Jocelyn hatte sich mit letzter Kraft an einem, vom Ufer in den Fluss hängenden, langen Ast festgeklammert und aus der schlammigen Flut auf festen Boden gerettet. Die Reste ihres sündhaft teuren Business-Kostüms hingen als schmutzige Lappen um ihren schmalen Leib. Ihre eleganten Pumps trieben wohl schon meilenweit flussabwärts. Barfuß, halb nackt, verdreckt und klitschnass stand sie knöcheltief in weichem Matsch, ohne die geringste Ahnung, wo sie eigentlich genau war. Sie verfluchte dieses Land, sie verfluchte diesen unaufhörlichen Regen und sie verfluchte den ganzen verdammten Kontinent, auf den sie niemals freiwillig gefahren wäre. Am meisten aber verfluchte sie ihren CEO, der sie in diese Lage gebracht hatte.
Afrika war für die geborene New Yorkerin mit irischen Vorfahren einfach nur ein real gewordener Albtraum. Die heiße Äquatorsonne war eine Qual für ihre helle, sommersprossige Haut. Die tropische Hitze ließ jedes Make Up zerlaufen und führte unweigerlich zu Schwitzflecken in der Bluse und das Macho-Gehabe ihrer einheimischen Gesprächspartner hatte in den vergangenen Tagen spürbar an ihrem Selbstvertrauen genagt. Nein, nein, nein, sie war selbstverständlich keine Rassistin – immer politically correct, of course! Aber es hatte doch wohl einen Grund, warum die Führungspositionen auch in ihrer Company überwiegend mit Weißen besetzt waren. Egal, wie gut die Anzüge der afrikanischen Manager geschnitten waren: in ihren Augen glichen die Typen eher Hausmeistern aus Downtown Manhattan.
Jocelyn hatte nackte Angst. Noch nie hatte sie einen solchen Regen erlebt, das Wasser war vom Himmel gestürzt, als habe Petrus seine Badewanne umgekippt. Der Range-Rover war auf der schmierigen Lehmpiste mitsamt ihrem Fahrer von einer plötzlichen Flutwelle mitgerissen worden. Sie hatte keine Ahnung, wie sie selbst noch aus dem Wagen gekommen war.
Ein afrikanischer Albtraum – Teil 1
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Ein afrikanischer Albtraum – Teil 1
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