Ein Rotmilan spielt Schicksal

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Ein Rotmilan spielt Schicksal

Ein Rotmilan spielt Schicksal

Sven Solge

Das Rauschen der Bäume weckte Fenja, schlaftrunken reckte sie sich und blickte zum Fenster.

Regnete es noch?

An der Glasscheibe der Balkontür waren zwar noch Tropfen zu sehen, aber es schien kein Regen mehr zu fallen.

Gerade wollte sie sich noch mal zurücklehnen, als ein Sonnenstrahl es durch die Wolkendecke schaffte und ihr direkt ins Gesicht fiel.

Das wäre zu schön! Seit drei Tagen war sie nun schon im Hubertushof und es hatte ununterbrochen geschüttet. Sollte es heute den ersten schönen Tag geben? Die Wirtin der Pension, Frau Lether, hatte es gestern schon vorausgesagt: „Ab morgen wird das Wetter besser! Der Ostwind treibt die Wolken immer in unser kleines Tal und die lassen den Regen dann hier ab. Aber ab morgen haben wir Westwind, dann kommt die Sonne.

Fenja schwang ihre schlanken Beine aus dem Bett und war mit wenigen Schritten an der Balkontür. Da sie immer nackt schlief, machte sie sich keine Gedanken darüber, dass jemand sie sehen könnte, weil keine zwanzig Meter vom Haus entfernt der dichte Wald anfing. Den jungen Mann, der hinter dem dicken Stamm einer Buche stand, sah sie nicht.

Nur die Gläser des Fernglases hätte sie vielleicht bemerken können, doch da sie sich gerade der Sonne entgegenstreckte und ihren grazilen Körper spannte, entging ihr die Spiegelung.

Der junge Mann, der eigentlich den roten Milan beobachten wollte, hatte nur durch Zufall die junge Frau entdeckt und ließ sich dieses schöne Exemplar jetzt natürlich nicht entgehen. Sein hervorragendes Fernglas, das er eigentlich nur für die Wildbeobachtung nutzte, zeigte ihm jetzt in aller Deutlichkeit den makellosen Körper dieser jungen Frau.

Sie fühlte sich unbeobachtet und bewegte sich dementsprechend ungezwungen vor dem Fenster. Jetzt öffnete sie sogar die Balkontür und begann mit einer leichten Gymnastik. Für den stillen Beobachter offenbarte sie jetzt die ganzen Vorzüge ihres Körpers.

Der Mann setzte kurz das Glas ab und schaute sich um. Nicht, dass er selbst beim Spannen erwischt würde, was absolut nicht seine Art war. Aber diese Frau bewegte sich so natürlich, dass er eine leichte Erregung verspürte. Ja er bekam sogar eine Erektion, sodass er seinem Schwanz mehr Platz verschaffen musste, indem er ihn mit der Hand in die richtige Lage drückte.

Seine Hände zitterten etwas als er das Glas wieder an die Augen setzte. Er musste sich am Stamm der Buche etwas abstützen, um das Zittern zu unterdrücken.

Die junge Frau, die jetzt Rumpfbeugen machte und sich dann hochreckte, hatte eine Traumfigur. Ihre Brüste waren straff und ihr Körper war perfekt geformt, sodass die Erregung des Beobachters immer intensiver wurde. Immer öfter legte er seine Hand auf die Härte, um sie zu drücken.

Dass er das Fernglas unbewusst zu der Stelle ausrichtete, die sich am Ende ihrer schlanken Schenkel befand, bemerkte er erst, als er bei dem Anblick ihrer Scham laut aufstöhnte. Erschrocken setzte er das Glas ab und hielt sich die Hand vor dem Mund.

Was machte er hier?

Aber die Lust, die er verspürte, ließ ihn die Vorsicht vergessen. Erneut setzte er das Fernglas an und blickte in ihre Augen.

Erschrocken verzog er sich hinter die Buche.

Was sollte er jetzt machen?

Gehetzt blickte er sich um! Der Stamm der Buche war zwar sehr dick und verdeckte ihn vollkommen, doch wie sollte er von hier ungesehen wegkommen?

Nach einer Weile lugte er vorsichtig um den Stamm herum und musste feststellen, dass die Balkontür geschlossen und die Vorhänge zugezogen waren. Sie hatte ihn wahrscheinlich doch gesehen.

Immer im Sichtschatten der Buche entfernte er sich jetzt von seinem Posten und verschwand im dichten Unterholz.

-*-

Fenja saß der Schock noch in den Beinen.

Hatte sie jemand beobachtet?

Deutlich hatte sie an der Buche, die unweit von ihrem Balkon am Hang stand, etwas metallisches blitzen sehen.

Erschrocken hatte sie sich sofort hinter den Vorhängen in Deckung gebracht und dann die Balkontür geschlossen. Auch als sie noch durch einen Spalt zur Buche rüber gesehen hatte, konnte sie nichts entdecken. Vielleicht hatte sie sich getäuscht? Auf jeden Fall würde sie jetzt vorsichtiger sein.

Auch während sie duschte, ging ihr dieses eigenartige Blitzen nicht aus dem Kopf. Sie war sicher, sich nicht getäuscht zu haben, zu deutlich hatte sie gesehen, wie dieser blitzende Gegenstand weggezogen wurde, als sie hinschaute.

Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie runter zum Frühstücksraum, wo die Wirtin - Frau Luther - sie freundlich in Empfang nahm: „Guten Morgen Fenja, habe ich es ihnen nicht versprochen, heute scheint die Sonne!“, sagte sie aufgeräumt und stellte ihr eine Kanne Kaffee auf den Tisch. „Soll ich ihnen ein Spiegelei braten, oder möchten sie lieber Rührei?“, fragte sie noch und als Fenja sich für Rührei entschieden hatte, meinte sie: „Kommt sofort!“

„Wollen sie heute eine kleine Wanderung unternehmen?“, fragte die Wirtin sie, als sie ihr die Rühreier brachte.

„Ja, werde ich!“

Fragte dann aber ganz gegen ihre Absicht: „Laufen im Wald hinterm Haus auch Touristen? Ich meine heute Morgen jemanden dort gesehen zu haben, kann mich aber auch getäuscht haben?“

„Nein sicherlich nicht, dort ist es viel zu steil, höchstens Siegmund der Förster, aber der ist jetzt im Urlaub, da ja Schonzeit ist!“

Frau Lether schien aber über etwas nachzudenken, hatte sich schon abgewandt, kam aber noch mal zurück: „Nehmen sie auf jeden Fall ein GPS-Gerät mit, man verläuft sich schnell im Wald und Handyempfang gibt es auch nur selten.“

Fenja nickte ihr zu und bekräftigte, dass sie sich eins vom Tresen holen würde. Schon bei ihrer Ankunft hatte man sie mit dem Gerät vertraut gemacht und darauf gedrängt, auf jeden Fall immer eins mitzunehmen. Nach dem ausgiebigen Frühstück zog sie sich auf ihrem Zimmer ihre Wanderschuhe mit den dicken Socken an. Da es heute warm werden würde reichte ihr Shorts und ein T-Shirt. Für den Notfall hatte sie in ihrem kleinen Rucksack noch eine leichte Regenjacke mit Kapuze.

Eine Flasche Wasser und zwei Müsliriegel, als Wegzehrung, sollten bis Mittag reichen, dann wollte sie zurück sein.

Nachdem sie sich noch den GPS-Empfänger geholt hatte, machte sie sich auf den Weg.

Vor dem Haupteingang begab sie sich nach links und umrundete das Haus. Ihre Neugierde hatte gesiegt! Sie wollte wenigstens wissen, ob sie sich getäuscht hatte. Nach dem tagelangen Regen, müssten an der Buche Fußspuren zu sehen sein.

Ihr Vorhaben gestaltete sich schwieriger als sie gedacht hatte. Ein Zaun versperrte ihr ein Weiterkommen, doch als sie ein Stück am Zaun entlang gegangen war, entdeckte sie eine unverschlossene Pforte.

Die Böschung war sehr steil und rutschig, aber schließlich schaffte sie es doch und erreichte die Buche.

Und tatsächlich, sie hatte sich nicht getäuscht! Hinter der Buche war der Boden regelrecht zertrampelt und eine gerade Spur führte von dem Stamm weg. Erst wollte sie der Spur folgen, unterließ es dann aber, weil die Böschung noch steiler wurde. Ihre Vermutung hatte sich ja bestätigt.

-*-

Johann verließ das Dickicht und folgte dem Forstweg bergauf. Er war wütend auf sich und schimpfte laut vor sich hin. Was hatte er sich nur dabei gedacht, diese junge Frau bei ihrer Morgengymnastik zu beobachten. Das war absolut nicht seine Art, er, der sich schon immer über die oft zotigen Witze seiner Freunde vom Schützenverein über Frauen aufregen konnte, betätigte sich als Spanner.

Fluchend folgte er dem Weg bergauf.

An einer Weggabelung lichtete sich der Wald etwas und wie ein Wunder zog der rote Milan über ihm seine Kreise.

Es erschien Johann wie ein Wink des Himmels, dass er diesen schönen Vogel nochmals vor sein Fernglas bekam. Sein gegabelter Schwanz und seine spektakulären Flugkünste hatten Johann schon als Kind begeistert, deshalb folgte er ihm jetzt mit seinem Glas, indem er vorsichtig weiter ging. Er kannte sich hier aus, war ja schon als kleiner Junge durch diese Wälder gestreift.

Doch als der Rotmilan sich jetzt den Wipfeln der hohen Tannen näherte und zu verschwinden drohte, machte Johann ein paar Schritte seitwärts und trat plötzlich ins Leere. Hilflos ruderten seine Arme in der Luft, um irgendwo Halt zu finden, doch dabei ließ er sein Fernglas los, das am Rande des Forstweges im Gras liegen blieb. Die dünnen Zweige, die er mit seinen Händen greifen konnte, gaben seinem Sturz nur noch eine andere Richtung und rissen dann ab.

Der hohe Pfeifton des Rotmilans klang ihm noch wie Hohn in den Ohren, als er mit einem dumpfen Schlag auf den toten Baumstamm, die Besinnung verlor. Den stechenden Schmerz verspürte er nicht mehr, als ein spitzer Ast seinen Oberschenkel durchbohrte.

-*-

Fenja wanderte fröhlich singend den Waldweg hinab, der zu ihrer Pension führte. Sie war nun schon vier Stunden gewandert und hatte sogar ein paar Rehe auf einer Wiese, mit ihrem Handy filmen können. Doch nun spürte sie langsam ihre Füße, war sie es doch nicht gewohnt die Wanderschuhe so lange an den Füßen zu haben. Und bis zur Pension war es mindesten noch eine halbe Stunde zu laufen.

Gerade wollte sie ein neues Lied anstimmen, als sie glaubte ein Déjà-vus zu haben. Im Gras, keine zwanzig Meter von ihr, sah sie das gleiche metallisches Blitzen, welches ihr schon am Morgen so einen Schrecken eingejagt hatte.

Erschrocken blieb sie stehen und lauschte.

Aber ohne das hohe Pfeifen eines Vogels und das Rauschen der Bäume, konnte sie nicht hören.

Vorsichtig näherte sie sich der Stelle, die ihre Aufmerksamkeit erregt hatte.

Zu ihrer Überraschung lag da ein sehr großes Fernglas im Gras. Das hatte bestimmt jemand verloren und es noch nicht bemerkt.

„Derjenige wird bestimmt gleich zurückkommen, denn den Verlust müsste man sehr schnell bemerken, dazu war das Glas zu groß.“, dachte sie.

Sie bückte sich, um das Fernglas aufzuheben, als sie ein Stöhnen vernahm.

Erschrocken richtete sie sich wieder auf und sah sich um.

Woher kam das?

Da hörte sie es wieder!

Es kam eindeutig von unten, links vom Weg.

Fenja beugte sich über den Rand und sah unten am Hang einen Körper in einer Mulde liegen. Wieder hörte sie das Stöhnen.

Jetzt kam Bewegung in Fenja! Auch wenn der Abhang sehr steil war, so schaffte sie es irgendwie.

Sie erkannte, dass es ein Mann war, der eigenartig verkrümmt, mit einem Bein auf einem vermoderten Baumstamm lag. Vorsichtig kletterte sie in die Mulde und dann sah sie das ganze Blut und wenig später den Spitzen Ast, der aus seinem Oberschenkel ragte. Bei dem Anblick wurde ihr schlecht, auch wenn die Wunde noch von seiner Hose bedeckt war, so konnte Fenja sich vorstellen, wie es darunter aussah.

Sie beugte sich zu dem Mann runter und berührte ihn leicht an der Schulter: „Hallo können sie mich hören?“

Die Antwort kam sofort mit einem tiefen Stöhnen. Sein Kopf zuckte hoch, was ihm dann aber wohl so starke Schmerzen bereitet hatte, dass er den Kopf keuchend zurückfallen ließ.

„Sie dürfen sich nicht bewegen, bitte bleiben sie ruhig liegen ich werde Hilfe organisieren. Haben sie das verstanden?“

Er blickte sie verständnislos an, schloss dann für einen kurzen Moment die Augen und öffnete sie dann wieder. Fenja deutete das als „Verstanden“ und zog ihr Handy aus der Tasche. Das Unglück war perfekt, natürlich hatte sie in dieser Mulde keinen Empfang. Was sollte sie nun bloß machen? Ihre Gedanken überschlugen sich.

Sie legte dem Mann eine Hand auf die Wange und als der sie anschaute, sagte sie: „Ich habe hier unten keinen Handyempfang, ich muss dich für einen Augenblick alleine lassen, bitte nicht bewegen, ich komme sofort zurück, wenn ich jemanden erreicht habe!“

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