Folge mir unauffällig

4 29-45 Minuten 0 Kommentare
Folge mir unauffällig

Folge mir unauffällig

Yupag Chinasky

Er war in dieses vermaledeite Land doch nur gereist, um alte Steine anzuschauen, um Orte aufzusuchen, die zum Weltkulturerbe gehörten, die einen archäologischen Spitzenplatz einnahmen und nun saß er ganz schön in der Scheiße und musste sich entscheiden und diese Entscheidung gefiel ihm gar nicht. Aber was blieb ihm übrig? Er würde den Weg zu Ende gehen müssen, gegen seine Überzeugung, um seine Haut zu retten. Die ganze Problematik war nur entstanden, weil er diese alten Orte liebte, die sich fernab des üblichen Tourismus befanden. Orte, die nicht einfach zugänglich waren, die man sich erkämpfen, ja geradezu erobern musste und die zu erreichen meist mit viel Mühe und Aufwand verbunden war. Er hatte es geschafft, aber dann war diese Sache passiert, die nicht hätte geschehen dürfen und sein Erfolg war nichts mehr Wert, seine Freude dahin, sein Leben, sein Glück, sein Wohlbefinden waren in Gefahr. Es würde nicht mehr so sein, wie es einmal war, wenn er sich jetzt falsch entscheiden würde.

Natürlich hatte ihn bei seinem Aufenthalt der archäologische Aspekt der Reise interessiert, er war die Voraussetzung für sein Hobby, aber es war auch ein gewisser Sammlertrieb, der ihn bewogen hatte, ausgerechnet hierher zu kommen, um hier seine Sammlung ungewöhnlicher Orte zu ergänzen. Sammeln und dann abhaken, das war seine eigentliche Leidenschaft. Es war die Ungewissheit, ob er die Ziele, die er sich gesteckt hatte, überhaupt erreichen könnte oder ob er vorher aufgeben müsste, das war der eigentliche Kick. Denn manchmal scheiterte er an den geografischen oder verkehrstechnischen Gegebenheiten, meistens aber an politischen oder bürokratischen Hindernissen. Kaum ein Diktator, kaum ein despotisches System, sieht es gern, wenn Fremde die verwahrlosten Hinterhöfe ihres Herrschaftsbereiches aufsuchten, in denen es nicht selten heftig rumorte, in denen Aufstände stattfanden, die unumschränkte Macht bedroht wurde. Leider lagen viele Orte, die ihn interessierten, in Ländern, in den die Willkür den Ton angab. Manchmal half Bestechung, manchmal hätte er mehr Zeit gebraucht, um sein Ziel zu erreichen, aber nach fünf, spätestens sechs Wochen musste er wieder an seinem Arbeitsplatz sein, um sein sicheres, langweiliges Leben fortzusetzen und an die vergangenen und die kommenden Abenteuer zu denken. Insgesamt konnte stolz auf seine Sammlung sein, auf jede einzelne Reise, die er immer akribisch plante und ausführlich dokumentierte, mit vielen Fotos und mit detaillierten Reiseberichten, die er gern vor Ort verfasste, weil sie dadurch viel authentischer waren. Daheim fügte er nur noch Querverweise aus der Fachliteratur hinzu oder bereicherte seine eigenen Beobachtungen mit denen aus gut recherchierten Quellen an. Er hatte sogar schon in Fachzeitschriften kleine Aufsätze untergebracht, die von den wenigen, die etwas von der Sache verstanden, lobend erwähnt worden waren. Er reiste, weil er wollte und weil er es sich leisten konnte und weil er seinem Beruf für einige Zeit entkommen wollte, der staubtrocken aber einträglich war. Aber er verdiente gut, hatte keine Familie, die er ernähren musste und somit genügend Geld, leider aber zu wenig Zeit für sein Hobby, das einzige, das er ernsthaft betrieb.

Das Land, in dem er nun war, kannte er bereits, wenn auch nicht diese Gegend. Vor vielen Jahren, noch vor seinen "missions impossible", hatte er es bereist, war auf den ausgetretenen touristischen Pfaden gewandelt und schon damals von den abgelegenen, den schwierigen, den geheimnisvollen Orten geträumt, die aber so gut wir unerreichbar waren. Nun war er stolz, dass er es schließlich doch geschafft hatte und dass er nun seine Sammlung ergänzen konnte. Er war auch stolz, weil seines Wissens in den letzten Jahren, seit der großen Revolution, seit dem fundamentalistischem Umbruch, es nur wenigen Ausländern gestattet worden war, diesen Landesteil aufzusuchen. Auch seine Anträge auf ein spezielles Visum, das man dafür brauchte, waren mehrfach abgelehnt worden, mit dem Hinweis auf die prekäre politische Lage und die Sicherheit der Besucher, für die man nicht garantieren könne. Um so erstaunter und erfreuter war er, dass es ihm dann doch ausgestellt worden war, vermutlich nur, weil er eine Empfehlung eines renommierten archäologischen Instituts beigefügt hatte, das er wegen seiner Artikel bekommen hatte. Die Reise war teuer, keine Frage, aber Geld war nicht das Problem, es hatte vielmehr einige Mühe gekostet, einen Veranstalter zu finden, der alles regeln und alle Schwierigkeiten meistern würde, denn die würde es geben, da war er sich sicher, das hatte er in Erfahrung gebracht. Doch dann lief alles viel besser, als befürchtet. Der internationale Flug in die Hauptstadt war ohnehin kein Problem, er wurde auf dem Flughafen von der lokalen Reiseagentur in Empfang genommen, in sein Hotel und am nächsten Tag zu seinem Anschlussflug in die Provinzhauptstadt gebracht. Eine Stadt in einem verlassen Winkel, die selbst unter den Einheimischen als besonders konservativ und hinterwäldlerisch galt.

Er verbrachte eine Nacht in dem Hotel, in dem er nun auf der Rückreise wieder ein Zimmer hatte, angeblich das Beste und zugleich das Einzige mit Niveau. Schon am folgenden Tag war er von seinem Führer und dem Chauffeur in einem etwas älteren, aber sehr soliden Geländewagen für die große Rundreise in sein archäologisches Himmelreich abgeholt worden. Auch auf der Reise ging alles gut, obwohl es ziemlich stressig war, stundenlang auf Schotterpisten durchgerüttelt zu werden, in schäbigen Gasthäusern mit unfreundlichem Personal zu übernachten und das immer gleiche, wenig schmackhafte Essen serviert zu bekommen, meist eine Pizza mit undefiniertem Belag oder ein Eintopf mit fetter Fleischeinlage. Alles ging auch deswegen gut, weil er sich strikt an die Regeln hielt, die einzuhalten, sein Führer ihn immer wieder ermahnte. Keinen illegal gebrannten Alkohol kaufen, das sei nicht nur verboten, sondern gefährlich wegen des Methanols der darin enthalten sei und keine Drogen kaufen, die man ihm auf dem Land überall anbieten würde. Keine Polizei, kein Militär, keine problematischen Orte fotografieren, das kannte er schon von anderen Reisen, das konnte in jedem Land gefährlich sein. Dann fügte noch scherzend hinzu, auch von den Frauen sollte er lieber die Finger lassen, in jeder Hinsicht, er solle sie weder fotografieren noch gar sich mit ihnen einlassen, obwohl es manche gäbe, die gerne einen Ausländer verführen würden, einen so attraktiven wie ihn sowieso, um so mit der Heirat eine Ausreisegenehmigung zu erhalten. Es seien vor allem die Frauen, die in diesem Land leiden, sagte der Führer nun durchaus ernsthaft und fügte noch eine Anekdote hinzu, um das zu illustrieren, was er gesagt hatte. Es war noch nicht so lange her, erzählte er, erst ein paar Jahre, da hatte es einen Fall gegeben, der sogar in der internationalen Presse für Schlagzeilen gesorgt hatte. Ein Geschäftsmann war erwischt worden, wie er mit einer einheimischen Frau zusammen im Bett war. Er wurde in flagranti ertappt, weil ein aufmerksamer Hausbewohner, ein Nachbar der Frau, die Polizei alarmiert hatte. Der Mann kam ins Gefängnis, man machte ihm den Prozess, er wurde zu einer hohen Strafe verurteilt, dann aber abgeschoben, weil seine Firma eine hohe Kaution stellte. Die arme Frau aber wurde nach den Gesetzen des Landes verurteilt. Sie lebte zwar allein, getrennt von ihrem Mann, war aber immer noch verheiratet und hatte somit Ehebruch begangen, als sie sich mit einem Mann, dazu noch mit einem Ausländer eingelassen hatte, das war sozusagen doppelt verboten. Für dieses Verbrechen gab es nur eine Strafe, die Steinigung, und diese war dann auch, trotz vieler internationaler Proteste als warnendes Beispiel in aller Öffentlichkeit vollzogen worden. Was für ein rückständiges Land, kommentierte er die Geschichte und meinte, dass er ein solches Risiko auf keinen Fall eingehen würde, er sei ja nicht gekommen, um junge Frauen zu suchen, nur alte Steine würden ihn interessieren. Der Führer lachte und meinte abschließend, hier auf dem flachen Land und unter seiner Aufsicht würde er auch keine Gelegenheit haben, in Gefahr zu geraten.

Die archäologischen Orte, zu denen er mit einiger Mühe gebracht wurde, das eigentliche Ziel seiner Reise, hinterließen in ihm einen gespaltenen Eindruck. Einerseits war er sich deren Bedeutung wohl bewusst und genoss durchaus das Glück, endlich das zu sehen, was er sich so lange gewünscht hatte, endlich dort zu stehen, wohin ihn seine Träume schon oft geführt hatten, aber er war sehr enttäuscht, ja geradezu deprimiert, in welch katastrophalem Zustand sich alles befand, wie lieblos sich diese einstmals so bedeutenden Orte zeigten, wie geringschätzig dieser Teil der Vergangenheit im Lande selbst gesehen wurde. Sie schienen wertlos zu sein, ohne Bedeutung, ohne Bezug zur Gegenwart. Es gab keine nennenswerte Infrastruktur, hinzu kamen ethnische Unruhen, die seit langem schwelten und in unregelmäßigen Abständen und mit unterschiedlicher Intensität ausbrachen, dann wurde das ganze Gebiet vollständig gesperrt. Vor allem aus diesen Gründen verwehrte man regelmäßig ausländischen Touristen den Zugang, von einigen Experten abgesehen, vielleicht rechnete man auch ihn dazu und hatte ihm deswegen das Visum bewilligt. Die Einheimischen kamen nicht, weil sie kein Interesse hatten oder kein Geld, um zu reisen, oder weil man in diesem Land nicht zu seinem Vergnügen und schon gar nicht aus Gründen der Bildung reiste. Man hatte die Stätten vermutlich nur deshalb noch nicht geschlossen, weil man als Weltkulturerbe Auflagen der UNESCO einhalten musste und vermutlich kein bares Geld mehr bekommen würde.

Unbeschadet dieser Widrigkeiten und abgesehen von dem Glücksgefühl, seine Ziele endlich erreicht zu haben, gab es auch ein paar sehr positive Seiten dieser Reise. Sein Führer war ein wahrer Glücksfall, ein älterer Mann mit einer fundierten Bildung und sehr gutem Fachwissen, der dazu auch noch über gute Englischkenntnisse verfügte. Er war früher Professor für Geschichte gewesen, war in der Welt herumgekommen, aber das war lange her, vor der großen Revolution, die ihn zum Glück wenig beeinflusst hatte, denn er vermied es, über politische Themen zu reden. Sehr angenehm war auch, dass er sich mit seinem Führer auf den Geländen frei bewegen konnte. Wenn es überhaupt eine Kontrolle gab, dann ging es nur darum, die Tickets zu prüfen, die im Pauschalpreis der Reise enthalten waren. Dann gab es keine Beschränkungen mehr, keine Kontrollen, wie an vielen anderen Orten, in anderen Ländern, und sie bewegtem sich völlig frei und er konnte die alten Steine nach Herzenslust bewundern und eingehend fotografieren und das war ihm sehr wichtig und absolut nicht selbstverständlich. Er sagte sich, dass er froh sein konnte, weil er sein Ziel erreicht und sich einen Traum erfüllt hatte, weil er das sehen und bewundern konnte, was er sich vorgenommen hatte und so schaffte er es, die widrigen Begleitumstände weitgehend zu ignorieren. Er war mit sich und der Welt zufrieden.
Nun stand die Reise kurz vor ihrem Ende. Sie waren in die Provinzhauptstadt zurückgekehrt. Sein Führer und der Fahrer hatten sich herzlich von ihm verabschiedet, ein anderer hatte seinen Platz eingenommen, ein Mann, der ihm allerdings von Anfang an nicht sympathisch war. Er würde zwei Nächte und einen Tag hier verbringen, wieder in demselben Hotel, das im Gegensatz zu den mickrigen Gästehäusern auf dem flachen Land ganz ordentlich war, schon wegen seiner Lage, nicht weit weg von der bekannten, malerischen Altstadt. Die Stadt hatte jedoch darüber hinaus noch mehr zu bieten, erklärte der Führer, eine imposante Festung, ein paar Moscheen, eine davon sehr prächtig, die sogar in manchen Reiseführern erwähnt wurde und vor allem ein sehr interessantes Museum mit beeindruckenden Kunstschätzen, die aus den Grabungen an den Orten stammten, die er auf seiner Reise besucht hatte, obwohl einige davon in das Nationalmuseum in der Hauptstadt verlagert worden waren. Er der Führer kenne den Direktor und der würde ihn persönlich führen. So geschah es dann auch, das Museum war allerdings sehr heruntergekommen, aber das, was er sah, gefiel ihm und stellte eindeutig eine Bereicherung der Reise dar. Der Direktor war ganz offensichtlich froh, einen fachkundigen und interessierten Besucher vor sich zu haben, vielleicht den ersten seit Langem, und so erklärte er ihm alles Wesentliche langatmig und im Detail, und es gab seiner Meinung nach viel Wesentliches. Am späteren Nachmittag wurde er auch noch in den modernen Teil der Stadt gebracht, in dem es aber für ihn nichts Interessantes zu sehen oder zu kaufen gab. Die Gebäude waren allesamt langweilig, zum Teil richtig scheußlich und er wäre viel lieber allein durch die Altstadt geschlendert, die sie nur rasch durchquert hatten, aber die Besichtigung der Neustadt stand nun mal auf dem Besuchsprogramm und sein neuer Führer, der wesentlich verklemmter und unbeweglicher war als der alte, bestand darauf, auch diesen Programmpunkt abzuarbeiten und ignorierte seinen vorsichtig vorgetragenen Wunsch. Zum Glück endete aber seine Aufgabe, nachdem er ihn wieder im Hotel abgeliefert hatte. Er machte noch den Zeitpunkt aus, wann er ihn zum Flughafen bringen würde, es gab nur einen Flug am in die Hauptstadt, am späten Nachmittag, dann ließ er ihn allein, jedoch nicht ohne ihm den dringenden Rat zu geben, er möge nicht ausgehen, vor allem nicht in die Altstadt, die Leute seien an Ausländer nicht gewöhnt und würden manchmal feindlich reagieren und das Restaurant im Hotel sei das Beste in der Stadt, also gäbe es keinen Grund das "sichere Hotelareal", wie er sich ausdrückte, zu verlassen. Eine wichtige Information hatte der Führer jedoch nicht weitergegeben, eine entscheidende, wie sich noch herausstellen sollte. Vielleicht wollte er den Gast nicht unnötig verunsichern, vielleicht kam er auch gar nicht auf die Idee, dass ein Fremder wirklich nachts und allein durch die Straßen gehen würde. Es gab in der Stadt und in der ganzen Provinz seit Kurzem, erst seit ein paar Tagen, eine Sperrstunde, ein nächtliches Ausgehverbot, das um Mitternacht begann und im Morgengrauen um sechs Uhr endete. Auf dem Land, wo er bisher gewesen war, hatte das keine Rolle gespielt, es gab einfach nichts, wo man hätte hingehen können. Hier dagegen wurde das Ausgehverbot überwacht, wenn auch nicht besonders streng, weil diese Situation wegen der Unruhen immer wieder eintrat und die Leute und sogar die Polizei solche Ausnahmesituationen nicht mehr ganz ernst nahmen. Der Belehrte nickte, kam allerdings dem Wunsch des Führers nicht nach, denn er wollte das Land nicht nur mit den Erinnerungen an alte Steine und Ruinen verlassen, er wollte das alltäglich Leben wenigstens ein bisschen kennenlernen, vielleicht auch den Schleier des Geheimnisses ein wenig lüften, warum man diese Stadt als Fremder kaum betreten durfte. So war denn der Aufenthalt in seinem Zimmer sehr kurz, er duschte, wechselte das verschwitzte Hemd, sprühte sich etwas Deo unter die Arme, dann stand er wieder auf der Straße und die schwere Eingangstür wurde von einem Portier in malerischer Uniform hinter ihm geschlossen. Die letzten Sonnenstrahlen tauchten die Stadt mit ihren verschachtelten Häusern und Türmen in ein warmes Licht. Es würde bald dunkel werden und er überlegte sich, wohin er gehen sollte.

Einen Stadtplan gab es nicht, aber er hatte bei der Stadtrundfahrt die Augen offen gehalten und wusste, wo die Altstadt lag und dass sie gut zu Fuß zu erreichen war. Er machte sich auf den Weg, schlenderte durch die engen Gassen, bewunderte die Häuser, immer darauf bedacht, sich zu merken, wo er war, um aus dem Gewirr auch wieder herauszufinden. Es waren um diese Zeit nur noch wenige Läden offen und auch wenig Menschen auf der Straße. Er wurde von denen, die ihm direkt begegneten, neugierig und fast ein wenig misstrauisch, aber nicht unfreundlich angeschaut. Es war wohl so, dass Ausländer nur selten hierher kamen. Er war für die Leute hier das, was sie für ihn waren, ein Exot, den man anschauen musste, weil Exoten nun einmal selten sind. Die unterschiedliche Sprache und die fehlenden Kenntnisse auf beiden Seiten machten es nicht möglich, sich zu unterhalten und so kamen auch keine Gespräche zustande, nicht einmal der Versuch. Er wurde somit von niemandem aufgehalten, klapperte eine ganze Reihe von Gassen ab und fand sogar, ohne fragen zu müssen, ein Restaurant am Rande eines kleinen, von Häusern umstanden Platzes, das noch geöffnet war. Neben der Tür hing ein Plakat, das einen irdenen Napf mit einer Mischung aus Gemüse, Fleisch und vermutlich Couscous zeigte. Es war, so erfuhr er kurz darauf, das einzige Gericht, das angeboten wurde und er war auch der einzige Gast in dem kleinen Raum. Er musste allerdings lange warten, bis der Eintopf serviert wurde. Eigentlich, dachte er, müsste ein Tagesgericht doch ständig vorrätig, nur noch aufgewärmt werde und rasch auf den Tisch kommen. Er hasste es zu warten, besonders auf das Essen. Aber vielleicht, überlegte er weiter, wurde es immer frisch zubereitet, das Fleisch musste schließlich eine Weile schmoren. Als das Couscous dann endlich vor ihm stand und er zu essen begann, schmeckte es ihm sehr gut, eine ausgewogene Mischung aus scharfen und sanften Elementen, zweifellos das beste Essen, das er auf seiner Reise bisher bekommen hatte. Es war dann auch das Letzte, denn am nächsten Tag würde er ja wieder abreisen. Zu dem Eintopf gab es kühles Wasser und man servierte ihm, ohne dass er ihn extra bestellen musste, sehr heißen, stark aromatisierten Tee in winzigen Gläsern, die nachgefüllt wurden, wenn er sie ausgetrunken hatte. Die Rechnung, die der Kellner, der vermutlich auch der Koch und der Chef in einer Person war, schließlich präsentierte, war so lächerlich niedrig, dass er den Zahlen zuerst keinen Glauben schenken wollte. Der Kellner prüfte die Rechnung, die er gerade selbst ausgestellt hatte, noch einmal und zählte das Geld, das er ihm hingelegt hatte, sorgfältig. Weil es ihm so gut geschmeckt hatte, gab legte er noch ein großzügiges Trinkgeld drauf. Der Kellner nahm es entgegen, als sei es völlig selbstverständlich oder als habe er so etwas noch nie bekommen und wisse gar nicht, was das sei, ohne Dank, ohne Kommentar, es schien eine pure Selbstverständlichkeit zu sein. Ein seltsames Land, dachte er, an die Sitten hier, musste man sich erst mal gewöhnen, aber dazu war es nun zu spät.

Als er wieder auf dem kleinen Platz stand, war er durchaus mit sich zufrieden. Es gab nun nichts mehr, was er unternehmen konnte, es war dunkel, fast alles war zu, die Straßen leer und so beschloss er, langsam zu seinem Hotel zurückzukehren. Es schien, dass die Leute hier immer früh ihre Wohnungen aufsuchten, weil die Geschäfte früh schlossen, um so überraschter war er, als plötzlich, wie aus dem Nichts, eine Frau auftauchte, eine Gestalt in der landesüblichen langen, dunklen Burka, aber ohne Schleier vor dem Gesicht. Die Frauen mussten zwar ihre Haare mit einem Tuch bedecken, weil offene Haare als vulgär oder als zu erotisch galten, aber im ganzen Land wurden, seines Wissens, keine Schleier verwendet, eine Tradition aus vergangenen, liberaleren Zeiten, die sich erhalten hatte. Die Frau trat sehr dicht an ihn heran, er roch einen Hauch Parfüms und hörte sehr deutlich die Worte: "follow me please, but take care", obwohl sie nur geflüstert hatte, laut geflüstert. Dann war sie auch schon vorbei gehuscht und in einem kleinen Lebensmittelladen auf der anderen Seite des Platzes verschwunden, eines der wenigen Geschäfte, das noch geöffnet war. Er war verwirrt, meinte erst, er hätte sich verhört, aber nein, es war so gewesen, die Frau hatte ihn aufgefordert, ihr unauffällig zu folgen. Sollte er es tun oder lieber doch nicht? Vielleicht gab es die Gefahren tatsächlich, von denen der Führer gesprochen hatte, auch wenn er bisher nichts gesehen oder bemerkt hätte, was darauf hingewiesen hätte, nicht einmal Polizisten waren ihm begegnet, sonst immer ein Indikator für drohende Ereignisse. Er zögerte, aber dann war die Neugier stärker als die Angst und er überquerte den Platz, betrat den Laden und sah sich um. Ein alter Mann saß hinter der Kasse am Eingang, der ihn nur müde und desinteressiert anschaute, sonst schien er leer zu sein. Wieder kam der Verdacht auf, dass er sich getäuscht oder verhört hatte, aber die Frau war hier hineingegangen und dann sah er, wie eine Hand aus dem hinteren, dunkleren Teil winkte, ihm zuwinkte. Scheinbar nach etwas suchend, was er kaufen wollte, ging er in diese Richtung, und als er um das letzte Regal bog, stand dort die Frau und lächelte ihn an.

Nun erst konnte er sie im Licht einer trüben Glühbirne in Augenschein nehmen, sie sah trotz ihrer Verhüllung attraktiv aus. Nicht mehr ganz jung, er schätzte sie auf dreißig bis vierzig, mit einem feinen, hübschen Gesicht und, zu seiner großen Überraschung, mit blauen Augen, die ihn intensiv anstarrten. Diese Augenfarbe hatte er hier nicht erwartet und sie irritierte ihn sehr, dazu das Parfüm, das er nun deutlich roch. Es war klar, dass sie etwas von ihm wollte, aber er fühlte auch, dass sie etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte, das sie loswerden wollte, sonst hätte sie einen Ausländer um diese Zeit bestimmt nicht angesprochen. Er täuschte sich nicht, denn sie redete, leise flüsternd und in ganz passablem Englisch. Er solle mit ihr gehen, in ihre Wohnung, sie lebe allein, sei unverheiratet. Er soll mitkommen, weil es ihr dringendster Wunsch sei, mit einem Ausländer zu reden. Hier würde man sie meiden, niemand würde mit ihr reden, schon gar kein Mann, aber er brauche keine Angst zu haben, sie wolle nur reden, sie wolle kein Geld, sie sei keine Prostituierte. Sie wollte nur wissen, was in der Welt da draußen los sei, das würde sie sehr interessieren, aber hier würde sie ja nichts erfahren, die Zeitungen, das Fernsehen, alles werde kontrolliert, alles sei gelogen. Sie sehne sich auch nach einem Gespräch, das sei für sie lebensnotwendig, selbst wenn es nur eine Stunde dauern würde, eine Stunde, die er ihr bitte schenken möge. Sie habe niemanden, mit dem sie vernünftig reden könne. Er solle bitte mitkommen, ihr bitte unauffällig folgen, es sei für sie so wichtig, so unendlich wichtig. Sie redete schnell und ohne Pause und er hatte Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Ihr Wunsch nach einem Gespräch verwunderte ihn und er war irritiert. Eine solche Frau wollte mitten in der Nacht mit einem Ausländer reden, nur reden, nicht mehr? Die Geschichte von dem Geschäftsmann und der gesteinigten, armen Frau, die der erste Führer ihm erzählt hatte, fiel ihm auf einmal ein, obwohl er nie mehr daran gedacht hatte. Ein solches Risiko wollte er auf keinen Fall eingehen und so lehnte er ihren Wunsch ab, als sie mit aufhörte zu reden. Aber die Frau gab nicht auf. Warum er ihr denn gefolgt sei, wollte sie wissen, wenn er nicht selbst neugierig sei. Er hätte doch nicht in den Laden zu kommen brauchen, wenn er gar kein Interesse gehabt habe. Er brauche keine Angst zu haben, ihre Wohnung sei sicher und es sei ja nur für kurze Zeit, für eine Stunde, länger nicht, dann könne er wieder in sein Hotel gehen.
Während sie auf ihn eingeredet hatte, immer schneller, immer drängender, aber wegen der Ohren, die überall lauschen konnten, sehr leise. Damit er sie trotzdem verstehen konnte, war sie nun ganz dicht an ihm, berührt ihn und er spürte ihren Körper durch die Kleidung hindurch und ihr Parfüm verwirrte ihn immer mehr und natürlich diese Augen, diese blauen, brennenden Augen. Neben der Vorsicht und der Angst, die ihn anfangs deutlich beherrschten, begann nun das Interesse an dieser seltsamen Frau sich stärker in den Vordergrund zu drängen und sein Widerstand wurde zunehmend schwächer. Es sah und spürte und roch und hörte nur noch eine attraktive, begehrenswerte Frau, obwohl ihr Körper verhüllt war und die Burka und das Kopftuch nichts preisgaben. Aber dieses Gesicht, die irren blauen Augen, die suggestive Stimme, der exotische, erotische Duft, das alles signalisierte ihm, dass diese Frau keine Informationen brauche, keinen Gesprächsbedarf hatte, sondern dringend einen Mann suchte, der sie ficken würde, nichts anderes. Warum aber ausgerechnet ihn, ging es ihm durch den Kopf, und er hatte auch schon die Antwort parat. Sie war vielleicht geschieden und damit quasi ausgestoßen und hatte deswegen auch keine Gelegenheit mehr, sich mit einem Mann einzulassen. Und wenn, dann nur als Prostituierte, aber das war illegal und wurde streng bestraft, das hatte ihm ja der Führer gesagt, vielleicht war sie trotzdem eine oder es war unter ihrer Würde sich zu prostituieren. Dann sah sie ihn, allein, kein Mensch weit und breit und er war eine einmalige Chance, die sie auf keinen Fall verpassen wollte, deswegen ihr Drängen, deswegen ihre beharrlichen Worte. In diesem konservativen Land und besonders in dieser heiligen Stadt mit all den Moralvorstellungen der Staatsreligion, waren es doch vor allem die Frauen, die unterdrückt wurden, dachte er weiter. Er war wahrscheinlich seit langer Zeit und für lange Zeit die einzige Gelegenheit mit einem Mann zu schlafen. Aber genau das war für ihn gefährlich, das war für ihn sogar höchst gefährlich und auch für sie. Aber während ihm all das durch den Kopf ging, während er diese schon fast verzweifelte Frau anschaute, ihr zuhörte, ihre Gier spürte, die ihm galt, nur ihm, ihren Körper fühlte, den sie nun ganz deutlich an den seinen drückte, während sich in seinem Kopf die Antwort zu einem definitiven, unumstößlichen, strikten Nein formierte, spielte sein Bauch verrückt, legten ihn seine eigenen Gefühle aufs Kreuz. Er wollte diese Frau auch und diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Ja, er wollte sie, wollte das Abenteuer. Er wollte sie am liebsten jetzt gleich, am besten hier, auf dem Fußboden vögeln, geschützt durch die Regale. Der alte Mann würde nichts merken, Kunden würden keine kommen. Eine irre Idee in einer irrealen Situation, nicht weiter daran denken, sagte er sich. Noch bevor der Kampf in ihm entschieden war, hörte die Frau auf zu reden, sah ihn aber weiter mit diesem intensiven, begehrenden Blick an, sagte schließlich fast dasselbe, wie schon draußen auf dem Platz: "follow me, but take care". Nur das "please" hatte sie weggelassen, weil sie wusste, dass er mitgehen würde, dass sie gewonnen hatte. Dann suchte ihre Hand die Seine, drückte sie kurz, aber intensiv, ging an ihm vorbei, nahm irgendetwas aus einem der Regale, legte ein paar Münzen auf den Teller an der Kasse und verschwand in der Dunkelheit ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie war sich ihrer Sache wohl sehr sicher. Er, immer noch hinter dem Regal, hatte immer noch die Freiheit sich so oder so zu entscheiden. Er konnte einfach in sein Hotel zurückgehen. Er hätte dann immerhin ein kleines Abenteuer erlebt, das sagte ihm zumindest sein Verstand. Stattdessen beeilte er sich nun auch, den Laden zu verlassen, ohne etwas gekauft zu haben, nur um zu sehen, welche Richtung die Frau eingeschlagen hatte.

Er sah, wie sie in Richtung einer der vielen Gassen ging, scheinbar immer noch ohne darauf zu achten, ob er ihr folgte. Er merkte aber, dass sie deutlich zögerte, bevor sie in die Gasse einbog, dass tat sie jedes Mal, vor jeder Ecke, und so war es für ihn kein Problem, ihr zu folgen. Er musste auch nicht sehr weit gehen, schon nach wenigen Gassen blieb sie vor einer Haustür stehen und mit einer kaum sichtbaren, aber eindeutigen Handbewegung, zeigte sie ihm an, er solle warten und ihr erst folgen, wenn sie schon drin sei. Er tat, wie geheißen, ging nach einer Weile an dem Hauseingang vorbei, drehte sich dann um, schaute sorgfältig, ob ihn nicht doch jemand beobachte, nein, da war keiner, auf dem ganzen Weg war ihnen zum Glück niemand begegnet. Er ging zur Haustür, öffnete sie rasch und trat ein. Die Frau erwartete ihn im Flur, auch hier verbreitete nur eine einzelne, kahle Glühbirne spärliches Licht. Sie legte den Zeigefinger auf ihren Mund, er solle leise sein und ihr vorsichtig folgen. Im Haus war es ruhig, aus den Wohnungen drangen keine Geräusche. Sie stiegen eine Treppe hoch, dann öffnete sie die Tür zu ihrer Wohnung. Gleich nach dem Eintreten wusste er, dass er sich nicht getäuscht hatte, diese Frau wollte ihn, nicht irgendwelche Informationen, sie wollte einen Mann, keine Auskünfte über das Weltgeschehen, sie wollte ficken, nicht reden. Kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog sie nicht nur ihre Burka aus, sie nahm auch das Tuch von ihrem Kopf und zu seiner großen Überraschung sah er nun eine Fülle blonder Locken. Mit diesem Anblick hätte er, trotz der blauen Augen, nicht gerechnet. Er war schon wieder überrascht und noch mehr verwirrt. Zu den blauen Augen nun auch noch blonde Haare. Die Frau ließ ihm aber keine Zeit, sich zu wundern, denn ohne ein Wort zu sagen, zog sie ihn in ihr Schlafzimmer und auch hier ließ sie ihm keine Zeit zum Nachdenken. Sie zog sich ihr Kleid über den Kopf, stand vor ihm verführerischer, roter Unterwäsche, die nur knapp ihre durchaus üppigen Kurven bedeckte. Er roch das Parfüm nun noch deutlicher, und während er immer noch reglos dastand, sich nicht bewegte, sie nicht anfasste, betasteten ihre Hände seinen Körper und begann, ihn auszuziehen. Dann wurde auch er aktiv, drückte sie an sich, drückte seinen Mund auf ihren, erst meinte er, sie wolle nicht küssen, aber dann taten sie es doch, mit großer Ausdauer und Inbrunst. Noch während sie sich küssten, hatte er den BH geöffnet und sie hatte sich den Slip abgestreift. Dann ergriff sie von ihm Besitz, anders konnte man das nicht nennen, sie zog ihn auf den Teppich, der vor ihrem Bett lag und beide wälzten sich nackt auf dem weichen Fließ. Sie küssten sich weiter voller Leidenschaft und ihre Hände hörten nicht auf, die Körper des anderen zu berühren, zu betasten, zu ergründen, zu drücken und auf alle denkbare Weise zu signalisieren, wie sehr sich beide wollten, wie dringend sich beide brauchten. Die Frau war eine Tigerin, eine Wildkatze voller Leidenschaft, sie war ausgehungert nach Liebe und gab ihren Gefühlen freien Lauf. Ohne dass er sich viel bemühen musste, allein weil er da war, allein weil er ein Mann war und in sie eindrang, erreichte sie sehr rasch einen Orgasmus, zuckte und bebte, stöhnte erst leise, dann immer lauter bis sie nur mäßig unterdrückte, kleine Schrei ausstieß. Auch er war ausgehungert und brauchte ebenfalls nicht lange, um zu seinem Höhepunkt zu gelangen, aber immerhin lang genug, um das von ihr so verzweifelt gesuchte Glück lange hinauszuzögern.

Aber dann hatten beide das Ziel erreicht, lagen schweißnass, schwer atmend und zufrieden nebeneinander auf dem Bett, sie hatten ihr Liebesspiel zwischendurch vom Teppich in das Bett verlagert, und erst jetzt fing er wieder an, klar zu denken. Nun erst, nachdem sich die Nebel der Leidenschaft in seinem Gehirn verzogen, wurde ihm die Gefahr wieder bewusst, in der er schwebte. Die Frau, die gesteinigt worden war, der Geschäftsmann im Gefängnis. Genau das kam ihm wieder in den Sinn. Wenn ihn jemand beobachtet hatte, wie er auf der Straße dieser Frau nachgegangen war, obwohl da wirklich niemand gewesen ist, aber es gab ja überall Augen, hatte er gehört. Oder wenn jemand an der Tür gelauscht hatte, als die Frau ihre Liebesschreie nicht unterdrücken konnte, da sie nicht nur einmal gekommen war, waren auch die Schreie zahlreich gewesen und ziemlich laut gewesen. Ein Lauscher oder jemand der auch nur zufällig im Flur vorbei gegangen wäre, hätte sofort gewusst, was in der Wohnung vor sich ging. Wenn dieser Mensch im Sinne des Regims ein rechtschaffender Bürger war, hätte er nicht gezögert, bei der Polizei oder einer Religionsbehörde anzurufen. Der Schreck kam spät, aber er kam und damit der Wunsch, so schnell wie möglich und so unauffällig wie möglich die Frau und die Wohnung zu verlassen und in sein sicheres Hotel zurückzukehren.

Aber nun wollte sie reden, von sich erzählen, von ihrem Leben, ihren Ängsten und Hoffnungen. Und so blieb er liegen und hörte ihr zu und redete sich ein, dass sicherlich niemand sie bemerkt habe, dass keiner Verdacht geschöpft habe, sonst wäre die Polizei bestimmt schon aufgetaucht. Es gab also keinen Grund, sofort zu gehen, keinen wirklichen Grund, sich Sorgen zu machen. Die Frau schmiegte sich eng an ihn und erzählte, dass ihr Vater aus Europa stamme, aus Schweden. Er hatte nur ein paar Wochen hier für eine Firma gearbeitet hatte und in dieser Zeit ihre Mutter kennengelernt und geschwängert. Er sei wieder abgereist, bevor sie geboren wurde, habe ihr aber die blonden Haare und die blauen Augen hinterlassen. Die streng konservative Familie ihrer Mutter hatte die junge Frau zur Strafe für ihren Fehltritt hierher, in diese gottverlassene, erzkonservative Stadt verbannt, um nicht ständig an ihre Schande erinnert zu werden. Sie zog ihre Tochter allein auf, Verwandten, die hier lebten, wollten nichts mit ihr zu tun haben. Trotz der Verbannung bekam ihre Mutter regelmäßig etwas Geld von ihrer Familie, genug, dass sie sich die Wohnung leisten und halbwegs ordentlich leben konnten. Sie sei auf die Schule gegangen und sogar eine Ausbildung als Englischlehrerin erhalten, das war zwar in diesem Land möglich, aber eine Stelle an einer Schule bekam sie nicht. Als Grund wurde ihr Vater angeführt, der angeblich ein Sicherheitsrisiko sei. Sie vermutete aber auch, dass man sie wegen ihres Aussehens diskriminierte. Sie habe Nachhilfestunden gegeben, aber hier gäbe es nicht viele, die eine Fremdsprache lernen wollten. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte die fromme Familie die Unterstützung eingestellt. Sie stand vor dem Nichts, einen Mann, der sie hätte heiraten wollen, habe es nie gegeben, ihre blauen Augen und die blonden Haare waren ein Stigma und machten sie zu einer Hure, obwohl sie keine sei und keine werden wollte. Die Männer hier seien zwar wild auf eine wie sie, sie würden auch viel Geld bieten, um mit einer so exotischen, seltenen Frau zu schlafen, aber Prostitution sei streng verboten und als Frau lebe man ständig in der Gefahr in ein Gefängnis gesteckt zu werden, in eine moralische Besserungsanstalt. Wenn die Freier nicht zahlen wollten, was oft vorkäme, hätte die Frau keine Möglichkeit, das Geld einzufordern. Ein Mann würde ihr sehr fehlen, sie sei ja fast noch Jungfrau, so selten, wie sie geliebt worden war. Dann hörte sie plötzlich auf, von sich zu erzählen, sie wolle nun etwas über ihn wissen. Er sei für sie wie ein Engel, der vom Himmel herabgestiegen war.
Er begann zögernd zu reden, wusste nicht, was er sagen wollte oder was sie hören wollte, denn der Gedanke, dass er sich in einer verfänglichen, ja gefährlichen Situation befand, ließ ihn einfach nicht los. Er versuchte sich von ihr zu lösen, wollte ihr erklären, dass es Zeit für ihn sei, dass er lieber in seine Hotel zurückkehren wollte, sagte es ihr aber nicht deutlich, weil sie so glücklich an seiner Seite war und er dieses Glück nicht beenden wollte. Als ob sie seine Absicht auch ohne Worte verstanden hätte und genau das verhindern wollte, schmiegte sie sich noch enger an ihn und begann ihn wieder zu küssen. Mit wilder Gier bewegte sich ihre Zunge in seinem Mund, dabei streichelte sie ihn, tastet nach seinem Glied, das sich langsam wieder regte und sich deutlich aufrichtete, nachdem sie es in ihren Mund genommen hatte, an ihm saugte und ihre Zunge flink um seine Eichel spielte. Fast gegen seinen Willen, der ihm sagte, er solle Schluss machen und endlich gehen, erregte er sich erneut und auch sie war bereit, obwohl er sie kaum gestreichelt und nur ihre Küsse erwidert hatte. So segelten sie ein weiteres Mal in den Garten der Lüste, in das Meer der tobenden Wollust. Er gab sein Bestes, obwohl es diesmal lange dauerte, bis er kam, aber genau das gefiel ihr, denn sie war unermüdlich, erfand allerlei Varianten, trieb ihn mit neuen Stellungen voran, wendete alle Tricks an, die nur eine Prostituierte kennen konnte, alle Verführungskünste, um Männer willig und somit spendabel zu machen. Er, ein eher konservativer Liebhaber, lernte in dieser kurzen Zeit mehr an erotischen Techniken, als er bisher mitbekommen hatte. Es war eine wunderbare körperliche Vereinigung, vielleicht die schönste, die er bisher erlebt hatte und sie erreichten auch wieder ihr Ziel, wobei die Frau bei ihren Höhepunkten dieses Mal keine Schreie ausstieß, worüber er sehr froh war.

Beide hatten ihr inneres Gleichgewicht wieder gefunden. Er hatte sich aus dem Bann gelöst, mit dem sie ihn verhext hatte, und war sich nun mehr denn je des Ernstes seiner Lage bewusst. Und auch ihr wurde nach dem Rausch der Gefühle wieder klar, dass sie sich ebenfalls leichtsinnig in Gefahr begeben hatte. Sex mit einem Ausländer war in diesem Land für eine Frau deutlich verdammungswürdiger, als mit einem Landsmann. Rasch zogen sie sich an und sie erklärte ihm, wie er gehen müsse, um zu seinem Hotel zu kommen und dass er aufpassen müsse, die Nächte hier hätten Augen und Ohren. Er war unschlüssig, nicht weil er noch länger bleiben wollte, nein, das Schäferstündchen war zu Ende, er war unschlüssig, ob er ihr Geld geben sollte, ob sie einen Lohn für ihre Dienste erwartete, sie war schließlich doch eine Nutte, das war sicher, aber sie hatte soviel persönliche Gefühle in ihr Zusammensein investiert, dass er meinte, er würde sie beleidigen, wenn er ihr jetzt Geld geben würde. Er griff schließlich doch zu seinem Geldbeutel, gab ihr den Rest des lokalen Geldes, den er nicht mehr brauchen würde und dazu ein paar Dollarscheine, so viele, wie er entbehren konnte. Sie war, wie der Kellner im Restaurant, weder erstaunt, noch besonders dankbar, sie steckte das Geld in ihren BH und küsste ihn zum Abschied auf den Mund.

Das Haus zu verlassen, war kein Problem. Anscheinend hatte niemand bemerkt, was sich in der Wohnung abgespielt hatte, zumindest hatte niemand Anstoß genommen. Er streckte erst den Kopf durch die Tür, schaute sich um, dann trat er auf die Straße und ging rasch in Richtung seines Hotels. Ihm begegnete wieder kein Mensch, was ihn diesmal nicht wunderte, denn es war nun doch spät geworden. Erst als er vor der schweren Hoftür des Hotels stand, fiel ihm ein, dass er sich nicht erkundigt hatte, wie er in der Nacht hineingelangen könnte, wenn der Portier nicht mehr an seinem Platz war. Aber beim Weggehen hatte er ja nicht damit gerechnet, dass es spät werden könne. Einen Klingelknopf gab es nicht, er fand jedenfalls keinen, und er sah auch keinen schweren Türklopfer, den es an vielen Türen gab und auch sonst nichts, was er hätte benützen können, keinen Stein, keinen Ast. Er klopfte mit den Fäusten, mit den Schuhen, er klopfe und klopft, obwohl er wusste, dass es vergeblich war, denn die Rezeption war durch einen kleinen Hof vom Tor getrennt und war um diese Zeit vermutlich gar nicht besetzt oder der Mann, der wachen sollte, schlief. Das Hotel hatte auch keine Fenster zur Straße, das Tor war in eine glatte, weiße Mauer eingelassen, offensichtlich der einzige Zugang und vermutlich umgab diese Mauer das gesamte Grundstück. Ein paar Schritte die Straße hinab und hinauf bestätigten seine Vermutung und machten ihm die Vergeblichkeit seines Tuns ganz deutlich. Die Mauer ging nahtlos in andere Mauern über, es war eine lange, abweisende Front, die eine Überwindung für ihn unmöglich machte. Was tun, in dieser fatalen Situation? Ruhig bleiben, gut, aber was dann, wenn die Ruhe auch nichts bringt? Zur Polizei gehen? Erstens wusste er nicht, wo er die hätte finden können und dann, was sollte er sagen, wie erklären, wo er die halbe Nacht verbracht hatte? Die Restaurants waren seit Langem geschlossen, andere Lokale hatte er gar nicht gesehen. Man würde nachfragen, ihn der Lüge überführen, seine Situation würde sich verschlechtern. Konnte er die Frau ins Spiel bringen? Das wäre für sie beide gefährlich. Wenn die Polizei ihn entsprechend verhören würden, würde er aber doch alles zugeben, alles verraten, es sei denn, es gäbe niemanden, mit dem er überhaupt reden konnte, vielleicht konnten ihm diese Sprachschwierigkeiten nützen, aber verlassen konnte er sich darauf nicht, zudem es ja noch den Führer gab, den man einbestellen konnte. Ratlos stand er vor der Tür, kein Licht hinter der Mauer, kein Mensch auf der Straße, den er um Hilfe hätte bitten können.

Was bleibt ihm übrig, als zu warten - aber wo? Noch einmal zurück in die Altstadt will er nicht, dort ist sowieso alles geschlossen. Er geht in die andere Richtung, weg vom Zentrum. Auf einem kleinen Platz, der dieses Mal von Bäumen umgeben ist, ein Spielplatz für Kinder, setzt er sich auf eine Bank und wartet und grübelt und döst vor sich hin, bis der Morgen graut. Als es kurz nach sechs Uhr ist, kehrt er zum Hotel zurück, er erinnerte sich, dass man dann schon Frühstück bekommen konnte. Er hat Glück, die Tür war offen. Der Portier und auch der Mann an der Rezeption tun so, als sei es ganz normal, dass er erst um diese Zeit zurückkommt. Er nimmt seinen Schlüssel, geht auf sein Zimmer, duscht, wechselt die Kleidung, packt seinen Koffer. Gerade als er sich zum Frühstück aufmachen will, klingelt das Telefon auf dem Nachttisch. Er solle bitte gleich zur Rezeption kommen. Dort erwartet ihn sein Führer und ein finster blickender Mann in Uniform. Der Führer ist aufgeregt, wirkt verängstigt, sagt, sie müssten miteinander reden. Er stellt den Mann vor, er sei von der Polizei, als ob man das nicht sehen würde. Dieser spricht kein Wort Englisch, gibt ihm aber die Hand. Sie gehen in die Frühstückslounge, suchen eine stille Ecke, aber es ist ohnehin noch niemand im Saal. Der Polizist fängt an, ihn auszufragen. Der Führer und der Dolmetscher ist Schweiß gebadet, verhaspelt sich immer wieder. Wo er in der Nacht gewesen sei? Was er getan habe? Warum er erst um 6.23 zurück in das Hotel gekommen sei? Ob er nicht gewusst habe, dass es für Ausländer verboten sei, die Nacht außerhalb des Hotels zu verbringen? Ob er nicht gewusst habe, dass es eine Sperrstunde gäbe, von Mitternacht bis 6 Uhr morgens, die für alle gälte, auch für Ausländer wie ihn? Er stellt sich dumm, antwortet stockend, hält die Wahrheit zurück. Der Polizist ist mit seinen Antworten unzufrieden, man sieht es deutlich. Der verängstigte Führer fleht ihn förmlich an, die Wahrheit zu sagen, nicht zu lügen, das würde alles noch viel komplizierter machen. Aber er bleibt verstockt. Ob er gepackt habe, wollte der Polizist unvermittelt wissen, man würde seinen Koffer holen lassen, er solle aus-checken, man würde ihn zum Flughafen bringen. Der Polizist hat bisher nur wissen wollen, wo er die Nacht verbracht hatte, dachte er, während er wartete, aber nicht mit wem. Er würde weiter schweigen, sich unwissend stellen, man könne ihm die Begegnung mit der Frau ja nicht nachweisen.

Sie fahren statt zum Flughafen in ein graues Haus, das von großen, hohen Betonmauern mit Stacheldrahtrollen darauf umgeben ist. Das Polizeihauptquartier und zugleich das Gefängnis vermutet er. Er wird in einen Vernehmungsraum geführt, dort sitzen mehrere Männer, alle in Uniform. Er soll sich auf einen Stuhl vor ihnen setzen. Der Polizist, der ihn hergebracht hat, erstattet Bericht. Dann übernimmt ein anderer, vermutlich sein Chef, ein höchst unangenehmer Typ, die Befragung. Es geht zunächst wieder darum, wo er war und ob er von der Sperrstunde nichts gewusst habe. Er verneint, guten Gewissens. Ob der Führer, der für ihn zuständig war, ihm das nicht gesagt habe? Er verneint wieder, ganz entschieden. Der Führer ist in einer misslichen Lage, ohnehin schon verängstigt, schwitzt er nun noch mehr. Er will dem Chef etwas erklären, wird aber schroff unterbrochen und stattdessen aufgefordert, die Sache mit dem Beschuldigten zu klären. Er habe es ihm sehr wohl gesagt, dass es nachts in der Stadt sehr gefährlich sei, er habe ihm sehr wohl gesagt, dass er das Hotel nicht verlassen dürfe, er habe ihm empfohlen, im Restaurant zu essen. Ob er das alles vergessen habe und warum er sich nicht an die Anweisung gehalten habe, dann wäre jetzt alles viel einfacher. Er gibt keine Antwort. Der Oberpolizist schaut ihn darauf grimmig an, obwohl er die Worte des Führers nicht verstanden hat. Dann ist dieser wieder an der Reihe. Er habe ihm doch klar und deutlich gesagt, dass Sperrstunde herrsche, dass er nach Mitternacht sich nicht mehr herumtreiben dürfe, ob er das auch vergessen habe. Der Führer wirkt bei diesen Worten sehr unsicher, und als er aufbrausend verneint und er das nun auch übersetzten muss, ist der Angeklagte, so fühlt er sich inzwischen, sicher, dass er lügt. Der Polizeichef nickt aber nur, dann schaut er auf einen Zettel, der vor ihm und zählt auf: um 18.30 habe er das Hotel verlassen, um 20.15 habe er das Speiselokal betreten und es um 22.15 wieder verlassen, dafür gebe es einen Zeugen, der Inhaber des Lokals habe das genau bestätigt, ein zuverlässiger Mann. Um 22.20 habe er den kleinen Laden auf der anderen Seite des Platzes betreten, um 22.30 habe er ihn wieder verlassen. Kurz vor ihm habe eine Frau den Laden betreten und auch wieder kurz vor ihm wieder verlassen, das habe der Besitzer des Ladens bestätigt. Er habe auch bestätigt, dass beide sich in dieser Zeit im hinteren Teil seines Ladens aufgehalten hätten. Während der Führer übersetzt, schaut ihn der Polizeichef fast desinteressiert an. Dann fährt er fort. Ob er die Frau kenne, ob er ihren Namen kenne? Ob er sie früher schon einmal getroffen habe? Was dann geschehen sei, ob er der Frau gefolgt sei, wohin und wozu?. Der Verhörte wird zunehmend unruhig, gibt zu, dass diese Frau zufällig auch in dem Laden war, dass er sie aber weder gekannt habe, noch vor ihr angesprochen worden sei, noch ihr nachgegangen sei. Er sei vor dem Essen allein sehr lange durch die nächtlichen Straßen gegangen und auch danach habe er sich viel Zeit gelassen. Als er dann wieder am Hotel angekommen sei, war dieses schon abgeschlossen. Er habe versucht, sich durch Klopfen bemerkbar zu machen, aber da das nichts gebracht habe, sei er weiter herumgelaufen und habe den Rest der Nacht auf der Bank eines Spielplatzes in der Nähe zu verbringen, er könne genau beschreiben wo das war. Aber zu den Zeiten könne er nichts sagen, er habe keine Uhr dabei gehabt und geglaubt, dass er lange vor Mitternacht wieder beim Hotel war. Der Führer übersetzt, der Polizeichef scheint nach wie vor desinteressiert zu sein.
Nun will er sich aber doch rechtfertigen, alle Schuld von sich weisen. Er sei in der Altstadt herumgegangen, allein, das stimmt, er habe aber nicht gewusst, dass dies ausdrücklich verboten sei und von der Sperrstunde habe er wirklich nichts gewusst, das habe ihm niemand gesagt, auch nicht der Führer, ganz bestimmt nicht, sonst wäre er rechtzeitig zurückgekehrt. Er sei hier in dieses Land als Experte für Archäologie gekommen, er habe ein Visum, das er jederzeit zeigen könne, alles was er gemacht habe, sei korrekt gewesen, er könne den Führer, der ihn auf der Reise begleitet habe jederzeit befragen. Sein einziges Verbrechen sei, dass er nicht im Hotel, sondern in einem Restaurant in der Altstadt gegessen habe und das sei ja wohl kein Verbrechen. Man könne doch seine Gäste nicht so behandeln und er sei doch ein Gast in diesem Land oder nicht. Er werde sich beschweren, wie man ihn hier behandle, er würde Wege finden, seine Beschwerde an die richtige Stelle zu bringen und nun sei es an der Zeit, ihn gehen zu lassen und sich zu entschuldigen. Der Polizeichef schaut ihn nun doch etwas wütend an, als der Führer mit der Übersetzung fertig ist, sagt aber nichts, stattdessen gibt er einem Untergebenen ein Zeichen. Dieser verlässt den Raum und der Polizeichef wendet sich wieder an ihn. Natürlich habe er das Recht frei herumzugehen, er sei in einem freien Land, in dem alle Bürgerrechte respektiert würden und alle Ausländer, die sich nichts zu Schulde haben kommen lassen, mit Respekt behandelt werden. Dass er sich in der Zeit geirrt und zu spät in das Hotel zurückgekehrt sei, das sei zwar ein Vergehen, aber darüber könne man hinwegsehen, zumal der Führer, er schaut ihn böse an, versagt habe. Darum gehe es gar nicht. Er kommt jedoch nicht dazu, ihm zu sagen, worum es gehe, denn nun geht die Tür wieder auf und der Polizist führt die Frau herein, seine Geliebte für eine Nacht. Ihre Hände sind mit Handschellen gefesselt, sie ist aufgelöst, ängstlich, wütend, sie scheint sehr streng verhört, vielleicht sogar gefoltert worden zu sein. Der Oberpolizist redet mit ihr, fragt sie etwas, sie antwortet, heult, schüttelt den Kopf, dann redet sie lange, immer wieder von Schluchzern und neuen Fragen unterbrochen. Als sie fertig ist, redet der Polizeichef eindringlich mit dem Führer, dann erst übersetzt dieser. Diese Frau habe zugegeben, mit ihm in dem kleinen Laden gewesen zu sein. Sie beschuldige ihn, sie erst auf dem Platz, dann im Supermarkt angesprochen zu haben und ihr dann gefolgt zu sein, gegen ihren ausdrücklichen Willen. Sie beschuldige ihn, sich mit Gewalt Zutritt zu ihrem Haus und zu ihrer Wohnung verschafft zu haben. Sie beschuldige ihn weiter, sie dort, in ihrem eigenen Schlafzimmer vergewaltigt zu haben, mehrfach und auf widerliche Weise. Am Schluss habe er sie noch dadurch gedemütigt, dass er ihr einige Dollarscheine vor die Füße geworfen habe. Dann sei er verschwunden und sie sei so verängstigt und empört gewesen, dass sie nicht mehr klar denken konnte und nur deswegen nicht sofort die Polizei angerufen habe.

Nachdem der Führer fertig ist, starren ihn alle an, auch die Frau, die zunehmend unruhiger geworden war, weil sie die einzige dritte Person im Raum war, die verstehen konnte, was der Führer sagte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie schien etwas sagen zu wollen, aber ein hast unhörbares Knurren des Oberpolizisten hinderte sie daran. Dieser ergriff dann erneut das Wort und diesmal war jedes seiner wenigen Worte wie der Schnitt einer scharfen Klinge. Wenn er jetzt gestehe und zugäbe, dass er bei der Frau gewesen sei, könne er verschwinden. Man würde ihn zum Flughafen bringen und man würde ihn nicht zur Rechenschaft wegen der Vergewaltigung heranziehen. Der Frau glaube man kein Wort, sie sei eine Prostituierte und hätte das nur gesagt, um sich zu schützen. Man habe allerdings die Dollarnoten bei ihr sichergestellt, es sei ziemlich viel Geld, für deren Herkunft es keine andere Erklärung gäbe. Er solle gestehen, dass sie ihn angesprochen habe und er mit ihr, in ihre Wohnung gegangen sei, dann sie die Sache für ihn erledigt und er könne den Raum verlassen. Andernfalls würde man sofort Anklage erheben und ihn in ein Gefängnis stecken. Er müsse damit rechnen, Monate auf ein Verfahren warten zu missen und wenn man ihn dann tatsächlich wegen Vergewaltigung verurteilte, würden aus den Monaten Jahre werden, das sei ganz sicher. Denn es sei absolut nicht sicher sei, dass ein Richter die Sache mit der Verführung auch so sehe, wie er, der Chef der Polizei vor Ort, der viel mehr Einzelheiten kenne. Jetzt habe er die Wahl, er müsse nur zugeben, dass die Frau ihn auf der Straße angesprochen habe. Das sie sich getroffen hatten, war durch Zeugenaussagen bewiesen und die Dollarnoten habe man sichergestellt, es gäbe Mittel und Wege, zu beweisen, dass sie von ihm stammten. Die Frau würde man auf jeden Fall anklagen, auch ohne seine Aussage, es gelte, das Land rein zu halten und das Übel der Prostitution an der Wurzel auszurotten. Er aber sei nicht Teil des Landes und käme mit einer mündlichen Verwarnung und ohne weitere Strafe davon, wenn er gestehe, ein reiner formaler Akt, aber mit großen Konsequenzen für ihn, nicht für die Frau. Diese, so der Polizist, seine Frage ahnend, müsse für ihre Schuld büßen, die Gesetze des Landes seien eindeutig, es gäbe angemessene Strafen, er lässt aber offen, um welche Strafe es sich handelt.

Das Pokerspiel nähert sich seinem Höhepunkt und damit seinem Ende. Nur noch die Karten, die der Polizeichef in seiner Hand hielt, zählen. Für ihn geht es um alles oder nichts, um sein Leben, um Jahre seines Lebens zumindest, oder die sofortige Freiheit. Es geht nicht um die Wahrheit, die war nicht gefragt, die war unbedeutend, die interessierte niemanden. Es geht aber auch um Liebe, und um diese Augen, diese blauen Augen, die ihn unverwandt anstarren, während eine Hand den Mund bedeckt, damit der nicht losschreit. Ein „Ja“ aus seinem Mund und alles ist entschieden und für ihn zumindest erledigt. Wem schadet das „Ja“? Hat die Frau überhaupt noch eine Chance? Ist sie nicht schon verurteilt und nur noch nicht hingerichtet? Oder ist das Eis, auf dem sie steht zwar dünn, aber solange tragfähig, wie er den Mund hält? Braucht die Polizei seine Aussage, um gegen sie vorzugehen oder ist dieses Vorgehen schon eine beschlossene Sache? Wenn das so ist, warum brauchen sie seine Aussage? Warum lassen sie ihn nicht einfach laufen? In ihm findet wieder der Kampf zwischen Verstand und Gefühlen statt. Der Verstand sagt unmissverständlich: „Gib alles zu oder sag wenigstens, dass sie dich angesprochen hat.“ Der Bauch sagt: „Die bluffen, die haben gegen sie nichts in der Hand.“ Der Kopf sagt: „Warum willst du diese Nutte schützen, was hast du davon?“ Der Bauch: „Denk an diese Nacht, an das Glück, das sie dir geschenkt hat.“ Alle starren weiter auf ihn, warten auf seine Antwort. Langsam, zögernd, stockend fängt er an zu sprechen.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 5980

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben