Grün

Vier Farben

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Grün

Grün

Kastor Aldebaran

Manchmal gibt es Gelegenheiten, von denen man nie gedacht hätte, dass sie einmal Wirklichkeit werden könnten. Nicht einmal das, sondern so unwahrscheinlich sind, dass man nie auf die Idee gekommen wäre. Oder anders, Gelegenheit macht Liebe, zumindest für mich hatte es sich gelohnt.
Sommer sind gefährlich, besonders für junge Männer. Überall rennen offenherzige Versuchungen herum, die in den kühlen Monaten weniger offensichtlich sind. Miniröcke, knappe Topps, anregende Pumps ohne Ende, überall sind sie anzutreffen, reizen die Nerven und bringen sie zum Schwingen. Bilder erscheinen wie von selbst vor den Augen, Situationen werden gebildet und übertragen sich auf die Körper, zumindest auf meinen. Oder anders gesagt, es gibt Tage, besonders die heißen, die zum Träumen veranlassen, was wiederum Auswirkungen auf die Männlichkeit hat. Bei mir ist es nicht anders. Oft gehe ich an solchen Tagen zu einem Eiskaffee, sitze draußen und schaue mir das Schaulaufen der süßen Mädels an, die ihre Reize zu Markte tragen. Brüste sprengen enge Oberteile, straffe Hintern und mehr, zeichnen sich haarscharf durch Hotpants ab und geben der Fantasie wenig Spielraum. Braucht es auch nicht, die offensichtlichen Tatsachen sind Anregung genug, die es mir unmöglich macht, sofort aufzustehen, besonders wenn die äußere Hitze, von der Inneren überlagert wird.
An einem Tag war es besonders schlimm. Als wenn sich die Welt gegen mich verschworen hätte, wurde es zu einem Schaulaufen meiner Träume. Besonders eine junge Frau fiel mir auf, die es scheinbar darauf angelegt hatte, den Männern zu zeigen, was die Welt zu bieten hat.
Ich saß gerade an einem Tisch in der Sonne, als sie um die Ecke kam und sich ebenfalls nach einer Sitzgelegenheit umsah.
Sie blieb kurz stehen, sondierte die Lage und entdecke einen freien Tisch direkt neben oder vor mir, je nachdem, von wo aus man es betrachtete.
Viele Köpfe und Augen waren auf sie gerichtet, als sie mit wenigen, eleganten Schritten auf den Tisch zuging und mir genug Zeit gab, um sie zu studieren.
Unendliche wirkende, schlanke Beine steckten in hohen, giftgrünen Pumps, die farblich zu ihrem knappen Top passten, dessen Stoff dazu geeignet war, mehr zu zeigen als zu verbergen. Deutlich hoben sich ihre vollen Brüste ab, die das Gewebe zu sprengen versuchten. Der Minirock, den sie trug, war eher ein breiter, grüner Gürtel, der ihre festen Pobacken hervorhob, nicht einmal die Hälfte ihrer Schenkel bedeckte. Auf ihrem schlanken, langen Hals, thronte ein niedliches, von einigen Sommersprossen bedecktes Gesicht, die sich besonders um die kleine Nase gruppierten, sowie die roten, langen Haare, die ihr Haupt umschmeichelten. Ein besonderer Blickfang war eine übergroße Sonnenbrille, die ihre Augen unkenntlich machten. Ein Hütchen, besser gesagt ein grünes Schiffchen, dass als Zierde schräg auf ihrem Kopf saß, rundete das Erscheinungsbild ab.
Ich musste schlucken, als sie an ihrem Tisch ankam, sich mit seitlich abgewinkelten Beinen setzte und sich die Karte schnappte, um das Angebot des Restaurants zu begutachten.
Mehrmals wendete sie die Seiten, wobei ihre grell rot lackierten, langen Fingernägel besonders stark hervortraten.
Währenddessen ich sie betrachtete, war eine Kellnerin an meinen Tisch getreten und wollte meine Bestellung aufnehmen. Es dauerte mehrerer Sekunden, bis ich sie wahrnahm und mir ein Eiskaffee wünschte. Wobei ich mich nicht dazu äußerte, welchen. Erst nach einer lauteren Nachfrage ihrerseits, schaffte ich es die Information zu erteilen. Diesen Umstand schien die Dame in Grün zu bemerken, hob kurz ihren Kopf, richtete ihn in meine Richtung aus und ein kaum wahrnehmbares Lächeln trat auf ihre schmalen Lippen. Danach schaute sie zurück in die Karte. Dieselbe Kellnerin, die mich nach meinen Wünschen gefragt hatte, ging danach zu ihr herüber und bekam prompt eine Antwort auf ihre Frage. Mit einem Kopfnicken verschwand sie und die Dame in Grün legte die Karte auf den Tisch schien sich für einen Moment umzusehen. Danach holte sie ein zierliches Zigarettenetui aus ihrer Handtasche, entnahm einen längeren, schmalen Zigarillo und zündete ihn mit einem goldschwarzen Feuerzeug an. Irgendwie passte es zu ihr, schien ihre Erscheinung zu verstärken.
Mehrmals zog sie an dem dunklen Glimmstängel, ließ den cremigen Rauch genüsslich zwischen den spaltbreit geöffneten Lippen austreten, wischte sich dabei mehrmals mit ihrer schmalen Zunge über die weichen Kissen.
In diesem Moment wurden unsere Bestellungen gebracht, ich bekam mein Eiskaffee, sie ein Glas Wasser und einen Espresso, dazu eine Kugel Eis, wahrscheinlich Vanille.
Auch das passte wie der Sargnagel zu ihrer Erscheinung, einen Eisbecher oder Kuchen hätte ich nie vermutet. Zuerst trank sie ihren Espresso mit zwei winzigen Schlucken aus, nahm danach etwas Wasser. Die Eiskugel folgte, während ich an dem Strohhalm in meinem Eiskaffee sog. Dabei konnte ich gut beobachten, wie sie sich den Löffel vorsichtig zwischen die Lippen schob, ihn danach genüsslich ableckte. Ein Bild, das sich in meiner Fantasie festfraß. Besonders als ich mir vorstellte, dass der Löffel ein Teil von mir wäre. Eine Vorstellung, die mir wie der Blitz in den Sinn kam, mich augenblicklich elektrisierte. Nichts konnte ich dagegen tun, die Bilder die sich mir zeigten, konnte ich nicht verhindern. Dabei konnte ich nicht sagen, ob die Frau es darauf anlegte, die Männer in ihrer Umgebung zu reizen, oder ob es der Genuss ihres Eises alleine die treibende Kraft war. Im Prinzip war es auch egal, die Wirkung war dieselbe.
Fasziniert war mein Blick auf sie gerichtet und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sie es wahrnahm. Auch wenn ihrer Augen von der Brille bedeckt waren, meinte ich von ihr beobachtet zu werden. Sicher zu viel verlangt, doch die Vorstellung war angenehm, dass eine Frau wie sie sich für mich interessieren könnte. Ein Gefühl von Stolz machte sich in mir breit, wärmte mich von innen und ließ mich glauben, dass ich der einzige Mann am Platze war, für den sie Interesse zeigte.
Irgendwann wechselte sie ihre Position, wollte ein Bein über das andere legen. Dabei schien es, als wenn sie sich vorher zu mir ausrichtete, genau in die Position, die mir erlaubte, ihr kurz zwischen die Beine zu sehen. Sofort heftete sich mein Blick auf die Stelle, alles lief wie in Zeitlupe ab und kurzweilig glaubte ich ein leichtes Glitzern von Feuchtigkeit zu erkennen, umrahmt von sorgfältig rasierter, weißer Haut. Ein weiteres, obligatorisches Lächeln trat auf ihre Lippen, als sie bemerkte, wie ich sie fixierte. Jetzt war ich mir sicher, dass sie mein Interesse bemerkt hatte.
Erst als sie ihr Bein über das andere gelegt hatte, erwachte ich wie aus einem Traum, einer gedanklichen Ekstase, die meinen Körper in Alarmbereitschaft und Brand geraten ließ. Alles in mir war in Spannung, die Hose zu eng, und am liebsten hätte ich nach unten gegriffen und zumindest den Knopf gelöst. Doch die Tische waren von unten einsehbar, entsprechend deutlich wäre es gewesen. Diese Blöße wollte ich mir nicht geben, hielt es für wenig männlich. Auf der anderen Seite hätte es ihr meinen Zustand gezeigt, unter Umständen ein deutliches Signal meines Interesses an ihr. Ich ließ es, hielt es nicht vor angebracht. Zu viele Menschen um uns herum hätten es ebenfalls sehen können und das hielt ich für nicht lohnenswert.
Die Dame löffelte ihr Eis langsam aus, leckte zum Schluss genüsslich den Löffel ab, an dem ein letzter Tropfen geschmolzenes Eis hing, der langsam daran nach unten lief. Das restliche Wasser ließ sie stehen, erhob sich, schob die Sonnenbrille auf die Nasenspitze und sah mich mit ihren jadegrünen Augen an, nickte mir freundlich zu.
„Es war mir ein Vergnügen. Ich hoffe, sie werden heute Abend an mich denken. Träumen sie von mir, spenden sie mir ihre Lust. Ich werde es jedenfalls tun, sie in meinen Gedanken haben, wenn ich mich entspanne!“, raunte sie mir leise, jedoch gut verständlich zu, schob die Brille zurück und ging mit wenigen, eleganten Schritten aus meinem Sichtfeld.
Ich war mir sicher, dass ich an sie denken würde, sie vor mir sehen, wenn ich schlafen ging. Und nicht nur das, sondern lange Zeit.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich beruhigt hatte, aufstehen konnte und ging. Dabei versuchte ich auf dem Weg nach Hause meine Gedanken zu verdrängen, sie aus meinem Kopf zu bekommen, zumindest die Strecke, um unbeschadet ankommen zu können. Dabei war mir klar, dass ich nicht bis zum Abend warten konnte. Das erlebte würde für mehrere Sitzungen reichen und innerlich freute ich mich darauf, die Spannung in meinem Körper mehr als einmal los zu werden. Entsprechend schnell und zielstrebig lief ich nach Hause, schloss die Tür auf und wollte mich gerade in meinem Zimmer verkrümeln, um mit mir und meinen Gedanken alleine sein zu können, als ich eine unterdrückte Stimme hörte.
„Micha, bist du das?“, hörte ich es leise in meine Ohren eindringen und versuchte die Richtung zu orten, aus der die Laute kamen. Es war nicht einfach, doch ich kam schnell auf die Lösung. Es kam aus dem Keller, war unverkennbar meine kleine Stiefschwester, die seit mehreren Monaten mit ihrer Mutter bei uns eingezogen war. Ein widerliches Stück, das ich nicht besonders mochte. Sicher hübsch anzusehen, eine nette Erscheinung, aber falsch und heimtückisch, verlogen und eingebildet. Dass Vater ihre Mutter mochte, war nicht schwer zu verstehen. Eine Frau von Welt, eine die wusste, was sie wollte. Genau das, was Vater immer gesucht hatte. Meine leibliche Mutter war dafür nicht geschaffen gewesen, eine Fehlbesetzung, die sich aus dem Staub machte, als ich alt genug war, um mit Vater alleine klarzukommen.
„Sis, wo bist du denn?“, erkundigte ich mich scheinheilig, um sie zu ärgern. Sie hasste es, wenn ich sie so nannte, nahm von allem familiären Abstand.
„Im Keller du Blödmann, das kann man doch hören!“, bekam ich als Antwort, genau das, was ich vermutet hatte. Auch ihre Wortwahl entsprach meiner Erwartung.
„Warum soll ich zu dir kommen? Seit wann kommt der Berg zum Propheten?“, setzte ich zu, war wirklich darüber erstaunt, dass sie nicht selber herkam.
„Wenn ich das könnte, hätte ich dich nicht gerufen. Oder glaubst du wirklich, ich wünsche mir deine Anwesenheit so sehr. Sicher nicht. Also los, komm her, auch wenn es dir seltsam erscheinen mag, ich brauche dich!“
Um es ehrlich zu sagen, meine Neugierde stieg ins Unermessliche. Niemals zuvor hatte sie mich um irgendwas gebeten, einen Wunsch an mich gerichtet. Für das war Vater da, der gerne und reichlich gab, besonders in finanzieller Hinsicht. Ein netter, süßer Augenaufschlag und die Dollars flossen. Vater war jedoch nicht hier, Stiefmutter ebenfalls nicht. Sie waren übers Wochenende weggefahren, vielleicht um sich ungestört zu lieben. Ich gönnte es ihnen.
Ohne lange zu warten, ging ich die Treppe herunter in den Keller, konnte von hier aus erkennen, wo sie stecken musste. Die Tür zum Waschkeller, wie wir es nannten, war offen. Hier standen Waschmaschine und Trockner, eine Wäschespinne und lagerten diverse Reinigungsmittel.
„Kommst du endlich, ich habe nicht ewig Zeit!“, drang etwas lauter an meine Ohren, ihre Stimme dumpf und ohne Biss, als wenn sie durch ein Handtuch sprach.
„Ich schon, du musst mir schon überlassen, wie lange etwas dauert. Ich habe keine Eile!“, antwortete ich, während ich auf die Tür zuging, mit großem Interesse in den kleinen Raum trat und große Augen bekam.

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