Eiskalt

10 6-11 Minuten 0 Kommentare
Eiskalt

Eiskalt

Claudia Carl

Ich habe mit so oft vorgestellt, wie es mit ihm sein könnte. Wir könnten ein Hotelzimmer mieten und uns dort am Nachmittag treffen, um 15 Uhr. Wir würden die Vorhänge zuziehen, so dass es ein wenig schummrig wäre, genau so viel, dass man ein bisschen jünger und besser aussieht, auch nackt. 15 Uhr ist außerdem für mich eine Orgasmus freundliche Zeit. Ich bin noch nicht zu müde und schaffe es in relativ kurzer Zeit. Ich stelle mir vor, wie er mich begattet, ja genau dieses Wort würde zu seiner Art von Ficken passen. Gradlinig, männlich, ohne das Gesicht zu verlieren, das Ego. Er würde vermutlich nicht einmal stöhnen beim Kommen, ja, genau so ein Typ war er. Aber gerade das gefiel mir. Es hatte etwas Väterliches, etwas geborgen-verdorbenes, diese perfekte Mischung, die mich anmacht. Ein autoritärer Vater, der nur für mich dahinschmilzt, nur mir in dieser heimlichen Intimität seine Güte schenkt.

Von einem warmen Hotelbett sind wir an diesem Nachmittag weit entfernt. Die Hotels sind ebenso geschlossen wie die Gaststätten und unser Tanzlokal in diesem verdammten Dauer- Lockdown. Einen Spaziergang habe ich vorgeschlagen, von ihm kam wie immer nichts außer selbstbewusstem Abwarten. Was bleibt einem sonst in diesen Zeiten außer an der frischen Luft nach etwas Einsamkeit und Abgeschiedenheit zu suchen. Dass Horst Angst vor dem Coronavirus hat und sich deshalb nur an der frischen Luft treffen will, glaube ich nicht. Obwohl ja derzeit die intelligentesten Menschen dieses Märchen glauben, es ist immer wieder erschütternd.

Er redet wenig wie immer, wir gehen den kalten einsamen Weg entlang hinein in den Forst, kein Mensch kommt uns entgegen. Ich stecke meine Hand zu seiner in die Jackentasche, er schaut zu mir herunter, ausdruckslos. Er tut nichts dafür, seine Beute zu kriegen. Er weiß, dass sie ihm nachlaufen wird. Ich mache mir nichts mehr draus, Hauptsache, er ist jetzt hier.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 6709

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben