Erwartung

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Erwartung

Erwartung

Ulrich Hermann

WIE LANGE SIE wartete, wusste sie nicht mehr. Ihr kam es jedenfalls sehr lang vor. Dabei hatte sie schon mindestens eine Stunde in der Badewanne verbracht, sich in ihrem wohlriechensten Schaumbad lange und ausgiebig geaalt, den Schaum über ihrem ganzen Körper gelassen verteilt und sich hinterher, nach dem Abtrocknen, dem sie sich mit besonderer Sorgfalt hingab, mit einem Öl gesalbt, in dem Citrone und Sandelholz die beiden Hauptdüfte waren.

NUN STAND SIE schon geraume Zeit vor dem Spiegel ihres Kleiderschranks und überlegte, was sie für ihn anziehen sollte: Es kam immer darauf an, in welcher Stimmung ihr Liebster war. Mußte es besonders schnell gehen, kam nur etwas in Frage, was im Nu auszuziehen war - dann war ein kleines unschuldig-weißes Höschen am besten unter ihrem roséfarbenen Bademantel; das stimmte ihn vielleicht ein wenig gnädiger.

SIE MUSSTE AN das letzte Mal denken, unlängst, als er sie, oh, ja, das war zwar nicht ganz überraschend gekommen - sie ahnte eigentlich immer, wann es soweit war - aber, daß er so vehement sein konnte, das war ihr doch neu gewesen und hatte sie ein bißchen erschreckt.

NICHT, DASS SIE sich nach den ersten fast tändelnden Malen keine intensivere Begegnung hätte vorstellen können - heimlich hatte sie die sogar durchaus gewünscht. Aber als sie dann beim letzten Mal seine richtige Stärke gespürt hatte, war sie am Anfang doch ein wenig atemlos gewesen.

DESHALB WAR ES wichtig, genau das Richtige anzuziehen: Wie, wenn er diesmal eine längere Einleitung bevorzugte, sie in all seiner liebevollen Ausführlichkeit entkleiden wollte, immer ein Stück nach dem anderen? Dann wäre es klug, ein wenig mehr Aufwand zu treiben: Zum rosafarbenen Seidenhöschen nicht nur ihrem gleichfarbenen spitzenbesetzten Soutien-Gorges und natürlich die passenden Strumpfhalter mit den feinen, glatten Seidenstrümpfen!

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