Die Wahl eines Tattoos ermöglicht den direkten Blick in die Seele einer Frau. Will sie einen Drachen? Möglicherweise muss sie ein Trauma aus früher Jugend verarbeiten. Will sie eine Rose, exakt in der Mitte ihres rasierten Venushügels? Möglicherweise ist sie Nymphomanin und sehnt sich nach dem Rosenritter. Eine kleine schwarze Spinne direkt oberhalb der linken Brustwarze? Bestimmt ist sie morbid veranlagt und steht auf Alice Cooper. Ein Arschgeweih gar? Sie steht auf harten Sex. Der Lover soll sich vom Geweih herausgefordert fühlen, Hirsch gegen Hirsch, atavistisches Kämpferritual, Reviergebaren. Solche Frauen mag ich am wenigsten, die mit der Rose am allerliebsten.
Aber heute bin nicht ich es, der tätowiert, sondern mein Kollege Klaus. Mit glänzenden Augen steht er am Untersuchungstisch und wartet auf die nächste weibliche Leinwand. Über mir schlängelt sich eine feuerrote, gigantische Rutschbahn. Hat zehntausende von Euro gekostet. Durch kleine Seitenventile wird Seifenschaum auf die Rutschfläche gespritzt. Egal, wie gross ein nackter Weiberhintern ist: Keine Frau bleibt an der Rutschbahnunterlage kleben, keine steckt fest. Alle werden nassgespritzt, gleiten, sausen oder rasen kreischend um die Kurven. Am Ende wird die Fahrt abrupt verlangsamt. Jetzt sitzen die Frauen auf einem schwarzen Fliessband, das sie zu mir führt, eine nach der andern. Die einen sind splitternackt, andere wiederum haben ihr Top oder ihr T-Shirt anbehalten. Zweitere sind mir lieber, da bleibt noch was übrig für die Phantasie.
Meine sexuellen Phantasien schwächen sich allmählich ab, denn ich habe schon alles gesehen, und zwar mehrfach. Ich epiliere seit drei Tagen. Morgen darf ich dann ins Tattoo-Studio und Wünsche entgegennehmen. Kasse und Buchhaltung sind bei uns der unbeliebteste Job, Tattoos einbrennen das Highlight. Das Epilieren liegt irgendwo in der Mitte.
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