Franz und die Frauen

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Franz und die Frauen

Franz und die Frauen

Bright Angel

Kinder liebten Franz. Weil er so toll ein Gürteltier, einen Kopffüßler, ein Polygon und einen Schädling nachmachen konnte. Sogar die Kleinsten trauten sich, frech zu ihm zu sein. Bei den Frauen kam Franz weniger gut an. Wenn er einmal eine kennenlernen würde, liefe es gut, wusste er. Er lernte aber keine kennen. Und warum nicht? Weil er nicht den richtigen Spruch hatte. Bei einer jungen kroatischen Kellnerin mit ausladendem Dekolleté hatte er es mit: „Ich habe ein Motorrad“ probiert. Er hatte eine schwarze Lederhose an, die er sich extra von einem ebenso etwas beleibteren Freund geborgt hatte und trug Lederstiefel, die fast Motorradstiefel sein hätten können. Sie sah ihn an. Franz sah sie an. „Was darf ich dir noch bringen?“, fragte sie. Vielleicht war der Pullover mit Rautenmuster der Fehler. Franz sinnierte bei einer Tasse Kräutertee. Frauen wollen beeindruckt werden, nicht? Ein Freund hatte ihm eine gefakte Rolex von einer Chinareise mitgebracht. Franz ließ alle Stahlglieder des Armbandes drinnen, damit die Uhr aus seinem Hemdsärmel ragte. Eine Kollegin ließ sich erweichen, mit ihm auf einen Kaffee zu gehen. Und, Lottosechser!, sie fragte ihn nach der Zeit. Franz reckte seinen Uhrarm, den linken, hoch, fast genau vor Patrizias Augen. „Die rostet ja“, sagte sie. Eine Auto war wichtig, ein Sportwagen für die ganz Jungen, ein Maybach für die ab dem besten gebärfähigen Alter. In Brasilien, hatte sein Freund ihm erzählt, gehe ohne Auto bei den Mädels gar nichts. Betrachtest du das Auto eines Mannes, weißt du, wie seine Freundin aussieht. Franz´ Fortbewegungsmittel war die Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel. Gut, oder schlecht, wir sind hier aber in Österreich, das ist höher entwickelt als Brasilien, da sind die Frauen nicht so, nennen wir es „bedürftig“. „Frauen wollen lachen, bevor sie küssen“, hatte er einmal gelesen. Bringt man ein weibliches Geschöpf zum Lachen, indem man ihm Saurier zeichnet? Ja!, aber nur, wenn es nicht älter als vier ist. Frauen wollen verstanden werden. Das ist die eine Theorie. Frauen wollen, dass ein Kerl ihnen sagt, wo´s langgeht. Das ist der andere Ansatz. Zweiteres kam für Franz nicht infrage, nicht nur, weil er zu wenig behaart war. Aber Frauenversteher, das zu sein, würde er sich selbst mit einem Stempel bestätigen. Schließlich las er in Cafés „InTouch“, wohl nur, um Lindsay Lohan in Unterwäsche zu sehen, doch immerhin. Dazu ist zu sagen, dass Miss Lohan schon öfters in „InTouch“ auftaucht, aber nicht in Unterwäsche. An seinem Arbeitsplatz, da hatte er Internetz, darin fand Franz sie, wie er sie sehen wollte. Als er, Blut geleckt habend, noch genauer hinschauen wollend, Googles Vorschlag von „Lindsay Lohan ohne Slip im Auto“ bestätigte und danach einen Treffer anklickte, war sein Computer manövrierunfähig. Er würde sich also dadurch profilieren, dass er ins Innere der Frauen sähe und darin ihre Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte aufspürte und möglichst erfüllte. Es würde klappen, endlich würde er eine an Land ziehen. Franz war zuversichtlich. Wenn du gefallen bist, befand er, darfst du nicht liegenbleiben, sondern musst gleich aufstehen und weitergehen. Und das tat Franz jetzt. Da nicht in jedem Kaffeehaus das „Woman“ auflag, kaufte er es, bevor er eines aufsuchte. Er legte es vor sich mit dem Cover nach oben auf den Tisch, an dem er saß. Weckte eine Frau sein Gefallen, oft reichte nur ein kurzer Rock oder offene Schuhe oder Sommerspossen an den Armen, nicht nur das Aussehen war ihm wichtig, auch wie sie sich bewegte, bekanntlich mögen Männer ja Frauen, die mit dem Hintern wackeln, aber bitte dosiert, meinte Franz, und sprach, hielt er das „Woman“ bis zur Nase ziemlich senkrecht hoch. Er wartete darauf, dass eine ihm Zeichen gäbe. Täte es eine Verehrungswürdige, würde er unverzüglich handeln, in ihrem Sinn. Es blieb beim „Täte“, es tat nämlich keine. Bis diese hübsche Rothaarige mit der Haut wie Meissner Porzellan, die er schon länger über seinem „Woman“ angestarrt und die seinen Blick erwidert hatte, plötzlich aufstand und auf Franz zusteuerte. Endlich! Ein Rotkehlchen sang, für andere unhörbar, in seinen Ohren. Sie ging an ihm vorbei aufs WC. Franz senkte das „Woman“, zündete sich eine Zigarette an. Die Frau kam von der anderen Seite zurück. Sie blieb neben Franz stehen. Sie sagte: „Das ist ja widerlich!“, mit ausgestrecktem Zeigefinger. Wieder ein Fehler! Franz hatte nicht daran gedacht, die Frau meinte sein Feuerzeug. Es war mit dem Foto einer seiner für ihn unerreichbaren Wunschbräute bedruckt, blanke große Silikonbrüste, mit der Hand verbarg sie ihren Schlitz im rasierten Venushügel, ihr Mund war offen, die Augen hielt sie geschlossen, so in der Art von: „Es macht mich an, wenn eure Blicke mich durchbohren.“ Immer diese Reinfälle. Schon als er noch jung war, fing es damit an. Als er bei Miriam in ihrem Zimmer war, die vor Freude strahlte, weil sie gerade schicke Klamotten kaufen war, und Franz sagte: „Na, dann führ sie doch mal vor“, schmiss sie ihn raus. Könnte es nicht mal gut für ihn laufen, ihn eine Frau so gierig ansehen wie Kronprinzessin Victoria ihren Daniel? Franz goss sich Tee nach. Der Tee beruhigte, das war notwendig. Franz tat es nicht gerne, aber einmal war der Druck so groß gewesen, dass es sein hatte müssen: Er besuchte einen Nachtclub. Er musste draußen läuten, ein Schlitz in Augenhöhe ging auf, jemand musterte ihn, der Schlitz ging wieder zu, und die Tür wurde ihm geöffnet. Gewonnen! Der Mann war sehr freundlich. „Treten Sie bitte ein, mein Herr“, er trug eine Fliege. An der Theke saßen einige der Mädchen, andere fläzten in Polsterstühlen, die blickten gelangweilt drein oder waren in Gedanken versunken, vielleicht waren sie gerade dran gewesen. Die an der Theke hingegen sahen interessiert. Franz setzte sich ans linke Ende der Theke und bestellte ein Bier. Neun Euro für ein kleines. Uff! Eine Blonde mit schon tiefer eingeschnittenen Gesichtszügen setzte sich neben ihn: „Hallo, ich bin Yvonne. Du scheinst mir wohl der Whirlpool-Typ zu sein?“ „Ich, nein“, antwortete Franz, „warum denn, nur weil ich ein etwas runderes Gesicht habe?“ „Du verstehst nicht, mein Süßer“, sagte Yvonne, „das ist das VIP-Service. Es kostet nur …“ Sie nannte eine in Franz´ Ohren astronomisch hoch klingende Summe. „Nein danke“, wiegelte er ab. „Du willst nicht, schade“, bedauerte Yvonne mit einem weichen slawischen Akzent, „zahlst du mir wenigstens einen Piccolo?“ „Wie teuer ist der?“, fragte Franz. „Achtundzwanzig Euro.“ Uff! „Das ist zu viel. Sag, kannst du nicht ein Bier trinken oder so, das wäre drin?“ „Nein, das dürfen wir Mädchen nicht. Mach´s gut, tschüss.“ Sie ging wieder und setzte sich an ihren alten Platz am anderen Ende der Theke. Franz schlürfte an seinem Bier. „Hallo, ich heiße Lilo“, die Nächste stand bei ihm, dunkelhaarig, jung, Engelsgesicht, „und wie heißt du?“ „Franz.“ „Von wo bist du?“ „Von hier.“ „Was machst du?“ Die drei Standardfragen. „Ich bin D-Beamter im Wasserwerk“ Das Mädchen rekapitulierte: Wer sagt, er hieße „Franz“ und arbeite als D-Beamter im Wasserwerk, heißt nicht in Wirklichkeit „Francois“ und ist Flugkapitän, sondern heißt wirklich so und arbeitet auch dort. Ihre Chancen stünden ausgezeichnet. Sie griff an seine erogene Zone, ein Mann hat nur eine, und drückte zu. „Zahlst du mir einen Piccolo?“ „Jaaa.“ Woraufhin sie sich auf den Hocker neben ihm setzte, die Hand jetzt auf seinen Oberschenkel legte und ihre langen, nackten Beine übereinanderschlug. Der Piccolo kam. Lilo nahm einen Strohhalm, rührte damit im Glas herum, legte ihn neben die Sektflöte. „Und woher kommst du?“, fragte Franz. „Ich bin aus Ungarn, Schnuckelchen.“ Franz kannte sich ein wenig in Ungarn aus, er hatte dort früher öfters Urlaub gemacht. „Von wo denn in Ungarn?“ „Budapäääst.“ Franz wusste nicht, das die ungarischen Mädchen immer aus Budapest kommen, genauso wie die tschechischen aus Prag und die slowakischen aus Bratislava. Lilo befummelte ihn. Ihre Finger waren geübt, zur richtigen Zeit an der passenden Stelle. Ihr dunkelroter Herzmund gefiel Franz, und ihm gefiel auch, was sie tat. Er blickte tief in ihren Ausschnitt, während ihre Handflächen an seinen Schenkeln, seiner Flanke entlang strichen wie eine jagende Wüstenschlange. „Ich mag versaute Sachen, du auch?“, fragte Lilo und ließ ihren fliederfarbenen Slip hervor blitzen. Sie rieb ihr Knie an seinem. „Äh“, Franz wusste nicht, was er sagen sollte. „Sag, mein Hasimausi, wollen wir zusammen ein wenig Spaß haben? Gehst du mit mir aufs Zimmer?“ Ihre Hand war an der Ausbeulung seiner Hose. „Wie viel kostet denn das?“ Lilo nannte ihm die Preise für eine halbe und eine volle Stunde. Sie waren zwar geschmalzen, aber gerade noch tragbar, müsste Franz halt in Zukunft mehr Dauerwurst und Tortellini essen. „Okay, eine halbe Stunde“, sagte er. Sie gingen die Stiege hinauf, Lilo nahm Franz an der Hand, das tat gut, es wirkte geradezu vertraut. „In zwei Minuten bist du mit ihm fertig“, hallte die Stimme eines der Mädchen durch das Treppenhaus. Fast die Hälfte des Zimmers füllte das Bett aus, Pflanzen waren da, und zentral stand die Steinbüste einer nackten Frau. Lilo zog sich bis auf den Slip aus, als sie von Franz ihren Lohn kassierte. „So, mein kleiner Honigkuchen, jetzt darfst du mich einseifen“, sie streifte ihren Slip ab. Ein Streifen kohlschwarzer Haare war an ihrer Scham. Franz umfasste ihre Taille. Nein, danke, er würde warten, bis sie vom Duschen wiederkäme. Doch wurde es nicht so toll, wie Franz es sich erhofft hatte. Sie lehnte ab, als er sie küssen wollte. „Wir Mädchen küssen nicht.“ Ihre Muschi durfte er gar nicht angreifen. „Nein, nicht den Finger reinstecken, das mag ich nicht.“ Als er sie von hinten nahm, stöhnte sie: „Oh, Baby.“ Das war dann wieder gut, das brachte Franz in Fahrt. Sie hatte kleine, aber runde Pobacken. Ob sie ihn wohl ließe? „Machst du es auch anal?“, fragte er. „Schon“, sagte Lilo, „das kostet aber fünfzig Euro extra, wenn mein Gast normal ausgestattet ist.“ Sie drehte sich um und heftete ihren Blick gegen Franz´ Gemächt. „Okay, bei dir mach ich es um die Hälfte.“

Franz ließ sich ein Bad ein. Wäre sein Leben ein Buch und würde er alle unerfreulichen Episoden durchstreichen, bliebe nicht mehr viel zum Lesen übrig. Während das Wasser einlief und der Schaum stieg, bügelte er seine Wäsche für morgen. Claudia fiel ihm ein. Claudia war das erste Mädchen, die sich körperlich ein wenig mit ihm abgab. Sie hatte Pickel im Gesicht und fettige Haare. Als er bei ihr war, sie lebte in einem der ganz wenigen Hochhäuser in seiner Stadt, ihre Mutter war gerade nicht zuhause, es war Sommer und sie wollten schwimmen gehen, stand sie plötzlich in einem Badeanzug vor ihm, der eine Hängebrust freiließ. Später, auf einer abseits gelegenen Parkbank, griff Franz unter ihren Rock. Claudia ließ ihn gewähren. Sie lehnte sich zurück, streichelte seine Hand zwischen ihren Schenkeln und schloss die Augen. Hinterher fragte sie ihn, ob er schon viele Freundinnen gehabt hatte. Franz schüttelte den Kopf, was sie nicht wunderte. Das ist jetzt dreißig Jahre her, und seitdem hat sich nicht viel geändert. Die frische Wäsche hing jetzt auf Kleiderbügel, die Wanne war voll. Franz setzte Hubert im Wasser auf, Hubert war seine Quietschente, dann legte er sich hinein, die Wanne ging fast über. Aus Schaum modellierte er Figuren, die bald wieder in sich zusammenfielen. Er legte seine rechte Hand auf den Oberschenkel. Er stellte sich vor, wie Grace Slick in einer transparenten Bluse für ihn auf ihrer Altflöte spielte. Seine Hand wanderte nach oben. Er malte sich aus, Rachel Weisz beim Pinkeln zuzusehen. „Pflatsch-pflatsch“ machte das Wasser, wenn Franz´ sich auf und ab bewegende Hand seine Oberfläche durchstieß. Laetitia Casta schrubbt nackt den Boden. „Pflatsch-pflatsch-pflatsch.“ Liz Hurley, bevor sie ihren Inder kennengelernt hatte, quetscht seine Hoden wie in einem Schraubstock zusammen. „Na, du schlimmer Finger, willst du mehr?“, haucht sie und drückt dabei noch fester zu. „Pflatsch-pflatsch-pflatsch-pflatsch.“ Haut so weiß und unschuldig wie der Schnee der ersten Stunde, kam es Franz in den Sinn. Schnee? Skifahren. Tanja Poutiainen! Kein „Pflatsch“ mehr. Der Megalith war aufgeweicht. Oder Margot Käßmann, brr. Aber es gibt ja auch schöne Frauen, wunderschöne Frauen, sinnliche Frauen. Da war doch die Hedy Lamarr. „Pflatsch.“ Hedy Lamarr? Ja genau, Hedy war heiß. Leider erschien sie Franz nur als schwarz-weißes Bild. Gemma Arterton lackiert sich die Zehennägel. „Pflatsch-pflatsch.“ Oxana Fjodorowa in Schwesterntracht gibt ihm ein Zäpfchen. „Pflatsch-pflatsch-pflatsch.“ Audrey Landers, immer noch!, reitet ohne Höschen auf ihm und macht dabei seinen Rücken feucht. „Pflatsch-pflatsch-pflatsch-pflatsch.“ Hubert trudelt im Wellengang. Lena Gercke flüstert ihm ins Ohr: „Komm, Franz, gehen wir auf den Heuboden. Ich brauch es jetzt von hinten.“ „Pflatsch-pflatsch-pflatsch-pflatsch-pflatsch.“

Franz zog den Stöpsel, und das Wasser floss ab. Er stand auf und duschte sich, denn das Zeug klebte ja an der Haut. Im Bett liegend übersah er seine Situation von der Position des luftigen Mäusebussards. Natürlich war er in einer weit besseren Lage als ein indischer Unreiner, der in einem Pappkarton lebt. Er hatte eine kleine, aber saubere Wohnung, einen unkündbaren Job, bei dem nicht viel zu tun war, manch gute Freunde und seine Modelleisenbahn, die Landschaft hatte er teils selbst aus Pappmaché geformt und bemalt. Er war versorgt, er war abgesichert, seine Wege waren ausgetretene in einem Wirtschaftswald statt Dschungel. Er jagte nicht nach Essen, er machte den Kühlschrank auf. Es fehlte die Spannung, die des „Beep-beep“, wenn ein SMS eingegangen ist, ist es von ihr?, die Unabwägbarkeit, was hat sie heute Abend vor?, die Abwechslung, die Lebendigkeit. Es fehlte die sanfte Hand, die über seine Haut fuhr, es fehlte ein zweiter schlafender Atem in seinem Bett. Eine Partnerin ging ihm ab. Es müsste ja nicht gleich für immer sein, aber er wünschte sich, wieder einmal den leichten Stromstoß der ersten Berührung zu spüren. Franz erinnerte sich an Stanislaus, der erst wenige Tage alten Kater, die Mutterkatze und alle anderen Jungen waren in der Scheune gestorben, den er als Zehnjähriger am Bauernhof seiner Großmutter gerettet hatte. „Mama, da lebt ja noch einer“, hatte er gesagt, da er mit seinen kindlich feinen Ohren leises Miauen vernommen hatte. Stani hatte dichtes weißes Fell mit großen schwarzen Flecken, drei Pfoten waren weiß, die linke vordere war schwarz. Stani war aggressiv, er fauchte nicht, aber er biss und kratzte. Mit jedem Hund in der Nachbarschaft legte er sich an. Bis er ausgewachsen war, schnurrte er ständig. Franz ließ ihn nicht in seinem Bett schlafen, denn wenn Stani raus wollte, biss er einfach in seinen Fuß. Dann trug er ihn raus wie ein Paket, Stani war das gewöhnt. Wenn Franz spazieren ging, folgte ihm Stani, auch über weite Strecken. Er war sein Gefährte. Nun hätte Franz gern eine Gefährtin, aber eine ohne Pelz. Er lächelte, als er an Stani dachte, der Katze ohne Furcht, und alsbald schlief er ein.

Die Tage kamen, die Nächte gingen. Sie wurden kürzer, denn der Winter war im Anzug. Franz sah außer Fußball nicht viel fern, er las lieber, die Tageszeitung in der Früh beim Kaffee, Bücher am Abend. Auf dem Weg zur Arbeit kam er bei einem Kindergarten vorbei. Die Kleinen trugen nun alle Hauben. Viele kannten ihn. „Hallo Onkel Franz“, riefen manche. Franz blieb oft stehen und machte mit ihnen Späße. Eine Raupe, die weint, ein Pottwal auf Urlaub, er schnitt Gramassen und gab Geräusche von sich. Ein Mädchen in einem rosaroten Skioverall schenkte ihm ein Bild, das sie selbst gemalt hatte. Onkel Franz, groß und mit Bauch, und sie, klein, mit langen braunen Haaren, beide hatten sie einen grinsenden Mund. Franz wurde entspannter, was Frauen anging. Mit markigen Sagern eine Frau ins Bett zu kriegen, funktioniert nur im Film, wurde ihm klar. Eine Frau will nicht aufgerissen werden wie eine Puntigamer-Bierdose, mit der Brechstange lässt sich keine knacken, sie ist ja kein Behältnis. Er hörte auf, sie zu beäugen wie der Steinzeitmensch den ersten Faustkeil, dass die Weibchen schon wussten, was da in seinem Gehirn ratterte. Sie gingen nicht mehr in Abwehrhaltung, wenn Franz in der Nähe war, in Lokalen ergaben sich nun hin und wieder kürzere unverbindliche Gespräche.

Eines Freitagabends, wenige Tage vor Weihnachten, ging Franz mit ein paar Freunden aus. Die Weihnachtsbeleuchtung funkelte in den Bäumen, Schnee lag auf den Straßen, und der Mond war fast voll. Seine Freunde hatten gute Laune. Alle hatten sie zwischen dem Heiligen Abend und Neujahr frei. Die Kinder waren in freudiger Erwartung von Geschenken. Nur einer hatte keine Frau, aber dafür eine Freundin. Franz hielt sich mit Worten zurück. Die stillste Zeit des Jahres wird noch stiller, wenn man niemanden hat. Zum Abschluss suchte er alleine eine Bar auf, um dort bei einem Bier auf den letzten Bus zu sich nach Hause zu warten. Er setzte sich an die Theke, bestellte, zündete sich eine Zigarette an, sah sich um. Die Bar war gut besucht, vor allem von jüngeren Leuten. Nur noch der Hocker neben ihm war frei. Die Tür ging auf. Eine Frau kam rein, mittelgroß, lange blonde Haare, kein Mädchen mehr, in Pulli, Jeans und Overknees. Sie bestellte einen Campari Soda. „Darf ich mich neben Sie setzen?“, fragte sie Franz. „Ich bleibe auch artig“, setzte sie hinzu. „Ja natürlich, gerne.“ Seine Mundwinkel wanderten aufwärts. Er sah, dass sie große blaue Kinderaugen hatte. Sie las eine Zeitung. Sie schüttelte den Kopf. „Unfassbar! Haben Sie das gelesen: Jemand wird zusammengeschlagen und bittet einen Taxifahrer, ihm zu helfen. Und der fährt einfach weg? Ach übrigens, ich heiße „Katrin“.“ Franz bemerkte, dass ihr Mund etwas zu groß war, das gab ihr ein lustiges Aussehen. „Angenehm, Franz.“ Sie schüttelten die Hände. Franz beschloss, das Taxi zu nehmen. Sie redeten, sie gestikulierte. Sie war interessiert an Franz und seinem Umfeld. Ja, sie lebe auch alleine, kein Mann, kein Freund, keine Kinder, sie wollte stets ungebunden sein, doch manchmal, besonders jetzt, fühle sie sich ein wenig einsam. Katrin und Franz blieben bis zur Sperrstunde, Franz übernahm die Rechnung, dafür fuhr sie ihn heim. „Da wären wir“, sagte Franz. Als Katrin den Gang wechselte, streifte sie seinen Handrücken. Franz probierte sein Glück: „Hättest du Lust, vielleicht, ich meine, noch auf einen Sprung zu mir hoch zu kommen, auf ein Getränk oder so?“ „Warum nicht, wir sind ja doch zwei verlorene Glühwürmchen in der dunklen Nacht.“ Im Vorraum der Wohnung zog Katrin die Stiefel aus. Sie würde sich also Zeit nehmen. Franz half ihr aus dem Webpelzmantel. Ihre Umhängetasche hängte sie auf einen Kleiderhaken. Sie trank keinen Kaffee, sie wollte ein Bier. Nebeneinander setzten sie sich auf die Wohnzimmercouch. Franz führte seine Eisenbahn vor, die Lok und die Passagierwaggons waren beleuchtet, Bahnhofsgeräusche ertönten. „Komm zu mir, Franz“, sagte da Katrin. Franz rückte dicht an sie. Leicht legte sie den Kopf gegen seine Schulter, und ihr angewinkeltes Knie berührte seinen Oberschenkel. Ganz sachte begann Franz, es zu streicheln. Ihre Lippen näherten sich seinen, sie entfalteten sich wie die Blütenblätter einer Rose. Der Kuss, der den Rest der Welt verschwinden machte. Er umfasste ihre Brust über dem Pullover, und sie schien es zu genießen. „Ich schlafe bei dir, wenn du mich aufnimmst, wenn ich darf“, sagte sie. „Das wäre schön“, antwortete Franz. Das große Bett hatte auf Katrin gewartet Arme und Beine und Pobacken und Münder. Sie führte ihren Fuß an Franz´ Mund, und leckte ihre Zehen ab. In ihrem Leib sprang die Flut. Sie empfing Franz, der dem Gipfel emporstrebte, und als er ihn erreicht hatte, sah er tausende bunte Lichter.

Eng aneinandergeschmiegt lagen sie beisammen. Franz fuhr über ihr Haar, Katrin über seinen Rücken. Sie schlief vor ihm ein. „Ins neue Jahr gehe ich nicht mehr alleine“, sagte er sich, bevor er seinen ersten Traum betrat.

Am nächsten Morgen war der Platz neben Franz leer. Er setzte sich auf. Aus der Küche hörte er eine Frauenstimme telefonieren. Er zog sich ein Leibchen über. Ach ja, das war Katrin. „Bis bald. Ich muss jetzt aufhören“, sagte sie in ihr Handy, als Franz vor ihr stand. Sie war angezogen, mitsamt den Overknees. Er war ein wenig unsicher geworden. „Setz dich doch, ich mache uns Frühstück“, sagte er. „Nein, ich muss gehen“, entgegnete sie, „Franz, du schuldest mir fünfhundert Euro.“ „Fünfhundert Euro, wofür denn?“ „Für die Nacht.“ Franz war perplex, aber er verstand: Eine Professionelle hatte ihn geleimt. „Du hast aber nicht gesagt, dass du etwas dafür verlangen würdest, also gebe ich dir auch nichts“, sagte er. „Wenn du nicht zahlst, kommt Flamur bei dir vorbei.“ „Wer ist Flamur?“ „Ein Freund, der auf mich aufpasst.“ Flamur klang kosovarisch, Franz versuchte sich herauszuwinden. „Ich habe nur noch so an die siebzig Euro im Haus, die kann ich dir geben.“ „Das reicht nicht. Hast du keine Bankomatkarte?“ „Doch, aber sie ist zerkratzt. Sie funktioniert nicht. Ich muss mir eine neue besorgen.“ Hast du denn nichts in der Wohnung, was etwas wert ist?“, fragte sie. „Nein, gar nichts“, beteuerte Franz. Katrins Handy läutete. „Der Typ macht Ärger“, sagte sie hinein. Sie ging mit dem Handy durch die Wohnung und zählte Gegenstände auf: „Flachbildfernseher, billige Uhr.“ Bei „Modelleisenbahn“ blieb sie stehen. „Von welcher Marke ist die?“, wollte sie von Franz wissen. „Märklin“, war seine Antwort. „Ist gut, mache ich“, sprach Katrin ins Handy, „ich bin gleich bei dir. Bussi.“ Und sie packte alle Modelle in ihre große Umhängetasche. Übrig blieb die verwaiste Landschaft. Sogar den Kohlewaggon nahm sie mit.

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