigkeit zwischen ihren Lippen sehen konnte.

Es war Kati.

Und in dem Moment, als ich sie erkannte, begannen Bilder in meinen schmerzenden Kopf zu poppen oder besser gesagt Erinnerungsfragmente. Auf meiner Zunge breitete sich plötzlich ein Geschmack aus, in meiner Nase war noch derselbe Geruch, der auch von Kati ausging. Mir fiel auch plötzlich wieder ein, wie ich mich dagegen gewehrt hatte, innerlich, tatsächlich Katis Aufforderung zu folgen, wie ich aber, angetrieben vom Wahnsinn des Alkohols, der oft eine Aufforderung zu unsäglichen Taten ist, nachgegeben und mich festgesaugt hatte und wie ich noch während ich saugte und saugte und saugte dachte, dass ich das doch nicht darf.

Ich drückte meine Handfläche auf meine Stirn, während ich mich aufsetzte. Ich selbst trug ebenfalls nur noch oben herum etwas, nämlich mein Geburtstagshemd, die Krawatte hing lose herunter. Ich schaute mich um. Meine restlichen Kleider lagen vor dem Bett, vermischt mit Katis. Ich fischte meine Boxer Short heraus, zog sie mir unter Schmerzen an und stand auf. Ich schlich ins Nebenzimmer, denn Kati und ich befanden uns im Schlafzimmer. Im Wohnzimmer erblickte ich eine zerstörte Tafel mit umgefallenen Gläsern, Weinflecken auf dem Teppich, und vier Personen auf demselben. Meine Hilda hatte ihren Kopf auf die Schulter von John gebettet, sie atmete durch den offenen Mund und schnarchte dabei gleichzeitig. Johns einer Arm lag um Hilda, sein anderer auf dem Bauch von Irmi, an die sich wiederum Fritz kuschelte.
Mein Kopf drohte zu zerspringen, bei jedem Schritt, und als ich mich erst versuchte, herunter zu beugen – ich musste schnell wieder hoch.

Ich setzte mich an den verwüsteten Tisch, der Geruch von Weinresten zog mir in die Nase, mich würgte. Leider waren in meinem Kopf keine weiteren Erinnerungen aufzutreiben. Das Letzte, was ich noch wusste, war, wie ich John mit einem halbvollen Wasserglas mit Grappa zugeprostet hatte. Oh Scheiße! Wir hatten ja, so wie es aussah, wohl Spaß gehabt. Sogar meine brave Hilda. Aber wenn das später alles offensichtlich werden würde, würden wir uns dann wieder unbefangen treffen können?

Ich ging in mein Bad und holte eine extra starke Kopfschmerztablette, warf sie ein und begann, etwas aufzuräumen. Plötzlich stand Kati in der Tür, unten ohne und strahlend. „Hey, Paolo“, sagte sie und strich sich ihr Haar aus der Stirn. „War voll cool deine Party!“ Jetzt rührten sich auch die vier auf dem Teppich. Hilda hob ihren blonden Schopf und grinste. „Paolo!“ rief sie. „Schau nicht so deppert!“ Sie erhob sich und sie und Kati setzten sich an den Tisch und küssten sich auf den Mund. John, Irmi und Fritz räkelten sich, stöhnten, wälzten sich herum und saßen schließlich auch am Tisch. Nur ich stand noch vollkommen ungläubig mit ein paar dreckigen Gläsern in der Hand vor dem Geschirrspüler.

„Ist doch super“, sagte Hilda und streichelte John sanft über die Wange. „Jetzt sind wir sechs ja quasi ein Haushalt.“

„Dann können wir nächstes Mal noch zwei Haushalte einladen“, erwiderte John und küsste Hilda.

„Ich koch dann mal Kaffee“, sagte ich.

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