Höhenflüge

Eine nicht alltägliche Familie - Teil 66

20 18-28 Minuten 0 Kommentare
Höhenflüge

Höhenflüge

Grauhaariger

„Olivia, den nächsten Überflug machen wir mit ausgefahrenem Fahrwerk”, erklärte Angie und deutete von hinten auf den entsprechenden Hebel auf der Mittelkonsole. Mit erhobenem Daumen bedeutete Olivia, dass sie die Anweisung verstanden hatte.
„Bambini, Fahrwärk use, turn lili cinque, formazione grande, toc”, gab der Leader das Kommando für den erneuten Überflug.
„Jetzt” rief Angie.
„Fahrwerk unten und verriegelt”, bestätigte Olivia.
In 7500 ft Höhe erfolgte der nächste Überflug quer über das Lauterbrunnental. Kurz nach dem Vorbeiflug am Lauberhorn löste sich die Formation auf und die Patrouille Suisse formierte sich nun für ihre eigene Darbietung.
„Wir fliegen nun via Grindelwald, Grosse Scheidegg und Meiringen in den Bereitstellungsraum über dem Brienzersee”, erklärte Angie den weiteren Ablauf. Währenddessen hat der Kapitän die Maschine wieder auf eine Flughöhe von 10000 ft gebracht.
„Und, Frau Andersson, wie hat es ihnen gefallen?”, wurde Olivia von Kapitän Ruckstuhl gefragt.
„Ich bin sprachlos. So etwas habe ich noch nie erlebt. Nicht einmal als ich in Toulouse beim Testflug eine A350 fast zum Absturz gebracht hätte”, antwortete Olivia mit einem strahlenden Gesicht.
„Was meinen sie, sind sie in der Lage und möchten das Finale am Lauberhorn fliegen?” Der Kapitän sah dabei Olivia an und fuhr fort: „Es gibt noch einen letzten gemeinsamen Überflug zusammen mit der Patrouille Suisse.”
„Sehr gerne, wenn ich darf …” Olivia hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen.
„First Officer übernimmt … it’s your turn, Captain Andersson”, meinte der Kapitän auf der linken Seite mit einem Augenzwinkern.
„First Officer übernimmt”, bestätigte Olivia. Ein wenig von Stolz erfüllt, freute Liv sich riesig auf den nochmaligen Überflug am Lauberhorn.
Während der nächsten Minuten versuchte Olivia weiter ein Gefühl für die Flugbewegungen der Maschine zu erhalten. Besonders bei den 180° Drehungen wurden die gleichen Manöver geflogen, wie sie dann später nochmals am Lauberhorn auszuführen waren. Während der vierten Runde über dem See erhielten sie die Information, dass sich die Patrouille Suisse für das Finale ihrer Darbietung bereit machten. Dies bedeutete für Olivia, dass es nun ernst galt.
Sie flogen seeabwärts in Richtung Interlaken, drehten dann nach links, um nach ein paar Minuten über Zweilütschinen mit der Patrouille Suisse zusammen zu treffen. Wie bereits beim ersten Anflug kam auch jetzt wieder das Kommando des Leaders: „Bambini, turn lili finale, formazione Delta, Rauch, toc!”
„2° über Horizont!“ Gemäß den Angaben von Angie versuchte Olivia so ruhig wie möglich die vorgegebene Flugroute zu fliegen. Im leichten Sinkflug zog die Formation an den Zuschauern vorbei, welche wiederum mit Winken und Fahnen schwingen ihre Begeisterung zum Ausdruck brachten.
„Bambini, Rauch stop, finale grande, flares, toc”, war das letzte Kommando und die Jets zogen alle hoch und lösten ihre Flares aus.
Während die Northrop F-5E Tiger II der Patrouille Suisse immer weiter in den Himmel stiegen, steuerte Olivia die CS300 auf direktem Kurs über die Grosse Scheidegg und Meiringen in Richtung Vierwaldstättersee. Die Flughöhe betrug inzwischen wieder 10000 ft und Olivia entspannte sich langsam. Sie war voll auf das Flugmanöver konzentriert gewesen und bemerkte ihre Nervosität erst jetzt.
„War doch ganz einfach“ unterbrach Kapitän Ruckstuhl ihre Gedanken. „Sehen sie unsere Route auf dem Display vor ihnen?“
Olivia nickte und kontrollierte nochmals die Displays und Anzeigen.
„Sehr gut.“ Dann erhob er sich von seinem Sitz und drehte sich zu Angie um: „Laëtitia, ihr Sitz. Ich geh mal die Füße vertreten und sonst noch wohin …“.
Bernhard Ruckstuhl drückte sich an Angie vorbei und verließ das Cockpit. Sofort setzte sie sich auf den linken Sitz und bereitete sich auf ihre Aufgabe vor.
Kurz bevor sie den Vierwaldstättersee erreichten, schlossen die Jets der Patrouille Suisse wieder zu ihnen auf. Der Verband verringerte nochmals die Flughöhe und drehte leicht nach links, damit sie noch einen Überflug in geschlossener Formation über das Luzerner Verkehrshaus fliegen konnten. In 2000 ft Höhe überflogen sie die Stadt mit der Seebucht.
„Bambini, super gsi, missione finito, ritorno casino, riposo direct. Angeli Uno bye bye“, kam der letzte Funkspruch des Leaders.
„Dann grüß mal schön die Jungs. Die fliegen jetzt zu ihrem Stall zurück“, erklärte Angie lachend. Am Funk verabschiedete sie sich bei der Patrouille Suisse.
Olivia grinste und mit einem leichten Flügelwippen verabschiedete sie die Piloten der Patrouille Suisse. Anschließend trennten sich ihre Wege, die Jets kehrten zu ihrer „Homebase“ nach Emmen zurück und die CS300 erklomm wieder die ursprüngliche Flughöhe und flog weiter nach Zürich Kloten. Von Luzern zum Flughafen Zürich war es nur eine kurze Strecke und schon bald waren Olivia und Angie mitten in den Landevorbereitungen.
Wenige Minuten später setze die HB-JCA auf Piste 14 auf. Sofort nach dem Bodenkontakt betätigte Olivia die Schubumkehr und Angie leitete die Bremsung ein. Schon bald war die Geschwindigkeit so weit verringert, dass sich das Flugzeug nur noch mit Rollgeschwindigkeit vorwärtsbewegte.
Erneut meldete sich der Tower: „Charly-Alfa Five-One-Four, welcome back to Zürich Captain Andersson. Vacate via Taxiway Hotel-Two, Juliet and follow the Follow-me-car to parking position.”
Völlig erstaunt blickte Olivia zu Angie hinüber: „Woher wissen die …“.
„Überraschung …!“, fiel ihr Angie mit einem breiten Grinsen im Gesicht ins Wort. „Hat übrigens der Ruckstuhl veranlasst. Schau dort vorne wartet bereits unser Taxi.“
Gemäß den Anweisungen rollten sie auf dem vorgegebenen Rollweg und schon kurz darauf waren sie beim schwarz-gelben Lotsenfahrzeug. Es stand am Haltepunkt und wartete mit eingeschalteten Drehlichtern und der Leuchtschrift „Follow me“. Nach dem Start von zwei Flugzeugen setzte sich der Follow-me-car in Bewegung und Olivia erhöhte den Schub der CS300, um dem vorausfahrenden Wagen zu folgen. So überquerte das Gespann die Piste 28-10 und als sie am Dock A vorbeirollten, bemerkte Oliva plötzlich zwei Feuerwehrfahrzeuge, welche auf beiden Seiten des Rollwegs standen. Ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen, folgte sie dem schwarz-gelben Wagen. Kurz bevor das Flugzeug die beiden Feuerwehrfahrzeuge erreichte, schossen aus den Löschkanonen Wasserfontänen heraus, die in einem Bogen über den Rollweg der CS300 gingen.
„Shit! Was machen die da …?“ Olivia Blick wanderte hektisch über die verschiedenen Hebel und Schalter vor ihr und rief: „Angie, wo zum Geier ist der Schalter für die Scheibenwischer?“
Laut lachend hatte diese die Wischer bereits in Gang gesetzt und schon passierte die „Charly-Alfa“ die Wasserfontäne. Angie meinte zu dem Spektakel nur: „Ein Salut für dich, meine Liebe“, und das Wasser prasselte auf die Hülle des Flugzeuges.
Ein traditioneller „water cannon salut“ der Flughafenfeuerwehr.
Für Olivia! Eine außergewöhnliche Pilotin …

Höhenflüge

Seit einer gefühlten Stunde war Olivia bereits unter der Dusche. Sie stütze sich mit ihren Händen an der Wand ab und das warme Wasser floss über ihren Körper. Mit geschlossenen Augen ließ sie den heutigen Flug nochmals Revue passieren. Die Eindrücke waren immer noch sehr präsent und sie hatte das Gefühl, die Vibrationen des Flugzeuges noch immer bis in die Fingerspitzen zu spüren.
Langsam erwachte Olivia aus ihrem Tagtraum und schüttelte ein wenig benommen den Kopf. Der Flug über das Lauberhorn, zusammen mit der Kunstflugstaffel der Schweizer Luftwaffe war wirklich etwas ganz Besonderes gewesen. Dies wird wohl auch noch lange so bleiben. Im Gegensatz zu der kleinen und agilen Bombardier CS300 wäre ein solcher Flug im Lauterbrunnental mit der gewohnten und lieb gewonnenen A350 wohl kaum durchführbar oder höchsten mit einer Mindestflughöhe von 12000 – 15000 Fuß.
Es wurde Zeit, dass sich Olivia für das Treffen mit Angie vorbereitete. Sie wollten noch gemeinsam etwas Zeit verbringen und den Abend genießen. Die Worte, welche Angie ihr gestern ins Ohr geflüstert hatte, hallten noch immer in ihrem Kopf nach … ‚Dich kriege ich auch noch. Ich spüre es schon den ganzen Tag … und du?‘
Bereits beim Gedanken an diese Worte spürte sie wieder dieses eigentümliche Gefühl, das sich von ihrer Körpermitte in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Und nachdem Olivias geliebter Ehemann während ihres Telefongesprächs seine Zustimmung gegeben hatte, war der Ausgang des Abends für sie vorhersehbar.
Mit Sorgfalt bereitete sich Olivia für den kommenden Abend vor. Sie hatte natürlich ein „kleines Schwarzes“ für alle Fälle eingepackt. Dass dieses bisschen Stoff aber einmal dem Zweck dienen sollte, einem „Tête-à-tête“ mit einer Frau den passenden optischen „Eyecatcher“ zu verpassen, hätte Olivia nie gedacht.
Normalerweise beschränkte sich der Gebrauch von Make-up auf ein Minimum, aber diesmal wollte Olivia aus dem Vollen schöpfen. Besonders die Augen wollte sie heute hervorheben und nahm sich dazu viel Zeit. Nachdem die Augenbrauen eine klare Kontur bekommen hatten, widmete sich Liv den „Smokey Eyes“, welche sie farblich passend zu ihrer Augenfarbe ausführte. Für die Lippen wählte Olivia eine eher kräftige Farbe. Zuletzt richtete sie noch die Haare und zusammen mit dem Make-up hatte das Ganze etwas vom Aussehen eines Vamps …

*****

Eine knappe Stunde später betrat Olivia die „Wine Tower Bar“ und bestaunte den 16 Meter hohen Weinturm, welcher den zentralen Blickfang der Hotellobby und eine Trennung zwischen Lobby und Bar darstellte.
„Das sind mehr als 4000 Flaschen Wein und Champagner“, hauchte ihr von hinten eine Stimme ins Ohr. „Beeindruckend … nicht?“
Beim Klang der gehauchten Worte bekam Liv eine Gänsehaut und das Kribbeln der letzten beiden Tage stellte sich wieder ein. Sie drehte sich langsam um und sah ganz erstaunt die Person an, die sich vor ihren Augen präsentierte.
„Überraschung“, sagte die bekannte Stimme. Vor ihr stand eine lachende Angie und Olivia hätte sie beinahe nicht erkannt. Im Gegensatz zur burschikosen Kleidung von gestern trug Angie heute einen figurbetonenden roten Rollkragenpullover, einen kurzen anthrazitfarbenen Ledermini und dazu passende hellgraue Overknee-Stiefel aus Wildleder. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, hatte Angie ein kräftiges Make-up aufgelegt und ihre rötliche Haarmähne zu einer frechen Frisur hochgesteckt.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 2342

Weitere Geschichten aus dem Zyklus:

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben