Vielleicht war es gerade dieses Unauffällige, das die Blicke so manchen Mannes aus Kroatien, der Tschechoslowakei, aus Ungarn oder Dresden an ihr haften liess. Esther war sich dessen bewusst, trug aber trotzdem keine extraweiten Pullis oder Pluderhosen, wenn sie in der Migros einkaufen ging. Nein, sie machte sich sogar einen Spass daraus, sich in hautengen Leggings zu zeigen, ihren Hausfrauenbusen unter nicht ganz blickdichten T-Shirts zu verstecken und auf ihre zwischendurch etwas verhärmten Lippen Gloss aufzutragen. Du ahnst es, lieber Leser: Esther war eine Exhibitionistin, und zwar eine erster Güte. Bei Licht und nicht gezogenen Vorhängen zog sie sich sorglos um, an Familienanlässen liess sie wie zufällig Fotos auf dem Salontisch liegen, die sie nackt während der ersten Schwangerschaft zeigten, und sie fand es reizvoll, die eingeschriebene Post (meist Schuldscheine) in Slip und BH entgegen zu nehmen. „Some kinda naughty“, würde der Engländer sagen, „kinda slutty“ der Amerikaner, „Schlampe“ der Deutsche.
Seit Jahren hatte Esther keinen Sex mehr gehabt. Drei Kinder hatten sie etwas ausgeweitet, und deren Erzeuger hatte das Weite gesucht, als er eines Tages entdeckte, dass er 45 war und das Leben wohl mehr bereit hielt als einen Hängebusen, eine Muschi, die er in- und auswendig kannte und Nachthemden, die bereits über Dutzende von Malen durch die Waschmaschine gegangen waren.
Auch Esthers Küche (Rösti, Knöpfli, Geschnetzeltes nach Züricher Art und Aprikosenkuchen mit Fertigteig) reizte ihn nicht mehr sonderlich. Beim Masturbieren in tiefer Nacht stellte er sich immer häufiger vor, seine „Milchkuh“, wie er Esther „zärtlich“ nannte, würde von den Händen eines andern massiert, ihr Hintern von einem grösseren, schwereren Penis gestossen und ihr Mund von einem lüsternen Steuerberater gefickt. Oder so.
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