Für deine Zeit

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Für deine Zeit

Für deine Zeit

Chloé d'Aubigné

Sie wusste, dass er sich fragte, wie lange das noch so weiterginge, spürte es in seinen Blicken, in der Art, wie er sie manchmal länger festhielt, als wolle er den Moment konservieren. Doch sie hatten nie darüber gesprochen, was passieren würde, wenn sie sich verlieben würde – in ihn, in jemand anderen, in das Leben selbst. Sie hatte nie ausgesprochen, was es bedeuten würde, wenn sie eines Tages eine Beziehung hätte, die keinen Raum mehr ließ für heimliche Hotelzimmer und gestohlene Stunden.
Sie hatte ihm nie erzählt, dass sie längst vergeben war. Dass zu Hause eine Frau auf sie wartete, die diese Auszeiten verstand, die die kleinen Geschenke betrachtete und manchmal leise lachte, wenn sie die Spur eines fremden Parfums an ihr wahrnahm. Eine Frau, die sie liebte, ohne zu besitzen, die ihre Freiheit schätzte und wusste, dass Liebe viele Formen haben konnte.
Das musste er nicht wissen. Es war ihr Geheimnis.
Sie schloss den Verschluss des Armbands, spürte das kühle Metall wie eine Erinnerung an die Nacht auf ihrer Haut. Ein geheimes Zeichen, nur für sie – und für die, die sie wirklich kannte. Ihre Partnerin würde es bemerken, würde mit einem wissenden Lächeln fragen, wie der Morgen gewesen war. Sie würde dann verlegen grinsen, möglicherweise auch ein wenig herausfordernd. Es gab keine Schuld mehr, nur dieses Prickeln, das blieb. Sie hatte gelernt, dass Nähe viele Gesichter hatte, dass Liebe nicht immer den Regeln folgte. Und dass sie sich selbst nicht verlieren musste, um zu lieben.
Ihr Handy vibrierte. Eine Nachricht von ihm: „Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Ich musste früh weg. Das Armband steht dir sicher.“ Sie las die Worte, ließ sie langsam durch sich hindurchgleiten, wie ein Nachhall der letzten Berührung. Sie antwortete nicht sofort, genoss das Spiel mit der Möglichkeit – dass alles weitergehen konnte, dass alles jederzeit enden durfte.
Sie verließ den Frühstücksraum, ließ den Blick noch einmal durch die Lobby gleiten, wo alles begann und endete. Draußen empfing sie die frische Morgenluft, die Stadt pulsierte schon, als wäre nichts geschehen. Doch auf ihrer Haut lag noch die Wärme der Nacht, in ihrem Schritt ein Hauch von Geheimnis.
Sie wusste, sie würde ihn wiedersehen. Vielleicht ein letztes Mal, vielleicht noch oft. Aber sie bestimmte die Regeln, sie hatte die Freiheit über ihr Leben zu entscheiden.
An der nächsten Straßenecke schickte sie ihrer Partnerin ein Foto vom Armband. Die Antwort kam sofort: ein Herz, ein Lächeln, ein Versprechen. Ein warmes Ziehen breitete sich in ihr aus, ein Gefühl von Zugehörigkeit und Lust, das sie stärker machte.
Für einen Moment blieb sie stehen und blickte zurück auf das Hotel, wo Sehnsucht und Heimlichkeit zu Hause waren. Dann ging sie – leicht, elektrisiert, frei. Sie war angekommen: bei sich, in ihrer Lust, in ihrem Leben.

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