«Bald gibt’s Abendessen». Die Stimme von Seban war so etwas von angenehm – und Heidi harrte der Dinge, die da kommen sollten. Frisch geduscht und in einen blauen Rock gehüllt begab sie sich in eine Art Refektorium. Seban hatte ihr den Weg über die beiden Steintreppen hinunter ins Untergeschoss erklärt. Sie hielt den Atem an, weil an einem langen Tisch mindestens 12 weitere Frauen in ihrem Alter sassen. Sie wirkten alle rosig, wohlgenährt und frisch, genauso wie sie selber. Sie bedienten sich schweigend an der opulent zugerichteten Fleischplatte und genossen das unvergleichliche Brot. Nach drei Schlucken frischen Wassers ging Heidi das Herz auf. Ob dem Quellwasser etwas zugesetzt worden war? Heidi stellte sich vor, dass hier tatsächlich all diese Studentinnen Heidi hiessen. Medizinstudentin Heidi. Philosophiestudentin Heidi. Germanistik-Studentin Heidi.
Was diese Heidis wohl schon alles erlebt hatten?
Dann erschien Seban mit einem silbern glänzenden Korb. Darin befanden sich bunte Zettelchen. «Wir losen diejenige aus, die morgen dran ist», erklärte die Heidi neben Heidi. Jeder der Zettel war angeschrieben: «Heidi in the garden». Heidis Zettel war lindgrün, und als sie ihn zitternd öffnete, sah sie das Datum des Folgetages: Mittwoch, 12. August 2019. Bedeutungsvoll nickten ihr die anderen Heidis zu – in den Blicken war zum Teil Erleichterung, zum Teil auch Neid festzustellen.
Nach einer unruhigen Nacht wurde Heidi um 08:00 Uhr von Seban geweckt. Sanft berührte er ihre Schulter. Erstaunlicherweise machte es ihr nichts aus, dass er in ihr Zimmer gekommen war – sie wusste genau, dass sie abgeschlossen hatte. Aber sie fand ihn dermassen attraktiv, dass sie es fast schon bedauerte, dass er nicht gleich zu ihr ins Bett schlüpfte und etwas mit ihr machte. Nach einem Frühstück aus Müsli, O-Saft, Roggenbrot und Kaffee wurde Heidi in ein gigantisches Hallenbad begleitet. Es war eher ein Mosaik- denn ein Hallenbad; sowohl Boden, Wände als auch Decke schimmerten magisch. «Zieh Dich jetzt aus, Heidi, die Männer wollen Dich sehen», forderte Seban sie mit ruhiger Stimme auf. Nun zögerte sie doch, sich vor dem jungen Mann zu entkleiden – aber dafür war sie ja hergekommen. Um Männer zu erregen und ihr Budget aufzubessern. Als sie splitternackt vor ihm stand, nickte er wissend. «Schwimm, Heidi, schwimm», sagte er. «Auf der gegenüberliegenden Seite musst Du unter einem Tor hindurchtauchen. Es kann nichts schiefgehen. Nur so erreichst Du den Garten der Lüste».
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