Folge mir unauffällig

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Folge mir unauffällig

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Yupag Chinasky

Ratlos stand er vor der Tür, kein Licht hinter der Mauer, kein Mensch auf der Straße, den er um Hilfe hätte bitten können.

Was bleibt ihm übrig, als zu warten - aber wo? Noch einmal zurück in die Altstadt will er nicht, dort ist sowieso alles geschlossen. Er geht in die andere Richtung, weg vom Zentrum. Auf einem kleinen Platz, der dieses Mal von Bäumen umgeben ist, ein Spielplatz für Kinder, setzt er sich auf eine Bank und wartet und grübelt und döst vor sich hin, bis der Morgen graut. Als es kurz nach sechs Uhr ist, kehrt er zum Hotel zurück, er erinnerte sich, dass man dann schon Frühstück bekommen konnte. Er hat Glück, die Tür war offen. Der Portier und auch der Mann an der Rezeption tun so, als sei es ganz normal, dass er erst um diese Zeit zurückkommt. Er nimmt seinen Schlüssel, geht auf sein Zimmer, duscht, wechselt die Kleidung, packt seinen Koffer. Gerade als er sich zum Frühstück aufmachen will, klingelt das Telefon auf dem Nachttisch. Er solle bitte gleich zur Rezeption kommen. Dort erwartet ihn sein Führer und ein finster blickender Mann in Uniform. Der Führer ist aufgeregt, wirkt verängstigt, sagt, sie müssten miteinander reden. Er stellt den Mann vor, er sei von der Polizei, als ob man das nicht sehen würde. Dieser spricht kein Wort Englisch, gibt ihm aber die Hand. Sie gehen in die Frühstückslounge, suchen eine stille Ecke, aber es ist ohnehin noch niemand im Saal. Der Polizist fängt an, ihn auszufragen. Der Führer und der Dolmetscher ist Schweiß gebadet, verhaspelt sich immer wieder. Wo er in der Nacht gewesen sei? Was er getan habe? Warum er erst um 6.23 zurück in das Hotel gekommen sei? Ob er nicht gewusst habe, dass es für Ausländer verboten sei, die Nacht außerhalb des Hotels zu verbringen? Ob er nicht gewusst habe, dass es eine Sperrstunde gäbe, von Mitternacht bis 6 Uhr morgens, die für alle gälte, auch für Ausländer wie ihn?

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