Dunja, das Streichelmädchen

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Dunja, das Streichelmädchen

Dunja, das Streichelmädchen

Anita Isiris

Dunja war alles andere als prüde und besorgte es sich Nacht für Nacht selbst, mit vom Mond beschienenem offenem Haar. In ihren Fantasien waren die Männer in ihr, aber sie hing am Leben und ahnte, ohne wirklich jemals aufgeklärt worden zu sein, dass sie alles tun durfte, auch nackt, nur eben dieses eine nicht. Kein Mann durfte in ihr Allerheiligstes eindringen. Auf ihrer Kommode hatte Dunja sogar ein kleines Kunstwerk aus getrocknetem Lehm stehen. Eine Vulva, seitlich von einer Kerze beleuchtet. Zu Lebzeiten ihrer Familie hatte dort die Mutter Gottes gestanden, gegenüber einem Jesulein in der Krippe. Dunja hatte beides entsorgt – denn was ist schon Maria, was ist schon Jesus gegen eine hübsch modellierte Vulva.
Es begab sich bald darauf, dass Dunja reihum gereicht wurde. Sie wurde aber nicht etwa passiv herumgereicht, sondern sie gab sich den Männern selbst, auch dem geistig beeinträchtigten Joseph, Knecht auf dem Hof des Gruberbauern. Und alle hielten sich eisern ans Gesetz, das Silbert ihnen eingebläut hatte. «Streicheln dürft Ihr sie, dann gehört sie noch lange uns. Aber nur streicheln, nicht vögeln». So die derbe, unmissverständliche Sprache der Männer aus dem Gonserdorf. In zarten Schwaden kam ein Hauch von Glück ins Dorf zurück, und alle wussten, dass sie drei bis vier Mal pro Jahr eine Nacht mit Dunja verbringen durften. 100 Männer. 365 Tage.
Dunja, das Streichelmädchen. Dunja wurde auf dem Dachboden, im Heu, in den Weinkellern, in den Bäckereistuben, auf dem Schanktresen, auf der Weide, im Kuh- oder Schweinestall, in den Küchen und den rustikalen Schlafkammern von Gonserdorf gestreichelt, gestreichelt und nochmals gestreichelt – von schwieligen, gepflegten, grossen, kleinen, kräftigen, sehnenreichen oder weichen, schwammigen Männerhänden. Und alles war gut. Obwohl Dunjas Nacktheit die Vögellust der Eingeborenen ins Unermessliche steigerte, hielten sie sich an den Kodex, dass diese letzte innige Verbindung mit dieser Frau allen untersagt war.
Dunja wurde und blieb Allgemeingut, sie selbst genoss all die Männer als eine Art Privateigentum, die ihr nichts taten, als sie zu streicheln.
Dunja, das Streichelmädchen.
Und wenn sie nicht gestorben ist, so lebt sie noch heute. Kerngesund, sinnlich, frei von Chlamydien. Hepatitis A, B und C. Syphilis. Humanem Papillomavirus HPV und HIV.

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Dunja, das Streichelmädchen

schreibt Huldreich

Liebe Anita Isiris! Seit Jahren - seit ich Erozuna entdeckte - bin ich von Ihren Geschichten aus Höchste entzückt, auch die neueste wieder hinreißend, ich freue mich auf noch ganz ganz viele in ihrer unnachahmlichen Art und Weise. Liebe Grüsse Ulrich Hermann

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