Ihr Blick löste sich von ihm, richtete sich in die Ferne, um das Bild zu deuten, das er ihr vorgaukelte. Im Spiegel zogen die Leute am Café vorbei. Sie sah sie vorbeihuschen und suchte einen festen Punkt: eine Frau im Wagen auf der anderen Seite. Seine Frau. Ihr Blicke schienen sich zu kreuzen. Der Spiegel zersprang und sie sah sich unversehens auf einem Grat über Abgründe wandeln. Ihr Tritt war sicher und die Höhe machte ihr keine Angst. Darüber wunderte sie sich.
Ihr Blick verlor sich im Spiegel und sie vernahm die falsche Melodie seiner Worte. Sie stand auf und lächelte ihn an. Er verstummte, seine lächelnde Erwiderung blieb ein wehes Grinsen. Sie holte aus und ohrfeigte ihn auf die linke, zog die Hand vorbei und schlug ihn mit dem Handrücken auf die rechte Wange. Er rührte sich nicht, sondern starrte sie nur an. Sie hob die Kaffeetasse vom Teller. Er rührte sich auch nicht, als sie den warmen Kaffee über ihn ausgoss, sondern bettelte nur hungrig mit seinem Blick. "Du hast es ihr gesagt!", zischte sie und gab ihm den Gnadenstoß, er fiel mit dem Stuhl um.
Sie aber drehte sich um, verließ den Raum und schritt erneut den Grat entlang, vorbei an den Schloten verrauchter Liebe, die aus ausgekühlten Schlafzimmern gleich steinernen Phallen in den Himmel ragten. Im Vorübergehen hörte sie das erkaltete Liebesgeflüster und die längst verhallten Lustschreie. Vor ihr ein Schlot aus dem Rauch aufstieg. Sie blieb stehen, umfasste seine warmen Steine und beugte sich über die rußige Öffnung und lauschte hinab. Rauch umspielte sie und trug das hitzige Geflüster an ihr Ohr. Als sie sich wieder aufrichtete, spürte sie die Augen, die hinter verhangenen Fenstern zu ihr aufblickten, spürte die Bewunderung in den heimlichen Blicken und genoss sie noch mehr als die Wärme des Kamins.
Als sie sich umblickte, sah sie ihm in die Augen, er war ihr gefolgt. Sie konnte nicht glauben, dass gerade er den Mut dazu aufgebracht hatte. Sie ließ den Schlot los und stürzte vom Grat, schlitterte das Dach hinab, zersplitterte im Sturz die Scheiben und blinzelte in die aufgerissenen Augen der Gaffer. schnell wandte sie sich ab, suchte seinen Blick. Sein Stuhl war nach hinten gekippt und leer. Wieder blickte sie sich um, und wieder sah sie ihm in die Augen. Er stand hinter ihr, reichte ihr eine brennende Zigarette und flüsterte ihr ins Ohr: "Ich habe niemanden, hörst du, niemanden etwas gesagt." Dann warf er einen Geldschein auf den Tisch, half ihr hoch und schlenderte mit ihr über den Laufsteg hinaus. Zurück blieb kühle Eleganz. Die anderen beiden Temperamente hatten sich indes verloren.
Französisch offen
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