Sie sind häufiger anzutreffen als man denkt, diese speziellen, durch Zufall konfigurierten Wohnsituationen in den Blocks dieser Welt. Familienwohnungen, klar. Zwei Familien, die sich gegenüber wohnen – mit gleichaltrigen Kindern – verstehen sich zwangsläufig sofort. Man leiht sich das eine oder andere aus oder... „ach, Christine, ich bin mal eben weg zum Einkaufen. Könntest du in dieser Zeit ein Auge auf Klein-Claudia werfen? Sei so lieb ja?“
Es gibt aber auch andere Konfigurationen wie die am Burgsteinweg 18 in W. Der Wohnblock verfügte über drei Etagen – mit unterschiedlich solide restaurierten Wohnungen. Beginnen wir im Erdgeschoss. Dort wohnte Shiram, ein Tamile. Er ist vor Jahren nach W. gezogen, hat kaum etwas verdient, aber exzellent gekocht. Seine grösste Sorge bestand darin, dass der alles durchdringende Curryduft in seiner Wohnung das Treppenhaus erreichen könnte. Er wollte keineswegs auffallen in dieser unauffälligen Gegend. Aber noch das war besser als seine Lehmhütte in Assam, deren Dach alle drei Wochen neu hatte gerichtet werden müssen. Klar plagte ihn das schlechte Gewissen seiner Frau und den sechs Kindern gegenüber, die er hatte zurücklassen müssen. Sechs Töchter – die Aussteuer wäre für ihn ohnehin unbezahlbar gewesen, sollten seine Kinder dereinst heiraten. Also besser gleich abhauen.
Shiram.
Tür an Tür mit Shiram wohnte Charles, ein Mittsiebziger, dessen Leidenschaft die Gartenarbeit war. Er tat nichts lieber als dem Unkraut zu Leibe zu rücken, regelmässig auftauchende Regenwürmer sorgfältig zu fassen und sie andernorts wieder einzugraben. Charles war Animist. Alles Belebte flösste ihm ungeheuren Respekt ein, und er litt darunter, dass im Grunde kein Mensch leben kann, ohne gleichzeitig zu töten... sei es auch indirekt, indem er Wespen, Würmern und Fruchtfliegen die Äpfel weg ass.
Genug Karin für alle
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