Als ich die Treppe zu meiner Wohnung hochsteige, ärgere ich mich über meine Naivität. Schon wieder habe ich geglaubt, dass Glück und Romantik nur eine Wischbewegung entfernt sind – angeboten wie ein leichtes Bonusfeature in Dating-Apps. Und wieder einmal wurde ich enttäuscht: Statt Märchen bekam ich heute einen verkrampften Abschied und einen schlappen Händedruck. Alles, was ich jetzt will, ist mich zu verkriechen, die Decke über den Kopf zu ziehen und niemanden mehr zu sehen.
Doch sobald ich den Schlüssel im WG-Schloss drehe, spüre ich die vertraute Wärme, die mir entgegenströmt. Früher war dieser Flur für mich nur ein Durchgang, heute ist er wirklich ein Zuhause. Ich erinnere mich daran, wie ich nach meiner Wohnung gesucht habe – voller Wunsch nach Unabhängigkeit, aber ziemlich schnell vom Zürcher Mietmarkt ausgebremst. Eigentlich hatte ich eine eigene Wohnung gewollt, doch dann sprach mich dieser eine WG-Text an: „Mitbewohnerin für entspannte WG gesucht – Pastaliebhaber*innen bevorzugt.“ Fast widerwillig hatte ich mich gemeldet – und beim ersten Treffen mit Giulia gemerkt, wie perfekt es passt. Kein vorsichtiges Herantasten, kein Small Talk, einfach ein Gefühl von sofortiger Vertrautheit.
In der Küche brennt Licht. Giulia ist noch wach. Ich merke, wie die Aussicht, nicht allein in meinem Selbstmitleid schmoren zu müssen, meine Laune leicht hebt. Vielleicht kann ich heute sogar über dieses missratene Date lachen.
Mich erwartet eine Szene, die so typisch ist, dass sie schon fast an Kitsch grenzt: Musik aus ihrem kleinen Lautsprecher, eine geöffnete Flasche Chianti und Giulia – entspannt, mit schiefem Zopf, hochgekrempelten Ärmeln und einem ansteckenden Lächeln. Das Licht fällt auf ihren Hals, eine feine Haarsträhne hat sich gelöst und streichelt ihre Wange. Für einen Moment verweilt mein Blick auf ihr, auf den flüchtigen Linien ihres Profils, auf dem unwillkürlichen Glanz ihrer zart gebräunten Haut.
Sie rührt im Topf, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Ich muss bei ihrem Anblick sofort an die vielen Abende denken, seit ich hier wohne – an das sichere Gefühl, dass alles ein kleines bisschen leichter wird, sobald wir zusammen am Tisch sitzen.
Eine Prise Nähe, ein Hauch Verlangen
36 7-11 Minuten 0 Kommentare

Eine Prise Nähe, ein Hauch Verlangen
Zugriffe gesamt: 1338
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.