Ihre üppigen Formen hatten ihn so abgelenkt und in Anspruch genommen, dass ihm erst jetzt bewusst wurde, wie hübsch auch ihr Gesicht war, ja dass es ihn nun fast am meisten an dieser Frau faszinierte. Es bildete ein ziemlich gleichmäßiges Oval, die Nase war breit, die Lippen groß und mit einem rosa Lippenstift bemalt. Die Augen, die ihn so überaus freundlich betrachteten, waren mit einem bläulichen Lidschatten verziert. Ihre rostbraunen Haare über der ziemlich hohen Stirn waren schulterlang und lockig, er vermutete, sie waren gefärbt und die Locken künstlich. An den Ohrläppchen hingen große, silberne Ringe. Er wunderte sich, dass diese Frau so geschmackvoll angezogen und geschminkt war, das hätte er in diesem gottverlassenen Kaff nicht erwartet. Er war nun richtig entzückt und konnte seinen Blick gar nicht mehr von ihr abwenden, wozu auch, denn auch diese eingehende Betrachtung, man könnte auch sagen Abwägung oder Taxierung, die durch das Dämmerlicht etwas erschwert war, nahm sie völlig gleichmütig hin, ermunterte ihn nur, den Plastikkrug vollends auszutrinken. Er tat es, obwohl ihm der Gedanke kam, dass es vielleicht nicht so gut sei, bei der Hitze soviel Bier zu trinken, weil er ja noch den Heimweg antreten musste. Aber das Zeug schmeckte nicht nur ganz akzeptabel, sondern mit jedem Schluck immer besser und er fühlte, wie sich eine gewisse Leichtigkeit oder Sorglosigkeit in ihm ausbreitete. Dieses Gefühl und der Anblick und die Nähe dieser lächelnden, gut proportionierten, gut aussehenden, höchst attraktiven und dazu noch äußerst freundlichen Frau, das alles gefiel ihm immer mehr.
Dieses Gefallen schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn auch sie sah ihn mit ihren großen, schwarzen Augen unverwandt an, mit Blicken, die man bei einer verliebten Frau vermuten würde, aber nicht unbedingt in solch einer Situation, da sie sich noch nicht einmal eine halbe Stunde kannten.
Der Gefangene
11 36-56 Minuten 0 Kommentare
Der Gefangene
Zugriffe gesamt: 8434
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.