Ginas Tagebuch

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Ginas Tagebuch

Ginas Tagebuch

Anita Isiris

Mein Tagebuch liest ja eh keiner, es kann also völlig egal sein, was ich da reinschmiere. Keine Ahnung, wie ich heute Morgen mein Bett gefunden habe – in welcher Bar ich so lange hängen geblieben bin, möchte ich eh nicht wissen.
Es begann alles damit, dass ich mir mitten in Prag in einem Schaufenster ein Paar Schuhe anguckte, die ich sowieso nicht bezahlen kann. Das Glas widerspiegelte den Typen, der schon eine ganze Weile hinter mir stand, und es sah aus, als würde er mich filmen. Wieso ausgerechnet mich? Ich hatte nämlich totale Nullbock-Stimmung, alles war Scheisse. Dabei war ich doch nur wegen meiner geliebten Querflöte hergekommen. Ich bin Austauschstudentin und durfte im Prager Symphonieorchester mittun. Ich liebe Dvorak und Smetana, müsst Ihr wissen. Irgendwann sprach er mich an, der Typ hinter mir. „I am sorry“, sagte er. Er stellte sich vor als Tom. Ich wollte gar nichts von ihm, aber die Kamera weckte meine Neugier. Ausserdem sah er nicht mal so übel aus. Er war etwas grösser als ich, war gut gebaut, hatte dichtes
dunkles Haar und grüne Augen. Er sei erst seit ein Paar Tagen in Prag, erklärte Tom, und er beschäftige sich mit einer Studie. Ein Teil davon befasse sich mit dem Leben junger Frauen in Tschechien. Dass ich Deutsche war, schmälerte sein Interesse nicht, im Gegenteil. Erst hatte er mich auf englisch angeredet, jetzt schwenkte er auf meine Sprache um. Tom kam aus Holland und war sprachgewandt. Er lud mich ein zu Mac Donald’s. Ich hatte einen Magen, der etwa so leer war wie mein indischer Geldbeutel – also, warum nicht? Tom ging hinter mir, und ich spürte genau, dass er meinen Jeanshintern filmte. Ich stellte keine Fragen und steuerte auf den Hamburgerimbiss zu. Als wir uns gegenübersassen, richtete er die Kamera auf mein Gesicht. „Ey, lass das!“ verlangte ich von ihm, „so geil seh ich nun doch nicht aus, ey!“ Tom lächelte und steckte die Kamera weg.

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