In derartige Gedanken vertieft, klingelte Stefano bei Patrizia Smetana, seiner neuen Violinlehrerin. Wie sie wohl aussah? Stefano wurde nicht enttäuscht. Patrizia war etwas drall, so, wie Stefano sich die Protagonistin im Buch, das er gerade las, vorstellte, und Patrizias eng anliegender gelber Rock zeigte einen grosszügigen Ausschnitt. Was den Ausschnitt angeht, werden Frauen ohnehin immer offener und unbeschwerter. Sie wissen genau, wie abgestumpft und innerlich leer die Männer mittlerweile sind, weil sie jede Nacht vor sich hin wichsen, das Smartphone auf dem Kopfkissen, und Frauen in der Strassenbahn werden deshalb auch nicht mehr so hungrig angestarrt, wie das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Wenn Patrizia, eine überaus leidenschaftliche Lady, am Morgen vor dem Ganzkörperspiegel stand und sich betrachtete, liess sie seufzend die Schultern fallen.
Es war egal. Ihr Körper war den Männern egal, und auch ihre Freundinnen berichteten enttäuscht von der Gleichgültigkeit ihrer Bettpartner. Darum hätte Patrizia ihre Musikschüler auch nackt empfangen können – sie fürchtete sich vor nichts, denn es würde nichts geschehen. Gar nichts. Um sich ein wenig in Stimmung zu bringen, hatte sie die halbe Stunde, bevor Stefano bei ihr geklingelt hatte, damit zugebracht, mehrere Geigenbogen mit Kolofonium, einem Kunstharz, zu behandeln. Man hält den Bogen am so genannten Frosch, also zuunterst, fest, und reibt mit sanftem Druck das Kolofonium aufs Pferdehaar, aus dem die meisten dieser Bogen bestehen. Es hätten Schwänze sein können. Patrizia verdrängte den Gedanken jedes Mal, aber es hätten Schwänze sein können, die sie mit sanftem Druck behandelte. Patrizia hatte schon lange keinen Partner mehr, und die ganzen Dating Apps hatte sie gar nicht erst ausprobiert. Sie wollte einen Mann kennenlernen, klar, sie wollte auch mal wieder so richtig rangenommen werden, aber der Mann sollte ihr auf natürlichem Weg begegnen.
Fuzzicato
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Fuzzicato
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Musik in Vollendung
schreibt Tom-Übersee