Ein leises Geräusch verrät den Schlüssel, der in das Türschloss eindringt und sich zweimal dreht. Mit einem dezenten Knack springt die Tür auf und eine behandschuhte Hand greift durch den Spalt. Sie gehört zu einer vollkommen in Schwarz gekleideten Person.
Sophie Pätzold, Rechtsanwältin für Wettbewerbsrecht am Oberlandesgericht, hängt ihren Mantel an den Garderobenhaken. Sie kickt die hochhackigen italienischen Stiefeletten von den Füßen und lässt den klassischen, züchtig hochgeschlossenen Blazer von den Schultern gleiten, gefolgt von dem schmalen, knapp knielangen Rock, der nun einen Ring um ihre Füße bildet. Auf einen Büstenhalter müssen ihre straffen Brüste verzichten, denen die Schwerkraft trotz ihrer 38 Jahre bisher noch nichts anhaben konnte.
Sie greift an ihren Hinterkopf und zieht die Klammer aus ihrem strengen Dutt und fährt sich mit den sorgfältig manikürten Fingern durch die seidig glänzende kastanienbraune Haarmähne, die ihr jetzt in großzügigen Wellen herab bis zur Taille fällt. Nur noch mit einem sehr transparenten Spitzenstring bekleidet, tritt sie an das Sideboard im Wohnzimmer, auf dem ein silbernes Tablett mit Karaffen und Flaschen steht. Aus einer Flasche Single Malt Whisky von der schottischen Insel Speyside gießt sie etwas von dem goldenen Elixier in ein Kristallglas und prostet ihrem Spiegelbild zu
"Cheers Miss Sophie! Welche Wohltat nach einem harten Tag." Sie denkt zurück an die sechseinhalb Stunden dauernden, nervenaufreibenden Verhandlungen über eine Markenrechtsverletzung.
"Wenigstens bin ich ein gutes Stück weiter gekommen", sinniert sie.
"Und nun ist Entspannung angesagt."
Dazu gehört gute Musik, am besten klassische. Auf den Drehteller ihres guten, alten Thorens-Plattenspielers legt sie die LP eines ihrer Favoriten, Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 1 mit Daniel Barenboim und Zubin Mehta. Diese Musik versetzt sie stets in einen wohlig träumerischen Zustand, genau wie die ihres Lieblingskomponisten Sergej Rachmaninoff.
Feierabendfantasien
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