Das Cabaret befindet sich in einer engen Gasse der Altstadt, direkt neben einer urigen Weinstube. Die mittelgroße Stadt am Bodensee, angrenzend an den Schweizer Kanton Thurgau, beherbergt etliche solcher Etablissements. Das bekannteste trägt den literarisch bedeutsamen Namen `Les Fleurs du Mal´. Es ist einzigartig! Im Jahr 1931 findet man nichts vergleichbares, jedenfalls nicht in Südbaden, und in Württemberg schon gar nicht. Das liegt zum einen am exquisiten Programm, dem es an Pikanterie nie mangelt. Erotische Ausdruckstänze gehören dazu, die in der Provinz sonst kaum zu sehen sind. Es gibt auch kleine, neckische Rollenspiele, die die Zuschauer begeistern. Die besondere Attraktion jedoch hört auf den schönen Namen Frivola, der einer betörenden Frau gehört. Diese spezielle Dame wirkt geradezu magnetisch, zieht allabendlich Männer und Frauen in das Lokal. Ich bin einer von ihnen, der ihr verfallen ist. Das gebe ich offen zu!
Es sind unruhige, schwierige Zeiten im ehemaligen Kaiserreich. Kommunisten prügeln sich mit den Nazis, viele Menschen sind ohne Arbeit und das Chaos herrscht überall. In Konstanz, wo diese Geschichte spielt, ist es vergleichsweise ruhig. Man spürt dennoch, dass auch hier etwas Ungutes unter der Oberfläche brodelt. Der freie Geist dieser besonderen Zeit scheint allerorten bedroht. Ich frage mich, wie lange ich noch unbehelligt meinen Vorlieben frönen kann? Der angenehm kühle Wind verscheucht diese Gedanken. Es ist Juni, ein lauer Frühsommerabend lockt ins Freie. Heute werde ich sie wieder auf der Bühne sehen, dieses fantastische Weib! Ich mache mich auf den Weg, schlendere durch die verwinkelten Straßen. Es ist Dienstag, gegen zehn, daher sind nur wenige Nachtschwärmer unterwegs. Das`Fleurs du Mal´ hat von 18 Uhr bis 2 Uhr morgens geöffnet, am Wochenende auch etwas länger. Die Polizeistunde findet selten Anwendung, da manch honoriger Bürger zu den Stammgästen zählt.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.