Finsternis

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Finsternis

Finsternis

Yupag Chinasky

Bei seinem Streifzug durch die Nacht auf den überhöhten Gehwegen, den suchenden Blick auf den hin und wieder natrongelb erhellten Boden gerichtet, begegnete er nur wenigen Menschen. Manchmal huschte eine Gestalt an ihm vorbei, hin und wieder kauerte jemanden still in einem Hauseingang oder hockte auf dem Trottoir. An den etwas mehr beleuchteten Straßenkreuzungen stand manchmal Gruppen von Männern und redeten leise. Lauter ging es in einem offenen Straßenlokal zu, in dem ganze Pulks von Männern auf kleinen Stühlen saßen, auf einen großen Fernsehschirm starrten, tranken, rauchten, Betel kauten und fasziniert ein Fußballspiel verfolgten und dabei alle Aktionen lautstark kommentierten. Im hinteren Teil der Schenke waren die Stühle zu einem Kreis angeordnet und die Männer spielten Karten. Sie ließen sich durch die Fußballfans nicht ablenken, lachten, schimpften und gaben ihrer Freude oder Enttäuschung über den Verlauf ihres Spiels genauso lautstark Ausdruck. Wie um die Beschwernisse des nächtlichen Rundgangs noch zu steigern, waren ganze Straßenzüge in der Innenstadt aufgerissen und bestanden nur aus tiefen Gräben und hohen Sandbergen. Auf schmalen Brettern gelangte man über diese Gräben auf die andere Straßenseite. Es gab keine Absperrungen, keine Geländer, keinerlei Sicherheitsmaßnahmen. Neben dem Bauschutt lagen Berge von Abfall. Flinke Schatten huschten über diese Berge. Ratten! Wer sonst hätte sich hier angesiedelt.

An einer Ecke, an der zwei aufgerissene Straßen aneinanderstießen, stand eine junge Frau in einer hellen, gestreiften Latzhose, auch sie natrongelb angestrahlt. In der Hand hielt sie ein gekochtes Ei, das sie bedächtig schälte und dann langsam aß. Dabei ließ sie den Fremden, der sie amüsiert beobachtete, keine Sekunde aus den Augen. Schließlich richtete sie einige Worte an ihn, in einer Sprache, die er nicht verstand. Er antwortete und fragte sie, was sie hier mache, in einer Sprache, die sie nicht verstand. Beide lachten wegen der Unmöglichkeit, eine Unterhaltung zu führen. Sie schauten sich noch eine Weile schweigend an, dann ging er weiter. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er, wie ihr neugieriger, trauriger Blick ihn verfolgte.

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