Die Drohne

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Die Drohne

Die Drohne

Anita Isiris

So, als wäre er kurz davor, ertappt zu werden, schlich sich Diego Hufnagel in die ToysRUs Spielzeugabteilung mit den neuesten Drohnen-Modellen. Seit einer Woche war er Rentner und hatte endlich Zeit für das, was ihn wirklich interessierte: Frauen. Als Buchhalter einer grossen Speditionsfirma war er nie wirklich dazu gekommen, seine Leidenschaft auszuleben. Die #MeToo Debatte hatte seine Lust auf das andere Geschlecht zusätzlich gedämpft – er wagte kaum mehr hinzuschauen. Rolltreppe zum Bahnhof. Badeanstalt. Nachbarinnenbalkon. Vor allem den Nachbarinnenbalkon wagte er kaum mehr ins Visier zu nehmen – obwohl er genau wusste, zu welchen Zeiten sich Martina dort an der Sonne räkelte: Im weinroten, knappen Bikini, und an gewissen Sterntagen sogar oben ohne. Martina war nicht die klassische Schönheit und wäre im Internet der Kategorie «Moppelchen» zugeteilt worden mit ihrem BMI von dreissigkiloproquadratmeter. Aber sie war jung, hatte einen warmen, sonnigen Gesichtsausdruck, langes, schwarzgelocktes Haar und einen Doppel-D-Naturbusen mit prägnanten Nippeln. Diego Hufnagels Beuteschema definierte sich über genau diesen Archetypus einer Frau.

Endlich stand er mit pochenden Schläfen vor den neuesten Drohnentypen – sie waren nicht nur elegant designt, sondern verfügten mittlerweile allesamt über scharfe, hochauflösende Kameras. Darum ging es ja letztlich. Worin lag der tiefere Sinn, eine Drohne fernzusteuern? In seiner Jugend hatte Diego Hufnagel Flugzeugmodelle gebastelt und sie auf der Wiese hinter dem elterlichen Haus in die Lüfte steigen lassen. Immer wieder war er enttäuscht worden, wenn er die Kontrolle über die liebevoll gebastelten Flugkörper verloren hatte und sie an einem Felsen oder einer Hauswand zerschellt waren. Dieses Schicksal war auch Drohnen beschieden, klar. Aber vorher hatten sie Bilder und Filme gesendet, an denen man sich nächtelang kaum sattsehen konnte.

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