Eine Malerin und ihr Modell

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Eine Malerin und ihr Modell

Eine Malerin und ihr Modell

Ruth Gogoll

Sie öffnete die Tür und ließ mich ein wie immer. »Zieh dich aus«, sagte sie. Nicht barsch, nicht unfreundlich, aber auch nicht interessiert, in keiner Weise gefühlvoll oder einfühlsam. Sie sah mir nicht zu. Ich hätte gar nicht hinter den Wandschirm gehen müssen. Ich hätte mich genausogut direkt vor ihr ausziehen können.
Als ich nackt war, ging ich zu dem Stuhl, auf dem ich die letzten Male gesessen hatte, ein unbequemer, gerader Stuhl, der mich zwang, gerade und aufrecht zu sitzen, auch wenn ich müde war und sie mich stundenlang in einer Position verharren ließ, die meines Erachtens nichts mit Natürlichkeit zu tun hatte.
»Nein!« sagte sie plötzlich energisch. Sie sah knapp an mir vorbei, als ich mich umdrehte und zu ihr hinüberblickte. »Leg dich hin. Da steht ein Sofa.«
Jetzt, da sie mich darauf aufmerksam machte, sah ich es. Es war zuvor nie dagewesen. Sie mußte es neu besorgt haben. Es war ein altertümliches Sofa, eher eine Chaiselongue, kein besonderes Stück, weder antik noch neu. Es sah eher aus, als sei es ausrangiert worden. Die rötliche Farbe war schon etwas verblaßt und das kleine weiße Blümchenmuster darauf hatte sich farblich fast schon an die Umgebung angepaßt. Es wirkte undefinierbar, ausdruckslos. Kein Charakterzug seiner Besitzer – außer vielleicht deren Spießigkeit – hatte sich darin eingegraben. Und auch jetzt erfüllte es wieder nur eine Funktion, so, wie es sie vielleicht schon die letzten 50 Jahre in irgendeiner Wohnküche erfüllt hatte.
Sie wurde ungeduldig. »Was ist?« Ich merkte an ihrer Stimme, daß ich ihr heute besser nicht widersprach. Das gefiel ihr nie, aber manchmal ignorierte sie es einfach und ich konnte es mir leisten, gegen die eine oder andere Position zu protestieren, wenn sie mir allzu unbequem erschien. Heute würde sie keinen Widerspruch dulden. »Leg dich endlich hin.«
Ich sah sie fragend an und legte mich flach auf den Rücken. Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Nicht so! Leg dich auf die Seite und stell ein Bein auf. Ich möchte deinen Bauch sehen.«

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