Genug Karin für alle

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Genug Karin für alle

Genug Karin für alle

Anita Isiris

So bot sich Karin mit dem goldenen Herzen geradezu an. Sie liess sich zu Tee und Kuchen einladen, etwa von Rolf, dem menschenscheuen Chemiker. Oder es gab Currysuppe bei Shiram, dem Tamilen. Klingelte die ahnungslose Karin an seiner Haustür, konnte er nur an das Eine denken. Er, der wirtschaftlich und sozial kaum Boden unter den Füssen hatte, sehnte sich nach nichts stärker als nach einer Frau – im Wissen, dass dieser Wunsch bloss Kopfkino bleiben konnte. Shiram war ja in Assam verheiratet, und eine Annäherung an Karin hätte sein ohnehin rabenschwarzes Gewissen nur noch schwärzer werden lassen.

So begnügte er sich etwa damit, Karin zum WM-Finale in seine Wohnung einzuladen, Karin, die sich noch nie etwas aus Fussball gemacht hatte. Aber sie hatte ein goldenes Herz und liess sich darauf ein, auf Shirams fleckigem Sofa die WM über sich ergehen zu lassen. Bloss den Reisschnaps musste Shiram allein trinken – Karin bevorzugte indischen Tee. Aber für Shiram war alles an ihr Liebe, Verführung, Zärtlichkeit. Karins zarte Venen, die durch ihren Handrücken hindurch schimmerten. Karins schwarzes Top, in dem sie sich eigentlich niemandem zeigte. Aber Shirams Wohnung war überheizt, in einem komplett gegenläufigen Trend zu sämtlichen Energiesparmassnahmen. So hatte sie sich ihren Pulli über den Kopf gezogen. „Sei's drum“, hatte sie zu sich gesagt, ohne zu ahnen, dass es dieses schwarze Top war, das Shiram zu einem feuchten Traum verführte, sobald sie spätnachts seine Wohnung verlassen hatte. Er stellte sich Karin vor, am Ganges, unter Tausenden von Menschen, die aus dem Fluss Wasser schöpften, und er stellte sich vor, wie sie sich nicht nur ihren Pulli, sondern auch ihr schwarzes Top über den Kopf zog, sich mit nacktem Oberkörper dem Fluss näherte und sich ausgiebig wusch.

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