First Dates Hotel

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First Dates Hotel

First Dates Hotel

Sven Solge

Johanna war schon aufgewacht, als Mister Ed auf das Bett gesprungen war. Aber erst als Mister Ed ihr dann seine weiche Pfote ins Gesicht stupste und schnurrte, öffnete sie die Augen und zog ihren Kater zu sich heran. „Ist ja gut mein Liebling, ich stehe ja schon auf und gebe dir dein Frühstück!“ Als wenn der Kater sie verstanden hätte, reckte er sich noch einmal und war wenig später verschwunden.
Als Johanna dann in die Küche kam, stand Mister Ed vor seinem Fressnapf und schaute sie erwartungsvoll an. „Du verfressene Fellnase, du kannst doch noch gar keinen Hunger haben!“, schimpfte Johanna, öffnete aber eine Dose seines Lieblingsfutters und schaufelte es mit einem Löffel in sein Fressnapf, dabei drängte Mister Ed seinen Kopf dazwischen, sodass Johanna kaum Platz hatte, um die Dose zu leeren. Schmatzend hockte sich der Kater auf den Boden und vertilgte im null Komma nichts sein Fressen.
Johanna ließ ihren Kater allein und ging ins Bad.
Nachdem sie ausgiebig geduscht und sich angezogen hatte, bereitete sie sich ihr Frühstück. Vorher holte sie noch die Tageszeitung aus dem Briefkasten. Es schien ein herrlicher Tag zu werden, denn als sie ihre Haustür öffnete und tief die Frühlingsluft einsog, wurde ihr wieder Mal bewusst, wie gut sie es eigentlich hatte.
Mit ihren 47 Jahren stand sie noch mitten im Leben. Sie hatte ein eigenes Haus, einen tollen Job als freiberufliche Designerin, der es ihr ermöglichte von Zuhause aus zu arbeiten.
Nur eines fehlte, ein Mann!
Als Hanno vor drei Jahren plötzlich an einer Hirnblutung verstarb, brach für sie eine Welt zusammen. Ok, Hanno und sie hatten keine gute Ehe geführt, es war eher eine Zweckgemeinschaft, aber sie hatten sich arrangiert.
Doch die plötzliche Leere und auf einmal alles selber organisieren zu müssen, hatte ihr einige schlaflose Nächte bereitet. Zum Glück war Hanno weitsichtig genug gewesen und hatte ihr ein Testament auf Gegenseitigkeit hinterlassen. Das Haus hatten sie gemeinschaftlich erworben, sodass Johanna schon im Grundbuch stand. Aber alles andere bedeutete noch viel Papierkrieg. Da sie keine Kinder hatten, war Johanna Alleinerbin. Hinzu kam, dass Hanno von seinen Eltern ein kleines Vermögen geerbt hatte, das ebenfalls ihr gehörte.
Jetzt hatte sie alles im Griff und träumte davon, sich einen kurze Auszeit zu nehmen. Das hieß für sie eine oder auch zwei Wochen Urlaub.
Ihre Firma konnte sie auch vom Laptop aus bedienen, da die meisten ihrer Kunden zurzeit keine neuen Entwürfe brauchten und die Entwürfe, die sie schon bearbeitete, konnten auch aus einem imaginären Urlaubsort fertig gestellt werden.
Mit diesen Gedanken stellte sie ihre Kaffeemaschine an, stellte Butter, Aufschnitt und Käse auf den Tisch und überflog die Schlagzeilen der Tageszeitung.
Mit lautem Blubbern verkündete ihre Kaffeemaschine, dass der Kaffee fertig war. Sie goss sich einen Becher voll und setzte sich an den Tisch und nahm erst Mal einen Schluck von dem bitteren Gesöff, natürlich ohne Milch und ohne Zucker, dafür aber sehr stark.
Hanno hatte ihr immer voraus gesagt, dass die schwarze Brühe sie irgendwann umbringen würde. Leider konnte er es nicht mehr miterleben.
Wie üblich, fing sie bei der Tageszeitung von hinten an zu lesen, warum wusste sie eigentlich nicht so genau, aber um Hanno zu ärgern, hatte sie es zum Schluss schon absichtlich gemacht.
Als sie die dann die vorletzte Seite aufschlug, fiel ihr Blick sofort auf eine Urlaubsanzeige, die sie Faszinierte:           

Dating Hotel
Zwangloses Kennenlernen
in wunderschöner Umgebung


Johanna las noch den Rest der Anzeige, legte dann aber die Zeitung beiseite, um zu Frühstücken.
Erst am Nachmittag erinnerte sie sich wieder an die Annonce und suchte das Hotel im Internet. Es lag wirklich traumhaft schön an einem kleinen See am Rande der Berge und bevor Johanna lange überlegte, hatte sie schon gebucht.
Schon in zwei Wochen sollte es los gehen, das hieß noch einige Vorbereitungen zu treffen. Ihre Kunden wurden informiert und mit der Bitte, sie nur im äußersten Notfall zu kontaktieren, auf ihren Urlaub eingeschworen.
Ihre Freundin, Bea übernahm für die Zeit Mister Ed und als die erfuhr, in welches Hotel sie reisen wollt, flippte sie förmlich aus. „Bitte nimm mich mit!“ Bettelte sie, wobei das nicht ernst gemeint war, da sie äußerst glücklich verheiratet war.
„Aber ich erwarte jeden Tag einen Lagebericht von dir!“
Johanna versprach es ihr und machte sich am nächsten Tag mit ihrem kleinen Flitzer, einem Mazda MX5, auf den Weg. Dieser Wagen war schon immer ihr Traum gewesen und als ihr Mann verstarb, hatte sie sich ihn gegönnt.
Die gut 200 km bis zu ihrem Urlaubsort vergingen wie im Flug, deshalb war sie schon viel zu früh dort. Ihr Zimmer konnte sie erst ab 14:00 Uhr belegen, hatte also noch genügend Zeit, sich etwas in der Kleinstadt umzusehen.
Pünktlich betrat sie das kleine Hotel und war angenehm überrascht. Alles sah urgemütlich aus und Johanna hatte das Gefühl nach Hause zu kommen. Auch die junge Frau an der Rezeption empfing sie überaus freundlich und erklärte ihr ausführlich, wie es hier ablaufen würde.
Danach gab es am heutigen Abend, ein sogenanntes „Kenn-Lern-Dinner“, wo sich die Teilnehmer miteinander bekannt machen konnten. Alles wurde von einem Herrn Schranz begleitet und gesteuert!
Das Dinner sollte um 19 Uhr beginnen.


-*-


Als Johanna den kleinen Saal betrat, spürte sie sofort viele Augenpaare auf sich gerichtet. Sie hatte ganz bewusst ihren schwarzen Hosenanzug gewählt, der ihre schlanke Figur zur Geltung brachte. Ein roter Gürtel und Ballerinas in der gleichen Farbe, gaben einen perfekten Kontrast zum Anzug und zu ihren schwarzen Haaren.
Im Saal standen vier runde Tische, an denen jeweils sechs Personen Platz hatten.
Johanna hatte den Tisch Nummer 2 gezogen und begab sich nun direkt dort hin. An ihrem Tisch saßen schon zwei Herren und eine Frau, die ihr neugierig entgegen sahen.
Johanna reichte der Frau als erste die Hand, die aber wesentlich jünger zu sein schien als sie selber. „Ich bin Johanna!“ Stellte sie sich vor.
„Ich heiße Livia!“, erwiderte die junge Frau.
Zur rechten von Livia saß Jenrik, ein etwa 35- jähriger, vollschlanker Mann. Während ihm gegenüber Theo saß, der hatte sich ebenfalls wie Jenrik erhoben und begrüßte Johanna jetzt überschwänglich. Theo, Johanna schätzte ihn auf etwas über vierzig, war ihr aber sofort unsympathisch. Aber ausgerechnet neben ihm war der Platz für sie vorgesehen, aber ok, der Abend war ja noch lang und außerdem saß auf ihrer anderen Seite Jenrik und es fehlten ja noch zwei. Die in diesem Moment an ihren Tisch traten.
Sie stellten sich mit Luis und Meike vor, nun war ihr Tisch komplett!
Luis und Meike waren wohl ziemlich gleichaltrig, Johanna schätzte sie auf etwas über dreißig und schienen schon miteinander bekannt zu sein.
Auch die anderen Tische waren fast komplett, doch dann sah Johanna ihn. Groß, blond und sehr athletisch gebaut. Wie ein nordischer Wikinger kam er daher und schaute sich etwas unsicher im Raum um. Seine hellblauen Augen schienen jeden einzelnen Gast zu mustern. War es nur Einbildung oder blieb sein Blick ungewöhnlich lange auf Johannas Gesicht hängen?
Er setzte sich an den Nachbartisch und wurde von den anderen Gästen fröhlich begrüßt.
Auch Johanna konnte ihren Blick nicht von diesem Helden, einer nordischen Sage entsprungenen Kerl, lösen. Eine unbekannte Hitze strömte durch ihren Körper.
Doch dann erhob der schon erwähnte Herr Schranz die Stimme und Johanna wurde abrupt aus ihrer sündigen Gedankenwelt gerissen.
Herr Schranz stellte sich mit „Robert“ vor und begrüßte die Anwesenden mit launischen Worten. „Da ihr ja alle hier seid, um eventuell neue Kontakte zu schließen, sollten wir uns mit dem Vornamen ansprechen und uns duzen! Gleich wird das Abendessen serviert und ich denke ihr solltet die Zeit nutzen um eure Tischnachbarn etwas näher kennen zu lernen. Nach dem Hauptgericht, aber vor dem Dessert, werden wir den ersten Platztausch vornehmen. Das heißt, die Herren von Tisch eins wechseln zum Tisch zwei und die Herren von zwei zum Tisch drei und so weiter. Folglich dürfen die Herren von Tisch vier aufs Zimmer gehen!“
Alle schauten verdutzt zum Tisch vier, bis sich das Erstaunen in erleichtertes Gelächter entspannte.
„Natürlich dürfen die Herren von Tisch vier sich an Tisch eins setzen! Ich wollte nur mal sehen, ob alle aufgepasst haben?“
Das Essen kam und das aufgeregte Stimmengewirr verebbte etwas.
Johanna verspürte deutlich Hunger und freute sich über das Abendessen. Aber ständig wurde sie von Theo mit Fragen bombardiert. Mit vollem Mund und kauend, versuchte er mit ihr ins Gespräch zu kommen. Auch ihr Einwand, erst mal essen zu wollen, ignorierte er.
Johanna legte Messer und Gabel beiseite, nahm ihr Weinglas in die Hand und trank einen Schluck und lehnte sich dann mit einem Seufzer in ihrem Stuhl zurück.
„Was ist, bist du schon satt?“, fragte Theo, ohne zu merken das er der Grund ihrer Appetitlosigkeit war.
Demonstrativ wandte sie sich an Jenrik und missachtete seine Frage.
Plötzlich tippte Theo ihr auf die Schulter und als Johanna sich erschrocken umwandte, sagte er: „Du bist sehr unhöflich! Du kannst dich doch nicht einfach wegdrehen, wenn ich mit dir rede und dir eine Frage gestellt habe!“ Er war sichtlich erzürnt.
Jetzt ging es Johanna entschieden zu weit: „Wenn hier einer unhöflich ist, dann bist du das! Du solltest vielleicht mal deine Erziehung hinterfragen oder haben deine Eltern dir nicht beigebracht, dass man mit vollem Mund nicht spricht? Einige Tropfen deiner feuchten Aussprache sind nicht nur auf meiner Bekleidung gelandet, sondern auch auf meinem Teller! Deshalb mag ich mein Essen nicht mehr, somit verzichte ich auf deine Unterhaltung!“
„Aber das ist doch gar nicht wahr, ich….!“, sagte er, wurde aber von der neben ihm sitzenden Meike unterbrochen.
„Doch Theo, das habe ich auch gesehen! Ich habe mich schon lange gewundert, wie geduldig Johanna trotzdem deiner Unterhaltung gefolgt ist.“
Bevor Theo etwas erwidern konnte, wurden die Herren von Robert aufgefordert die Plätze zu tauschen!
Wütend schob Theo seinen Stuhl zurück und eilte zum Tisch Nummer drei, wo er sich mit einer Leichenbittermine hinsetzte.
„Danke!“, sagte Johanna, an Meike gewandt. „Ich wusste nicht mehr was ich machen sollte?“
„Das ist ja ein richtiges Ekelpaket!“, erwiderte Meike. „Du hast übrigens einen neuen Nachbarn!“ Sie zeigte mit dem Finger hinter Johanna und als die sich umblickte, schaute sie in die wohl blauesten Augen, die sie je gesehen hatte. Sie versank förmlich in diesem Blau und erst als sie seine Stimme hörte, erwachte sie aus ihrer Trance: „Hi, ich bin Sören!“ Stellte er sich vor und ergriff ihre Hand, die sie ihm automatisch hingehalten hatte. Wärme strömte von seiner Hand, über ihren Arm bis zu ihrem Herzen und ließ sie erschauern.
„Verrätst du mir auch deinen Namen?“ Dabei drückte er etwas ihre Hand.
„Johanna!“ Brachte sie nur mühsam heraus. Mit der Zunge befeuchtete sie ihre Lippen und fand ihre Selbstsicherheit wieder. „Hallo Sören, ich freue mich dich kennen zu lernen!“ Dabei löste sie ihre Hand aus seiner, obgleich sie sie gerne noch länger gehalten hätte.
„Hallo Johanna, ich freue mich neben dir sitzen zu dürfen!“ Er lächelte sie an und sagte dann ganz leise, indem er sich etwas vorbeugte: „Du bist mir schon aufgefallen, als ich rein kam!“
Johanna wäre am liebsten mit der Nase seinem Duft gefolgt, riss sich dann aber zusammen und meinte: „Du bist mir auch aufgefallen, als du vorhin deinen verspäteten Auftritt hattest.“ >Der Wikinger Sören betritt den Saal!<  Wollte sie noch hinzufügen, ließ es dann aber doch.
„Ja, tut mir leid, aber ich war noch unten am See und hatte ganz die Zeit aus dem Blick verloren. Es ist wunderschön dort und erinnert mich etwas an die Schären aus der Heimat meiner Eltern.“
„Wieso, woher kommen denn deine Eltern!“, hakte Johanna nach.
„Meine Eltern stammen ursprünglich aus Schweden, sind aber schon vor 35 Jahren nach Deutschland ausgewandert. Aber natürlich machen sie regelmäßig Urlaub in der Heimat. Ich bin aber in Deutschland geboren!“
Johanna fühlte sich sofort zu Sören hingezogen. Er war ein guter Unterhalter und ausgesprochen höflich, ganz im Gegensatz zu Theo.
Sie unterhielten sich, nur kurz unterbrochen vom Dessert, hervorragend und Johanna war sich sicher für diesen Mann hatte sich die Reise schon gelohnt. Doch dann wurde von Robert der nächste Wechsel angekündigt und spürte plötzlichen einen Verlust, als Sören ging.
Aber eine halbe Stunde später wurden die Tafeln aufgelöst und alle verteilten sich in den Sitzgruppen, die rund um eine Tanzfläche aufgebaut waren.

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