Der Hahnrei

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Der Hahnrei

Der Hahnrei

Wulff Triebsch

Sie trug weder ein hautenges grünes Kleid, noch hatte ihr Pullover einen tiefen Rückenausschnitt. Dafür reichte ihr dunkelroter Rock weit über ihre Knie. Ich war mir sicher, dass sie darunter ein Höschen trug, und fragte mich, ob in dieser Aufmachung überhaupt ein Mann bereit war, ihr nach Hause zu folgen und sie dort nach Leibeskräften zu vögeln, bis sie stöhnend von einem Orgasmus zum nächsten torkelte und zuletzt entkräftet liegen blieb.
„Man sieht förmlich, woran Sie denken“, unterbrach sie meine Gedanken. „Aber deshalb haben wir uns ja getroffen. Leider hat sich das mit dem grünen Kleid nicht einrichten lassen“, entschuldigte sie sich. „Das nächste Mal können wir das nachholen.“ Ich war erstaunt, dass auch sie schon jetzt an ein nächstes Treffen dachte.
Sie nahm mir gegenüber am Tisch Platz. „Sie sind natürlich mein Gast. Einen Cappuccino?“ Ich nickte und musterte sie, als sie mit dem Kellner sprach. Dass sie nicht mehr die Jüngste war, hatte ich schon längst bemerkt, dass sie ihre langen dunkelbraunen Haare einfach um ihren Kopf geknotet hatte, störte mich sehr. Schade fand ich auch, dass sie ihre feine Nase, ihre harmonischen Gesichtszüge und den Mund mit den schwungvollen Lippen nicht mehr zur Geltung brachte. Ein kürzerer Haarschnitt, und ich säße einer attraktiven Frau gegenüber!
Ihr vernehmliches Räuspern unterbrach meine Gedanken. Wieder machte sich der Groll über die Affäre mit dem Brief bemerkbar. „Ihr Liebhaber schreibt Ihnen also nach einem wilden Seitensprung solche Briefe. Und mir wollen Sie alles in die Schuhe schieben?“, beklagte ich mich.
„Nein, nein! Das ist ganz anders!“, erklärte sie und streckte mir beide Hände über den Tisch entgegen. „Es gibt gar keinen Liebhaber.“
„Aber diesen Brief gibt es! Ihr Mann hat ihn mir gezeigt.“
Sie wich meinen Blicken aus, errötete, biss sich verlegen auf die Unterlippe und räusperte sich.

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