In dem schönen Gedicht von der Marie A. beschreibt Bertold Brecht, wie er die Erinnerung an eine Frau über viele Jahre nur bewahrte, weil sich ihm das Bild einer flüchtigen Wolke am schönen Sommerhimmel eingeprägt hatte. Auch für ihn gab es eine Marie A. und die Begegnung mit ihr dauerte eine Sekunde, vielleicht auch zwei, länger bestimmt nicht.
Er war dabei ein Café zu betreten, als eine Frau ihrerseits hinaus gehen wollte. Ihre Wege kreuzten sich in dem engen Durchgang der Tür und sie stießen zusammen. Zusammenstoßen ist eigentlich übertrieben, es war nur eine flüchtige, aber dennoch deutliche Berührung. Überrascht durch den Schwung, mit dem er die Tür geöffnet hatte und durch die plötzliche Konfrontation, wollte sie ausweichen und drückte sich dabei einen kurzen Moment lang an ihn.
Der physische Kontakt, der beendet war, bevor er ihn richtig spürte, wurde durch einen leichten, nur schwach wahrnehmbaren, aber dennoch deutlichen Geruch ergänzt. In dem Moment der Berührung roch er diese Frau ganz deutlich, nicht nur den Hauch eines Parfüms, auch ihre nackter Haut und ihren Schweiß. Diese auf ihn einströmende olfaktorische Signal erregte ihn und verstärkte seine Aufmerksamkeit.
Die Berührung und der Geruch wurden ergänzt durch ihre Stimme. Einer Stimme, die warm und leicht vibrierend, allein durch ihren Klang eine Botschaft darstellt, ohne dass man die Worte oder deren Sinn verstehen mußte. Er verstand jedoch das einzige Wort, das sie in diesem Moment sagte: „disculpeme“ - Entschuldingung. Das kurze Wort „disculpeme“, eine Floskeln, die man oft gebraucht, ohne wirklich zu meinen, was sie aussagt, erhöhte die intensive sinnliche Ausstrahlung dieser Frau um ein Weiteres.
Erst zuletzt nahm er sie auch optisch richtig wahr, nicht nur als Schatten, als unbestimmte Gestalt, die ihm im Weg stand. Die Position der beiden Körper an diesem ungünstigen Ort und die Umstände des kurzen Aufeinandertreffens waren nicht geeignet, um sie eingehender betrachten zu können.
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