Angina Möckemeyer (37), Chefsekretärin beim Baustoffhandel Erwin Holtzfeller & Sohn, sitzt an ihrem Büroschreibtisch im ersten Stock und schaut auf den Betriebshof mit den emsig wuselnden Gabelstaplern, die schwere Paletten auf wartende LKWs verladen. Das schnurgebundene Telefon in der RAL-Farbe 7035 lichtgrau klingelt. Ja, in der Tat, in seinem Alter darf es noch klingeln. Keine Melodien, kein neumodischer Schnickschnack.
"Ja, Chef?" und dann "Sofort!".
Mit der Linken prüft sie noch rasch den Sitz der Hochsteckfrisur, die an Waschmittelreklame aus den 1970er Jahren erinnert, farblich irgendwie zwischen dunkelblond und mausbraun. "Tadellos," denkt sie, bevor sie das Zimmer ihres Arbeitgebers durch die Verbindungstür betritt.
"Gina, ist das Angebot an Sanitär Meier raus?"
"Ja, Chef! Schon heute Morgen mit der Frühpost."
"Danke, Gina! Sie sind eine Perle. Auf Sie ist immer Verlass."
Leicht errötend schaut sie zu Boden. Mit Komplimenten konnte sie noch nie gut umgehen.
Nach der üblichen Überstunde verlässt Gina als letzte das Büro. Wenn sie nicht alles weggearbeitet hat, hat sie keine Ruhe. Schließlich warten am nächsten Tag schon wieder neue Aufgaben. Schon so oft hat sie ihren Chef gebeten, eine zweite Kraft einzustellen oder wenigstens eine Halbtagskraft. Doch der hat immer nur geantwortet: "Ich werde darüber nachdenken." Damit war die Sache für ihn erledigt. Mittlerweile schiebt Gina schon 37 Urlaubstage vor sich her.
Nach einer guten halben Stunde, mit fremden Menschen dicht zusammengepfercht im Bus, kommt sie zuhause an, einem grauen Mehrfamilienhaus aus den Sechzigern, typische Nachkriegsware. Im Hausflur begrüßen sie wie gewohnt Essensgeruch, schmutzige Schuhe und Kindergeschrei.
Erweckung
Gina und die Eindringlinge
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