Dieser bekam tellergrosse Augen, als am Mittwoch der folgenden Woche ein Pferdegefährt mit einem breiten Wagen auf die Ställe von Krengers Gut zukam. Auf dem Holzwagen stand ein eingehülltes Etwas in Form eines Pferdes. Reymund Krenger sass neben dem Kutscher, rief diesem etwas zu und sprang auf den Kiesweg. „Johann, ich habe soeben ein gläsernes Pferd erworben; es ist ganz durchsichtig!“ teilte er diesem mit und schmunzelte. Johann wurde heiss und kalt gleichzeitig, denn er hatte sofort erahnt, was sich unter der Stoffhülle befand. Zu dritt hievten die Männer das schwere Kunstwerk vom Wagen herunter und keuchten ob der Last. „Am besten stellen wir es doch gleich in den Stall, als sechsundzwanzigstes Pferd sozusagen“, lachte Reymund Krenger zwischen zwei schweren Atemstössen und packte wieder an. Für Aussenstehende, so es denn welche gegeben hätte, bot sich ein seltsames Bild: Drei Männer hievten an einem lauen Frühlingssonntag unter grösster Anstrengung ein verhülltes Pferd in einen Stall. Mit theatralischer Geste zog Reymund Krenger das hellgrüne Seidentuch weg und enthüllte das gläserne Pferd, das jetzt genau zwischen Rabid und Aurore zu stehen kam. Die beiden Tiere scheuten zuerst und wurden unruhig, gewöhnten sich aber rasch an ihren gläsernen Partner. Was wohl würde Syrte zum durchsichtigen Pferd sagen? Die Antwort erhielt Johann tags darauf. Wie gewohnt erschien Syrte kurz nach Mittag und wurde von Lisa Krenger in den Stall geführt. Sie konnte sich mittlerweile trotz ihrer Blindheit sehr gut orientieren und ging geradewegs auf Rabid zu. Sie zuckte zusammen als sie an ihrem Arm das kalte Glas des neuen Stallbewohners fühlte. Dann wurde sie neugierig und betastete das Glaspferd. Was Syrte an Sehkraft fehlte, das wog sie mit der Sensibilität ihrer Finger auf. Ruhig und mit grosser Sorgfalt erkundete sie das Kunstwerk. Sie war allein im Stall; Johann war auf dem Vorplatz beschäftigt.
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