Das gesamte Bündnerland, eine einzige Flurina!
Dann packte Ursino die Neugier. Er ließ die Schaufel stecken. Er arbeitete für die Dorfgemeinde und hatte ein bisschen mehr Freiheiten als all die Frauen, die unter strengster Bewachung kochten, bügelten, Konfitüre einmachten, Vorräte sammelten und mit letzten Holzscheiten für Wärme sorgten. Dann verfolgte er Flurina bis kurz vor die Bäckerei. Trotz des halbleeren Schaufensters lief ihm das Wasser im Mund zusammen, einerseits wegen Flurinas Pobacken, die er erahnte, als sie das Steintreppchen zum Ladengeschäft hochstieg, andererseits, weil da drei Lebkuchen lagen, von denen die Bäckersfamilie bestimmt einen entbehren konnte. Erst jetzt stellte Ursino fest, dass seine Füße durchgefroren waren. Es gab im Dorf viele Männer mit abgefrorenen Zehen, die zu spät festgestellt hatten, dass die Winterkönigin ihnen zuleibe gerückt war, und diese Männer kämpften nicht nur um ihr Gleichgewicht, wenn sie spätabends die Schankstube verliessen und den Spiritus in die Nacht hinaushauchten, sondern eben auch wegen des einen oder anderen fehlenden Zehens.
Ursino drückte die Nase ans Schaufenster und sah gerade noch, wie der Bäckermeister Flurina hinter den Tresen winkte! Was ging da vor? Ursino konnte seine Neugier keinesfalls länger unterdrücken und stieß, so leise er es eben vermochte, die Ladentür auf. Zum Glück ertönte die Klingel nicht. Ursino wusste nicht, wie schlecht es dem Bäckeribetrieb mittlerweile ging und dass die Familie schweren Herzens das Glockenspiel zu Geld gemacht hatte, das immer so fröhlich neue Kundinnen und Kunden angekündigt hatte, seit es die Bäckerei überhaupt gab.
Ursino vernahm ein Murmeln, und dann Flurinas helle Stimme. „Du willst doch etwas zum Essen, Kleine“, hörte er des Bäckermeisters raue Stimme. Flurina bejahte und schien noch immer nicht zu ahnen, was der Bäcker mit ihr vorhatte.
Flurinas Pobacken
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