Der Gefangene

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Der Gefangene

Der Gefangene

Yupag Chinasky

Er hatte sich um die Mittagszeit allein auf den Weg in das entlegene Dorf auf dem Hochplateau gemacht. Einer der Gäste der Lodge, ein älterer Mann, der einen leicht verkommenen Eindruck machte und schon am Vormittag große Menge an Bier trank, hatte ihm von dem Dorf erzählt. Es sei recht malerisch, böte eine schöne Aussicht über die ganze Gegend, sei ziemlich verlassen, garantiert ohne Touristen, etwas für Freunde der Einsamkeit, aber nicht nur das, so seine Worte. Als er das letzte Mal hier gewesen war, wann das war, ließ er offen, da sei er zu dem Dorf hochgestiegen. Es sei gar nicht so weit, nur etwas beschwerlich, weil der Weg schlecht und ziemlich steil sei. Er beschrieb dann genau, wie er den Weg finden würde und wie lange er für den Aufstieg brauchen würde. Dann, nach einem weiteren Bier, hatte er noch verschwörerisch gemurmelt, dort oben, in dem verdammten Kaff, könne man unvergleichlichen Sex bekommen. Solchen Sex habe er vorher in seinem Leben noch nie gehabt und auch danach nie mehr, und er habe, bei Gott, schon viel erlebt, das könne man ihm ruhig glauben, aber dieses Erlebnis wolle er trotzdem nicht noch einmal wiederholen. Warum er das nicht wollte und welche Gefahren dort drohten, gab er aber partout nicht preis, entzog sich vielmehr allen weiteren Fragen mit den Worten: „Einmal im Leben sei völlig genug“, bevor er die Bar verließ.

Der Weg war in der Tat beschwerlich. Er stieg ziemlich an, wurde dann zu einem schmalen Pfad, der von Dornenbüschen eingerahmt war, die ihn mit ihren vielen Armen und spitzen Krallen zurückhalten wollten. Auch die vielen lästigen, ja geradezu unerträglichen Insekten, die ihn umflogen, auf ihn einstachen und bis aufs Blut peinigten, schienen ihn mit all ihren Kräften zur Umkehr bewegen zu wollen. Selbst die Mittagssonne schien das zu wollen, sie brannte vom wolkenlosen Himmel, kein Schatten weit und breit, die Dornenbüsche waren nicht hoch genug.

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