Die Erzählerin

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Die Erzählerin

Die Erzählerin

Anita Isiris

Ich wusste, dass an den Rändern meines knappen Höschens ein wenig Haarpracht zu sehen war. Erst in der kommenden Woche hatte ich einen Bikinizonen-Termin bei meiner Kosmetikerin. Nino starrte, ich öffnete langsam die Beine. Dann setzte ich erneut zum Lesen an. “Lass diesen Scheiss Pasolini”, sagte Nino plötzlich, heftig erregt, “lass überhaupt alles. Ich will Dich.” Zu meiner grenzenlosen Verwunderung erhob er sich aus dem Rollstuhl und kam wankenden Schrittes auf mich zu. “Zeig Dich mir”, forderte er mich auf und packte mich an den Schultern. Meine Überraschung war grösser als die Angst, dass er mir etwas tun könnte. In seiner tollpatschigen Art wirkte Nino rührend – dennoch war ich gespannt auf ihn. Das Ungewöhnliche an der Situation machte mich an: Dieses Jungenzimmer mit den Glamrockern an allen Wänden – von Gary Glitter über T. Rex bis Slade und Suzi Quatro fehlte wirklich nichts. Hinzu kamen die durchgelegene Matratze, die zwei kleinen Fenster, der mausgraue Flokatiteppich... und diese Mutter, Ninos Mutter, die – einem Zerberus gleich – den Hades bewachte. Den Hades, jaja, Ninos Zimmer. Heiss war es jedenfalls – mir rannen Schweissperlen aus den Achseln. “Ich kann Dich riechen”, knurrte Nino hungrig. Für den Bruchteil eines Augenblicks erinnerte er mich an Hannibal Lecter (“i can smell your pussy”). Roch er meinen Achselschweiss? War es möglich, dass die psychosomatisch bedingte Lähmung, die jetzt aufgehoben schien, sein Riechorgan beflügelte (für die Mediziner unter Euch: den Tractus Olfactorius, der zur Perzeption direkt in der Hirnrinde endet?). War Nino gar ein kleines Monster? Ich schmiegte mich an ihn, versuchte so, ihn ein wenig zu beruhigen. “Ich bin nur Deine Erzählerin, weisst Du, nur Deine Erzählerin.” Jetzt wollte ich ihn auch. Nino duftete nach Body Lotion, und ich stellte mir vor, wie seine Mutter ihn liebevoll einrieb, Tag für Tag, ohne eine einzige Stelle seines Jungenkörpers auszulassen.

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Gedichte auf den Leib geschrieben