Aber etwas in ihr wollte einfach bei ihm sein. Es ausprobieren. Egal, wie falsch es war.
Damals hatte sie ihn dafür verachtet. Für seine Gelassenheit, für die Art, wie er die Verantwortung bei ihr ließ. Heute verstand sie, dass in dieser Freiheit auch ein Versprechen lag – und ein Risiko. Es war die Einladung, sich selbst ehrlich zu begegnen, ohne Ausflüchte.
Sie nahm einen Schluck Kaffee, ließ den bitteren Geschmack auf der Zunge zergehen. Die Gespräche um sie herum verschwammen zu einem leisen Rauschen, sie war ganz in ihren Gedanken, Gedanken an ihn. Sie war immer noch neugierig auf ihn, darauf, wie er sie ansah, als wäre sie ein Geheimnis, das nur er entschlüsseln konnte. Und doch war sie ihm nie ganz offen begegnet – immer blieb etwas Ungesagtes zwischen ihnen, ein Spiel mit Grenzen, das sie reizte und gleichzeitig schützte.
Jedes Mal ein anderes Hotel, immer in ihrer eigenen Stadt, aber nie derselbe Ort. Er bestand auf Luxus, auf weiße Laken, auf Frühstücksbuffets, die für sie den reinsten Luxus darstellten. Und immer brachte er ein Geschenk mit: edle Accessoires, Schmuck, aber manchmal auch nur ein Buch mit einer Widmung, die sie erröten ließ. Sie hatte gelernt, diese Geschenke anzunehmen, ohne zu fragen, was sie bedeuteten.
Doch manchmal fragte sie sich, warum er ihr überhaupt etwas schenkte. War es ein Versuch, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen? Ein stilles Eingeständnis, dass er sich in einer Grauzone bewegte, in der Zuneigung und Schuldgefühle schwer zu trennen waren? Dass er sie auf diese Art quasi bezahlte? Nein, das konnte es nicht sein. Das waren keine Geschenke, mit der man eine Frau bezahlte. Bedeutete jedes Geschenk, dass sie für ihn mehr war als eine bloße Affäre, mehr als ein flüchtiges Abenteuer? Vielleicht wollte er ihr zeigen, dass er sie als Person sah, nicht nur als Körper, nicht nur als Geheimnis, das man nach ein paar Stunden wieder vergisst.
Sie ertappte sich immer öfter bei der Frage, was er eigentlich für sie war. Mehr als ein Liebhaber, mehr als ein Komplize im Spiel mit dem Verbotenen. Sie mochte ihn, ganz ohne Zweifel. Es war seine Stimme, die sie in den Bann zog, und der Blick, mit dem er sie musterte – als wolle er Schicht für Schicht ihr Geheimnis ergründen. Sie spürte, wie sehr er sich stets bemühte, sie zum Lachen zu bringen, sie zu verführen, sie immer wieder aufs Neue zu überraschen. Im Bett war er besser, als sie es je für möglich gehalten hätte: aufmerksam, fordernd, verspielt. Mit ihm konnte sie Seiten an sich ausleben, die im Alltag keinen Platz fanden. Wahrscheinlich reizte sie genau das – dass sie mit ihm nicht die brave Tochter, nicht die fleißige Studentin, nicht die loyale Freundin sein musste. Hier durfte sie alles sein, was sie wollte. Auch die Frau, die sich nicht entscheiden musste, ob sie Männer oder Frauen begehrte. Hier war sie einfach sie selbst, mit all ihren Widersprüchen, ihrer Lust, ihrer Unsicherheit.
Für deine Zeit
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