Ein Tagesende im Juli

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Ein Tagesende im Juli

Ein Tagesende im Juli

Juline Carreaux

Etwas Unfassbares strömte von diesem Mädchen aus . An jenem verhangenen Montag im November sollte sie sich morgens vorstellen. Seit Tagen tröpfelte es vom Himmel, die Bäume waren leer und die Feuchtigkeit schien durch die Außenmauern zu sickern. Ich hielt gerade die schwarzweißen Umrisse eines Kiefers ins Licht, als es summte. Ohne meinen Blick von der Aufnahme abzuwenden, tastete ich nach dem Türöffnerknopf. Nach einer Weile steckte ich die Aufnahme wieder in den braunen Umschlag und ging ins Wartezimmer.
Ein junges Mädchen mit langem, rötlich schimmerndem Haar saß auf dem Sofa, die langen Beine übereinander verschränkt und blickte verträumt aus dem Fenster in die nässende Nebelwand. Das Zimmer roch nach Sandelholz.
„Frau Anders?“
Das Mädchen sah mich an und in seinen Augen flackerte so ein bizarres, mystisches Licht. Ganz seltsam. Strange. Es nickte.
„Kommen Sie bitte“, sagte ich, um einen sachlichen Ton bemüht, denn ich spürte eine überreizte Unruhe plötzlich in mir, wie vor einer Prüfung oder so. Mein Mund war auf einmal ganz trocken, meine Hände feuchtkalt. Stress.
Das Mädchen erhob sich langsam. Es trug eine enge, ausgewaschene Jeans und einen schwarzen Pulli, der einen wunderschönen Busen verriet. Die Bewegungen des Mädchens waren lautlos geschmeidig, wie die eines Panthers. Als es mir ins Gesicht blickte, spürte ich eine fremdartig vertraute Energie, die von seinen unbegreiflichen, undurchschaubaren Augen auszugehen schien, unaufhaltsam in mich eindrang und sich wellenförmig in meinem Körper ausbreitete. Ich konnte seinem Blick nicht standhalten und wandte mich unwillkürlich ab, so als ob ein heller Lichtstrahl meine Iris getroffen hätte.
Während wir uns an meinem Schreibtisch gegenübersaßen und ich versuchte, seinen Lebenslauf und seine Zeugnisse zu lesen, betrachtete das Mädchen mit weit geöffneten, interessierten Augen die bunten Papageienbilder an den Wänden. Wie eine kleine Seejungfrau, die zum ersten Mal an Land geht, nahm es die Bilder mit Erstaunen in sich auf. Verstohlen tasteten meine Augen über die Umrisse seines erotischen Körpers und dann blickte ich wieder auf die Papierseiten in den durchsichtigen Hüllen vor mir und versuchte, ein Wort nach dem anderen zu erfassen. Meine Gedanken verloren allmählich ihren Zusammenhang, so als ob ein Sender plötzlich in meine Gehirnströme funken und sie in Fetzen reißen würde. Mein Blut pochte laut in meinem Schoß und am liebsten hätte ich sofort den Raum verlassen. Etwas Unfassbares strömte von diesem Mädchen aus und ich spürte, dass der Raum immer enger wurde, so als ob die Wände immer näher und näher kämen und das Mädchen mit ihnen, wie eine riesige Welle, die über meinem Kopf zusammenschlug und mich fast ertränkte. War ich dem Mädchen schon einmal begegnet? Ich konnte mich nicht erinnern, aber das unheimliche Gefühl des Sich-bereits-Kennens war in mir. Eine eigenartige Vertrautheit und eine völlig neuartige Erregnung. Noch nie hatte mich vorher eine Frau angezogen. Was sollte das jetzt hier? Worum handelte es sich? Ich war ziemlich verwirrt.

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