Freundinnen - Teil 3

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Freundinnen - Teil 3

Freundinnen - Teil 3

Olaf Hoffmann

13. Sonja:

Ich konnte nicht glauben, daß ich wirklich noch mal mitspielte, aber es war einfach zu verlockend. Michael sowieso - und dann noch die verrückte Idee mit dem Park! Ich hätte mir das allein nie getraut. Aber Annette hatte diese abenteuerliche Phantasie, die sie dann mir einfach unterschob. Und dann bereute ich nichts. Es war herrlich. Die ganze romantische Atmosphäre in der Abenddämmerung brachte mich schon in Stimmung. Bereits als ich auf ihn zulief, schien mein Herz vor Aufregung zerspringen zu wollen. Ich konnte mich gar nicht mehr beherrschen. Ich wollte ihn so sehr, ein Trieb, wie ich ihn auch in meinen schlimmsten Zeiten nicht gefühlt hatte. Jegliche meiner Fasern wollte so sehr mit ihm vereint sein, daß alles andere um uns herum in Vergessenheit geriet. Meine Erregung war von Anfang an so stark, daß er mit mir hätte tun können, was er wollte. Wie beim ersten Treffen harmonierten wir aber ausgezeichnet miteinander.
Wieder zuhause drängte mich Annette natürlich abermals zu berichten. Details kamen in dem Bericht nicht vor, denn so sehr wie sie Michael zugetan war, hätte sie nur noch mehr gelitten. Ich verstand sie nicht. Die Arme quälte sich damit und wollte doch nur immer noch mehr wissen. Sie und Anja waren meine besten Freundinnen. Sie hätte mit Michael zusammen sein sollen, war doch so sehr in ihn verschossen, stattdessen wurde ich vorgeschickt. Das Erzählte quälte sie genau so wie mich, denn ich mußte mir dabei eingestehen, daß ich ihn auch wollte und nicht nur für verrückte Spielereien. Doch könnte ich ihn für mich gewinnen? War ich überhaupt zu einer dauerhaften Beziehung fähig? Es gab bislang keinen ernsthaften Versuch. Aber es konnte ja gar nicht Wirklichkeit werden, ohne Annette zu verletzen. Alles war verfahren. Was hatten wir angestellt? Ich hatte kaum ein paar Worte mit ihm gesprochen und war verliebt. Zum ersten Mal war da dieses irre Gefühl und ich hatte gleichzeitig deswegen ein schlechtes Gewissen, mochte mich Annette nicht offenbaren.
Annette wollte weitere Phantasien und ich wollte weitere Treffen, Sex, einfach nur ihn, wie auch immer. Wir überlegten und quälten uns gegenseitig.

14. Annette:

Was Sonja berichtete war ziemlich prickelnd. Zwar tat es mir weh, daß sie das erleben konnte, was ich mir versagte, doch es tat mir auch wohl, mich mit meinen Gedanken in das Abenteuer hineinzuversetzen, es mitzuerleben.
Die Vereinbarung mit Michael, nicht explizit auf solche Treffen im Nachhinein einzugehen, erleichterte mir dann die nächste email zu verfassen, in der ich wieder einige Dinge des internet-Projektes zur Diskussion stellte.
Sonjas und meine Überlegungen, wie es weitergehen konnte, wurden dann jedoch durch Michaels Vorschlag durchkreuzt, eines meiner Probleme mit der Seite persönlich diskutieren zu wollen, das sei so viel einfacher zu diskutieren. Mag es ein Vorwand gewesen sein, die Beziehung auf eine andere Ebene zu bewegen, oder auch nur seine praktische Art, ohne sich viel dabei zu denken. Uns brachte das erheblich in Verlegenheit, denn so wäre unser doppeltes Spiel aufgeflogen.
In meiner Antwort suchte ich auszuweichen und dachte wirklich, das könnte funktionieren...

15. Anja:

Als jemand klingelte und ein Mann an der Gegensprechanlage erläuterte, er wolle Annette besuchen und etwas besprechen, vermutete ich dabei nichts Außergewöhnliches, obwohl Annette selten Besuch bekam.
An der Wohnugstür erkannte ich Michael von den Bildern auf der internet-Seite, die Annette uns gezeigt hatte. Insgeheim hatte ich die Seite öfter besucht und seine Texte gelesen und mir angeschaut, was die Seite sonst noch zu bieten hatte. Sie bot eine Menge an Phantasie und Unterhaltung, zum Nachdenken und Schmunzeln. Gern geriet ich so ins Träumen. Ich liebe Literatur und hier konnte ich in schönen Texten schwelgen. Er hatte auch bei mir Eindruck gemacht. Ich freute mich für Annette, einen so netten Mann kennengelernt zu haben, lächelte ihn freundlich an und führte ihn zu Annettes Zimmer, fragte mich, warum ich nicht mal so viel Glück hatte und klopfte.
Annette sagte "Herein" und beim Öffnen der Tür sprach ich zu ihr, sie hätte Besuch bekommen. Annette drehte sich herum und beide schauten sich mit großen Augen an. Auf meine Frage "Annette, was ist denn los?" wechselte sein Blick verständnislos zwischen mir und ihr hin und her und fragte ratlos: "Annette?" Diese brachte keinen Ton heraus.
Im nächsten Augenblick stürzte Sonja ins Zimmer und vervollständigte die Szene. Diese faßte Michael an der Schulter und stotterte etwas wie: "Michael, laß dir doch erklären...!"
Annette fiel ihr ins Wort: "Sonja, es geht nicht..." und Michael stieß völlig verwirrt hervor, was hier überhaupt gespielt werde. Sonja und Annette sprachen hektisch durcheinander und versuchten etwas zu erklären. Ich verstand nur so viel, daß Annette Sonja für sich ausgegeben hatte und diese Michael bereits einmal getroffen hatte. Ich konnte nur sprachlos staunen. Auch der von der Täuschung Betroffene schien schockiert und verwirrt zu sein, schüttelte nur verständnislos den Kopf, einmal die eine, dann die andere ansehend.
Enttäuscht von den beiden taumelte Michael schaudernd zurück, beide mit der einen Hand abweisend, mit der anderen nach Halt suchend. Plötzlich war Stille im Raum. Und dann eilte er hinaus.
Sonja und Annette waren noch immer erstarrt und entsetzt. Selbst war ich auch verwirrt. Michael sah so verloren, verzweifelt aus, als habe man ihm den Boden unter den Füßen entzogen. Einem wagen Impuls folgend lief ich ihm hinterher, da Sonja und Annette offenbar noch immer im Schock gefangen waren.
Ich holte ihn erst im Park ein und konnte ihn beruhigen, mit ihm reden. Zögernd erklärte der noch immer stark Aufgeregte mir kurz, warum er so schockiert von den beiden gewesen sei. Ich war erleichtert, daß es nicht wegen Annettes Behinderung gewesen war, betroffen allerdings darüber, was der eigentliche Grund seiner tiefen Enttäuschung war. Wie hatten meine beiden besten Freundinnen nur so etwas tun können, ihn so täuschen, ein solch bizarres Spiel mit ihm treiben. So geht man doch nicht mit jemandem um, den man mag. Ich verstand die beiden nicht, auch ich war enttäuscht von Sonja und Annette. Während Michael sich langsam aus seiner Verwirrung redete, suchte ich noch immer, ihn zu beruhigen.
Keinesfalls wollte er mit den beiden je wieder etwas zu tun haben. Es war eine Mischung aus Traurigkeit und Verärgerung, in die er sich hineinredete. Ich nahm zum Trost seine Hand und wir saßen ein Weilchen schweigend im Park. Ich sann darüber nach, ob und wie da noch etwas zu retten wäre. Sie verstanden sich doch an sich so gut. Wie hatte das passieren können?
Ich suchte Michael zu überzeugen, daß es eine plausible Erklärung für das Verhalten der beiden geben müsse. Er beharrte aber darauf, mit den beiden fertig zu sein. Sein Vertrauen war offenbar zutiefst erschüttert und ich ließ ihm Zeit, bis mein Angebot im Raume stand, meine Freundinnen in aller Ruhe zu befragen, zu vermitteln, aufzuklären, was eigentlich passiert sei. Sein Ärger und seine Verletzung schien so tief zu sitzen, daß er dem nicht einmal zustimmen mochte. Er saß in sich zusammengesunken. Er tat mir so leid in seiner Enttäuschung. Ich umarmte ihn und suchte noch immer ihn zu beruhigen. Sowas tat ich sonst nie. Ich berührte Menschen sonst eigentlich gar nicht, unglaublich, daß ich ihn umarmte. Bei ihm war alles anders, besonders in dieser eigenartigen Situation. Er ließ es ohne Gegenreaktion geschehen. Als ich es später noch einmal versuchte, gelang es mir, ihm die Erlaubnis abzuringen, wenigstens mit Sonja und Annette darüber zu reden und ihm am Abend des darauf folgenden Tages zu berichten. Dazu lud er mich zu sich ein.

16. Annette:

Es war ein Schock, als Michael in der Tür stand und Anja meinen Namen nannte. In einem einzigen Augenblick war unsere Schummelei in sich zusammengebrochen.
Lag sein Entsetzen nur darin, daß ich nicht die war, die er kennengelernt hatte? Dann hätte zumindest Sonja noch eine Chance. Oder lag es daran, daß ich im Rollstuhl saß? Auch dann könnte Sonja noch versuchen, sich mit ihm zu versöhnen. So oder so waren meine Wochen des Glücks vorbei. Was hatte ich für einen Blödsinn angestellt?
Als er fort war, sahen wir uns nur stumm und verlegen an. Wir hatten richtig Mist gebaut und waren damit aufgeflogen. Michael würde sich doch nie wieder melden! Er war mir wichtig geworden. Ich hatte ihn gut kennengelernt und schätzte und mochte ihn doch so sehr. Ich hätte gar nicht mehr verlangt. Mich mit anderen Menschen anzufreunden, mich vertraut zu machen, war nicht mein Talent. Jetzt war die Verzweiflung groß, verloren zu haben, was mir nie gehört hatte. Sonja vorwerfen konnte ich auch nichts und sie mir ebenso wenig.
Wir waren so deprimiert, daß er unser dummes Geheimnis einfach so entdeckt hatte, ohne eine Chance, es ihm so beizubringen, daß er nicht schlecht von uns dachte.
Erst später fiel uns auf, daß Anja, unsere Träumerin ihm gefolgt war? Konnte sie etwas erreichen? Wir hatten sie ja in unser Spiel nicht einmal eingeweiht. Anja mußte uns genauso verachten wie Michael.

17. Sonja:

Als ich Michaels Stimme hörte und wie Anja in Annettes Zimmer ihren Namen sagte, war mir die Katastrophe sofort klar. Ich eilte hinzu und das Desaster wurde nur noch schlimmer. Das mußte die Strafe dafür sein, daß wir nicht aufrichtig gewesen waren, daß wir uns dazu hatten hinreißen lassen, unser Spiel mit ihm zu treiben.
Als Anja später wiederkam, erzählte sie, wie schwer ihn das getroffen hatte, was wir getan hatten. Wir mußten beichten, und als Richterin über unser Vergehen war Anja zurecht böse auf uns, was wir für einen Schabernack mit Michael getrieben hätten. Wir hätten ihr gar nicht zugetraut, daß sie so empört und aufgewühlt sein konnte. Sonst war sie immer die Ruhe selbst. Aber das paßte auch alles nicht zu ihrem verträumten Ideal einer aufkeimenden Liebe, einer zart wachsenden Bindung, zu ihren durch und durch romantischen Vorstellungen.
Es kam natürlich schnell heraus, daß sie ihn verehrte. Unsere verträumte Lehrerin mußte viele Stunden mit seinen Texten aus dem internet verbracht haben, seine Kreativität bewundert haben. Das alles mußte ihre Trämerei weiter angeregt haben.
Umso weniger stieß unser Verhalten auf Verständnis. Dennoch wollte sie vermitteln, damit Michael sich zumindest mit Annette wieder versöhne, mit etwas Glück auch mit mir, was immer sich daraus ergebe. Natürlich erklärten und diskutierten wir noch lange, rechtfertigten uns vor ihr, obwohl wir ja selber wußten, daß wir eine große Dummheit begangen hatten.
Annettes Behinderung ließ Anja nicht als Grund für seine Flucht gelten, das traute sie ihm nicht zu und ich auch nicht. Doch auch das würde sie am nächsten Abend eindeutig klären können, auch zu Annettes Beruhigung oder noch schlimmer, um ihr klar zu machen, daß sie lernen mußte, zu sich zu stehen. Unsere Standpunkte jedenfalls lagen klar auf der Hand und wir konnten nicht mehr tun, als unsere Fehler einzugestehen. Und Annettes Fehler konnte man wohl am leichtesten verzeihen, daß ich den hingegen ausgenutzt hatte, da sah ich schwarz. In einer Situation, in der es um Vertrauen geht, um Zuneigung, waren unsere Fehler natürlich fatal. Wir versprachen uns nicht viel von Anjas Vermittlungsversuch. Das alles mußte Michael zu sehr verwirrt und schockiert haben.

18. Michael:

Wenn ich nur etwas nachgedacht hätte, wäre mir doch klar gewesen, daß Annettes und Sonjas Verhaltensweise einen Grund gehabt haben mußte.
Natürlich konnte man auch eine internet-Seite für Behinderte machen, wenn man nicht selbst betroffen war. Wahrscheinlicher war doch aber, daß man seine Motivation aus der eigenen Erfahrung heraus schöpft. Hatte sie sich nur gescheut oder gar mir gegenüber geschämt, im Rollstuhl zu sitzen? Hatte ich bei ihr einen solchen Eindruck gemacht? Oder hatte sie mit ihrer Freundin einfach nur ein verrücktes Spiel mit mir getrieben? Wer weiß, vielleicht förderte ein solcher Schicksalsschlag perverse Phantasien, Sadismus gegenüber anderen. Ideal getarnt und unerkannt konnte sie in aller Ruhe im internet ihre Opfer auswählen und sie in absurde Affären mit ihrer vermutlich sexsüchtigen Freundin zu stürzen. Wer weiß, was sie noch alles angestellt hätten, um sich an meiner Naivität und Dummheit zu weiden. Lächerlich wollten sie mich machen, sich vermutlich daran erfreuen, wenn sie mich wieder gnadenlos fallenließen, sobald ich ihnen willenlos ausgeliefert war.
Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Diese Sonja verstand ich gar nicht, kannte ich sie doch nur aus ihrer Rolle heraus. Wie konnte die scheinbar so Einfühlsame das alles nur gespielt haben, wie so abgebrüht sein, mit mir so hemmungslos ihr Sexspielchen zu treiben?
Zwar konnte ich nicht leugnen, daß ich wahnsinnig genossen hatte, was ich mit ihr erlebt hatte. Aber so ging es doch einfach nicht. Diese Nymphomanin hatte sich einen Spaß auf meine Kosten gemacht. Ich fühlte mich einfach betrogen und ausgenutzt.
Ich wußte, daß es im internet bizarre Figuren gibt, das aber hatte ich nicht erwartet, nicht in einem solchen Zusammenhang. Ich war frustiert und verärgert, nicht zuletzt über mich selbst, weil ich aus sie hereingefallen war. Ich hatte mich zum Idioten machen lassen. Nun gut. Das war passiert und war nicht mehr zu ändern. Schwamm drüber und ab ins Archiv finsterster Erfahrungen.
Anja zeigte viel Einfühlungsvermögen. Etwas verband uns da im Park. Sie sah so zerbrechlich aus, so zart, so zauberhaft. Frech zerzauste der Wind immer wieder ihre kurzen dunklen Haare, ihre Augen wirkten verträumt. War das alles ein weiteres Spiel der drei? Jetzt kam die Rolle der unschuldigen Träumerin, die kein Wässerchen trüben konnte? Was wollte denn diese verrückte Frauenwohngemeinschaft noch von mir? Wollten die Clique mich in den Wahnsinn treiben? Drei dem Ansehen nach zauberhafte Frauen hatten nur ein Ziel, einen wildfremden Mann komplett zu verwirren und fertig zu machen? Wozu das Ganze? Das war doch alles absurd. Dieser Sonja hätte ich einiges zugetraut, Annette aber eigentlich nicht. Und ein Blick in Anjas Augen mußte mich doch eigentlich überzeugen, daß ihr Zuspruch ernst gemeint sein mußte. Sie hatte eine geheimnisvolle Ausstrahlung und sie schien doch auch empört zu sein über das Spiel ihrer beiden Freundinnen. Das wirkte alles echt. Aber wirkte das Spiel nicht auch echt? Wie sollte ich einer der drei überhaupt noch vertrauen? Vielleicht setzte sich das perfide Spiel weiter fort, nur um mich noch mehr zu verletzten. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich kam nicht weiter. War es Verfolgungswahn oder ein ernüchternder Einblick in unsere heutige Gesellschaft?
Ich wollte mich nicht nochmal zum Narren machen lassen, wollte aber doch irgendwie sehen, wie das Spiel weitergehen würde, wer Sieger sein würde, wenn es bei so einem Spiel überhaupt einen Sieger geben konnte, wenn man das überhaupt noch ein Spiel nennen konnte...

Olaf Hoffmann 2004

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