Enthüllung

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Anita Isiris

Lieber Ralph

Ein blauvioletter Nachthimmel senkt sich über Darwin. Wir schreiben den 27. August 2070. Die Stadt glüht. Während noch 2007 11 Tage mit einer Temperatur von 35 Grad Celsius verzeichnet wurden, sind es im aktuellen Jahr 235 Tage mit dieser Temperatur. Die meisten von uns haben es aufgegeben, schwanger werden zu wollen – geschweige denn, ein Kind auszutragen. Zu viel Flüssigkeit wird hierzu benötigt. Zu viel Flüssigkeit. Lediglich in der Südsee entsteht noch Nachwuchs da und dort. In Europa stagniert die Bevölkerung. Die Leute krepieren mit 50. Babies gibt es keine mehr. Ich aber bin eine glückliche Auserwählte, meines Wissens die einzige schwangere Europäerin, der echte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ich stamme aus München. So sehr ich die Stadt liebe… den letzten Teil meiner Schwangerschaft verbringe ich in Darwin. Ich lebe am Coconut Grove – ohne Kokosnüsse allerdings. Die letzten sind vor 20 Jahren gefunden worden. Hier fühle ich mich sicher. Umgeben bin ich lediglich von Kameras; sehr vielen Kameras, die leise vor sich hin surren. Ich bin eine öffentliche Frau. Öffentlich zugänglich für alle, die das wollen – virtuell, versteht sich. Man kann meinen Körper virtuell begehen, befühlen – und sogar befummeln, wenn’s denn sein muss. Ich bin im 8. Monat. Einiges zu sehen also. Nippel wie Schattenmorellen. Ein Bauch, so sensibel wie Schmetterlingsflügel, als es noch Schmetterlinge gab. Für das Kind in mir kommen mehrere Väter in Frage.

Für dieses gigantische und fabelhaft bezahlte Internet-Projekt musste ich mit fünf Männern schlafen – vor laufenden Kameras, versteht sich. Alles haben sie aufgezeichnet, wirklich alles. Die Welt will wissen, wie das letzte Kind Europas entstanden ist. Ich mag die Löffelchenstellung. Ich liebe es, mich an die Hüften eines Lovers zu schmiegen, ihn ganz tief in mir drin zu fühlen, und meinen Hintern ganz sachte zu bewegen. Ich liebe es, den Mann in mich aufzunehmen, oh ja. Wenn er dazu sanft meine Brüste massiert… welch ein Luxus, welch ein Luxus. Das macht mich ganz vergessen, dass ich dauernd ein wenig Durst habe. Ich kam 2045 zur Welt, bin also 25 Jahre alt. Damals sind die letzten Quellen versiegt. Heute verkaufen sie den Liter Evian für 20 Euro. Für mich spielt das keine Rolle, weil mir während der Schwangerschaft alles bezahlt wird – wirklich alles. Selbst die Kosten für den kleinen Solardildo hat Google übernommen… vorausgesetzt, ich zeige mich damit vor den Kameras dann und wann. Die Männer wollen wissen, wie sich eine Schwangere befriedigt. In Natura gibt’s so was ja nicht mehr – dafür auf den gigantischen Screens.

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